Spätestens seit der »Flüchtlingskrise« und der daraus resultierenden Bereicherung durch unruhige junge Männer aus gewaltaffinen Kulturen ist das Erlernen von Selbstverteidigungstechniken eine ratsame Sache geworden. Der österreichische Schriftsteller Thomas Glavinic scheint dies allerdings nicht so zu sehen. In seiner Gebrauchsanweisung zur Selbstverteidigung schildert er eingangs eine Situation, die fast jedermann so oder, hm, so ähnlich bereits erlebt hat: Ein Mann in der U‑Bahn beginnt zu pöbeln oder zu schreien, und während sich die Blicke der anderen Fahrgäste in ihre Smartphones versenken oder fluchtartig in eine andere Richtung streben, schimpft er laut über »Politiker, Asylanten, abwesende Feinde oder die Juden«, dabei ein Opfer suchend, das auf seine Provokationen reagiert, am besten ein weibliches oder eines »fremdländischer Herkunft«. Das ist nur der erste von mehreren ärgerlichen politisch korrekten Kotaus, die immer wieder in diesem ansonsten lehrreichen Buch auftauchen. Man darf annehmen, daß Glavinic in Wahrheit wie jedermann besser weiß, was Sache ist, und vermutlich weiteres »friendly fire« aus linksgerichteten Kreisen vermeiden will, wie er es etwa im Jahr 2016 kassierte, als er via Facebook den diffamierenden Umgang mit FPÖ-Wählern kritisierte. An die beschriebene Ur-Szene in der U‑Bahn knüpft der Autor eine heroische Rettungsphantasie: Wenn sich der Leser in einer solchen Situation schon mal gewünscht hat, schützend eingreifen zu können, dann sei dieses Buch für ihn geschrieben worden. Der Autor (der die chinesische Kampfkunst Wing Tsun betreibt) will ihm zeigen, wie er sich selbst »zur Waffe« machen kann und bereitet ihn mental auf die Stunde der Bewährung vor – der »Stänkerer bedroht zwei junge Mädchen«, doch »diesmal hat sich jemand die falsche U‑Bahn ausgesucht.«
Glavinic beschreibt realistisch und anschaulich die Handlungsoptionen und Gefahren von verschiedenen Konfliktsituationen, wobei er dazu rät, eine physische Eskalation möglichst zu vermeiden und alle Mittel der Deeskalation auszureizen; wenn der Ernstfall allerdings eintritt, muß man imstande sein, seinen Angriff oder Gegenangriff konsequent durchzuziehen (»Wenn schon, denn schon«).
Da Täter mit Vorliebe nach Menschen suchen, die Schwäche ausstrahlen und nach »Opfer« geradezu riechen, empfiehlt Glavinic die Selbsterziehung zum besonnenen, aber entschlossenen »guten« Täter, der Verantwortung für seine Mitmenschen übernimmt, dem »seine Gesundheit wichtiger ist als sein Stolz«, der stetig daran arbeitet, die eigenen Ängste zu überwinden (dies verleihe »die Aura eines Bodyguards«), der weiß, wie, wann und ob man zuschlagen muß, und der nach außen signalisieren kann, daß in seinem Inneren »das Feuer des Widerstands glimmt«, das »besser nicht angefacht werden sollte.«
Menschen, die den Kontakt mit ihren inneren thymotischen Energien verloren haben, empfiehlt er dringend, sich ihrer Identität bewußt zu werden und Selbstachtung zu entwickeln: »Wer nicht weiß, wer er ist und was er will, kennt seine Grenzen nicht, lebt daher in ständiger Unklarheit darüber, was ihm zusteht und was nicht, und wird nicht nur vor Schlägern in die Knie gehen, sondern vor den meisten Schwierigkeiten, auf die er im Leben trifft.« Sätze, die der Autor praktisch der ganzen Nation ins Stammbuch schreiben könnte: »Wer seine äußeren und inneren Grenzen nicht bewacht, der wird im Laufe der Zeit an Territorium einbüßen, bis er erstickt.«
Das lebenskluge und unterhaltsame Buch hält, was sein Titel verspricht und gibt Tips, wie man die Selbstverteidigungsmethode findet, die am besten zu einem paßt: Kung Fu, Jiu-Jitsu oder Krav Maga?
– – –
Thomas Glavinics Gebrauchsanweisung zur Selbstverteidigung kann man hier bestellen.