Ulrich L. Lehner: Die katholische Aufklärung. Weltgeschichte einer Reformbewegung

Monika Leiser schreibt über Ulrich L. Lehner: Die katholische Aufklärung. Weltgeschichte einer Reformbewegung, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2017. 271 S., 39.90 €

Ulrich L. Leh­ner, Pro­fes­sor für Reli­gi­ons­ge­schich­te an der Mar­quet­te Uni­ver­si­tät in Mil­wau­kee, erzählt die ver­ges­se­ne Geschich­te der reform­freu­di­gen Katho­li­ken und Katho­li­kin­nen (!) des 18. Jahr­hun­derts in Euro­pa, Nord- und Süd­ame­ri­ka, Chi­na und Indi­en. Leh­ner zeigt auf, wie die Refor­men des Kon­zils von Tri­ent (1545–1563) schon lan­ge vor der säku­la­ren Auf­klä­rung eine katho­li­sche Reform­be­we­gung in Gang setz­ten und inspi­rier­ten. Die­se soge­nann­te katho­li­sche Auf­klä­rung kämpf­te wie die säku­la­re Auf­klä­rung gegen Aber­glau­be, für die Aner­ken­nung und Adap­ti­on der Natur­wis­sen­schaf­ten, für Idea­le der Demo­kra­tie, für reli­giö­se Tole­ranz, Gleich­heit der Geschlech­ter, gegen Skla­ve­rei und Ras­sis­mus, setz­te aber dezi­diert eige­ne Akzen­te. Auch wenn vie­le es nicht glau­ben wol­len: Nicht nur anti-reli­giö­ses Den­ken war auf­ge­klärt, das Buch belegt durch zahl­rei­che Bei­spie­le, daß ein den katho­li­schen Glau­bens­wahr­hei­ten ver­pflich­te­tes Den­ken oft »men­schen­freund­li­cher« als die säku­la­re Auf­klä­rung sein konn­te. So hat etwa die Ableh­nung arran­gier­ter Ehen gegen den Wil­len der Part­ner, eben­so wie die Ver­ur­tei­lung häus­li­cher Gewalt ihren Ursprung in der triden­ti­ni­schen Reform und deren christ­li­chem Fami­li­en­bild der gegen­sei­ti­gen Lie­be – wohin­ge­gen das patri­ar­cha­li­sche Fami­li­en­bild der west­li­chen Welt, wie es sich beson­ders im 19. und 20. Jahr­hun­dert dar­stellt, aus den »Wer­ten« der säku­la­ren Auf­klä­rung erwuchs.

Auch die Jesui­ten, die im Chi­na des 16. Jahr­hun­derts mis­sio­nier­ten, waren nicht von der Auf­klä­rung in Euro­pa beein­flußt. Sie gewan­nen brei­ten Ein­fluß im Land, indem sie die ein­hei­mi­sche Spra­che lern­ten und die intel­lek­tu­el­le Eli­te des Lan­des von ihrer Theo­lo­gie über­zeug­ten. Dar­über kam es zu einem frucht­ba­ren kul­tu­rel­len und inter­re­li­giö­sen Aus­tausch, der vom triden­ti­ni­schen Geist beein­flußt war. 1615 wur­de es chi­ne­si­schen Mis­sio­na­ren sogar erlaubt, die Mes­se in der Lan­des­spra­che zu fei­ern, wäh­rend Euro­pa dar­auf noch über 300 Jah­re war­ten muß­te. Durch die­se Art einer nicht euro­zen­trisch ori­en­tier­ten Mis­si­ons­ar­beit tru­gen die Jesui­ten in Süd­ame­ri­ka zu einem bes­se­ren Ver­ständ­nis der ein­hei­mi­schen Kul­tu­ren, aber auch zu deren Schutz bei. Die gene­rel­le Ansicht, wonach bei­spiels­wei­se die Kul­tu­ren Süd­ame­ri­kas rück­stän­dig und min­der­wer­tig sei­en, kam erst im 18. Jahr­hun­dert mit der säku­la­ren Auf­klä­rung auf. Ent­spre­chen­de Über­le­gun­gen fin­det man etwa bei Georg W.F. Hegel.

Das Ende der intel­lek­tu­el­len Reform­be­we­gung erfolg­te abrupt durch Atta­cken anti­kle­ri­ka­ler und anti-christ­li­cher Auf­klä­rer und beson­ders durch die Fran­zö­si­sche Revo­lu­ti­on. Der fol­gen­de Beginn eines päpst­li­chen Katho­li­zis­mus führ­te zu einer intel­lek­tu­el­len Verengung.

Ulrich Leh­ners Glo­bal­ge­schich­te der katho­li­schen Auf­klä­rung ist eine Pio­nier­leis­tung, das Buch eine wah­re geis­tes­wis­sen­schaft­li­che Fund­gru­be. Biblio­gra­phi­sche Anmer­kun­gen zu den ein­zel­nen Kapi­teln laden den inter­es­sier­ten Leser zu wei­ter­ge­hen­den For­schun­gen je nach per­sön­li­cher Inter­es­sen­la­ge ein. Da gibt es noch Schät­ze zu heben! Inter­es­san­te Per­sön­lich­kei­ten, vie­le von ihnen zu Unrecht bis­her nicht zur Kennt­nis genom­men, wer­den in einem Regis­ter ange­führt. So auch Maria Agne­si (1718–1799), eine ita­lie­ni­sche Mathe­ma­ti­ke­rin und Reli­gi­ons­phi­lo­so­phin, die als die bekann­tes­te Frau­en­stim­me der katho­li­schen Auf­klä­rung gilt. An die­ser bemer­kens­wer­ten Per­son läßt sich exem­pla­risch stu­die­ren, daß der Katho­li­zis­mus im 18. Jahr­hun­derrt eine ernst­zu­neh­men­de intel­lek­tu­el­le Alter­na­ti­ve war.

Das läßt hof­fen, daß Katho­lisch-Sein auch im 21. Jahr­hun­dert, in Zei­ten des welt­wei­ten Umbruchs, wie­der span­nend wer­den kann.

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Ulrich L. Leh­ners Die katho­li­sche Auf­klä­rung kann man hier bestel­len.

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