Thomas Glavinic: Gebrauchsanweisung zur Selbstverteidigung

Thomas Glavinic: Gebrauchsanweisung zur Selbstverteidigung, München: Piper 2017. 224 S., 15 €

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Spä­tes­tens seit der »Flücht­lings­kri­se« und der dar­aus resul­tie­ren­den Berei­che­rung durch unru­hi­ge jun­ge Män­ner aus gewalt­a­ffi­nen Kul­tu­ren ist das Erler­nen von Selbst­ver­tei­di­gungs­tech­ni­ken eine rat­sa­me Sache gewor­den. Der öster­rei­chi­sche Schrift­stel­ler Tho­mas Gla­vi­nic scheint dies aller­dings nicht so zu sehen. In sei­ner Gebrauchs­an­wei­sung zur Selbst­ver­tei­di­gung schil­dert er ein­gangs eine Situa­ti­on, die fast jeder­mann so oder, hm, so ähn­lich bereits erlebt hat: Ein Mann in der U‑Bahn beginnt zu pöbeln oder zu schrei­en, und wäh­rend sich die Bli­cke der ande­ren Fahr­gäs­te in ihre Smart­phones ver­sen­ken oder flucht­ar­tig in eine ande­re Rich­tung stre­ben, schimpft er laut über »Poli­ti­ker, Asy­lan­ten, abwe­sen­de Fein­de oder die Juden«, dabei ein Opfer suchend, das auf sei­ne Pro­vo­ka­tio­nen reagiert, am bes­ten ein weib­li­ches oder eines »fremd­län­di­scher Her­kunft«. Das ist nur der ers­te von meh­re­ren ärger­li­chen poli­tisch kor­rek­ten Kotaus, die immer wie­der in die­sem ansons­ten lehr­rei­chen Buch auf­tau­chen. Man darf anneh­men, daß Gla­vi­nic in Wahr­heit wie jeder­mann bes­ser weiß, was Sache ist, und ver­mut­lich wei­te­res »fri­end­ly fire« aus links­ge­rich­te­ten Krei­sen ver­mei­den will, wie er es etwa im Jahr 2016 kas­sier­te, als er via Face­book den dif­fa­mie­ren­den Umgang mit FPÖ-Wäh­lern kri­ti­sier­te. An die beschrie­be­ne Ur-Sze­ne in der U‑Bahn knüpft der Autor eine heroi­sche Ret­tungs­phan­ta­sie: Wenn sich der Leser in einer sol­chen Situa­ti­on schon mal gewünscht hat, schüt­zend ein­grei­fen zu kön­nen, dann sei die­ses Buch für ihn geschrie­ben wor­den. Der Autor (der die chi­ne­si­sche Kampf­kunst Wing Tsun betreibt) will ihm zei­gen, wie er sich selbst »zur Waf­fe« machen kann und berei­tet ihn men­tal auf die Stun­de der Bewäh­rung vor – der »Stän­ke­rer bedroht zwei jun­ge Mäd­chen«, doch »dies­mal hat sich jemand die fal­sche U‑Bahn ausgesucht.«

Gla­vi­nic beschreibt rea­lis­tisch und anschau­lich die Hand­lungs­op­tio­nen und Gefah­ren von ver­schie­de­nen Kon­flikt­si­tua­tio­nen, wobei er dazu rät, eine phy­si­sche Eska­la­ti­on mög­lichst zu ver­mei­den und alle Mit­tel der Dees­ka­la­ti­on aus­zu­rei­zen; wenn der Ernst­fall aller­dings ein­tritt, muß man imstan­de sein, sei­nen Angriff oder Gegen­an­griff kon­se­quent durch­zu­zie­hen (»Wenn schon, denn schon«).

Da Täter mit Vor­lie­be nach Men­schen suchen, die Schwä­che aus­strah­len und nach »Opfer« gera­de­zu rie­chen, emp­fiehlt Gla­vi­nic die Selbst­er­zie­hung zum beson­ne­nen, aber ent­schlos­se­nen »guten« Täter, der Ver­ant­wor­tung für sei­ne Mit­men­schen über­nimmt, dem »sei­ne Gesund­heit wich­ti­ger ist als sein Stolz«, der ste­tig dar­an arbei­tet, die eige­nen Ängs­te zu über­win­den (dies ver­lei­he »die Aura eines Body­guards«), der weiß, wie, wann und ob man zuschla­gen muß, und der nach außen signa­li­sie­ren kann, daß in sei­nem Inne­ren »das Feu­er des Wider­stands glimmt«, das »bes­ser nicht ange­facht wer­den sollte.«

Men­schen, die den Kon­takt mit ihren inne­ren thy­mo­ti­schen Ener­gien ver­lo­ren haben, emp­fiehlt er drin­gend, sich ihrer Iden­ti­tät bewußt zu wer­den und Selbst­ach­tung zu ent­wi­ckeln: »Wer nicht weiß, wer er ist und was er will, kennt sei­ne Gren­zen nicht, lebt daher in stän­di­ger Unklar­heit dar­über, was ihm zusteht und was nicht, und wird nicht nur vor Schlä­gern in die Knie gehen, son­dern vor den meis­ten Schwie­rig­kei­ten, auf die er im Leben trifft.« Sät­ze, die der Autor prak­tisch der gan­zen Nati­on ins Stamm­buch schrei­ben könn­te: »Wer sei­ne äuße­ren und inne­ren Gren­zen nicht bewacht, der wird im Lau­fe der Zeit an Ter­ri­to­ri­um ein­bü­ßen, bis er erstickt.«

Das lebens­klu­ge und unter­halt­sa­me Buch hält, was sein Titel ver­spricht und gibt Tips, wie man die Selbst­ver­tei­di­gungs­me­tho­de fin­det, die am bes­ten zu einem paßt: Kung Fu, Jiu-Jitsu oder Krav Maga?

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Tho­mas Gla­vi­nics Gebrauchs­an­wei­sung zur Selbst­ver­tei­di­gung kann man hier bestel­len.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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