Wäre man bös, könnte man sagen, Birgit Kelle reite seit Jahren ein Thema (den »durchgeknallten«, »bekloppten« Feminismus), und nun läßt sie es (nach Dann mach doch die Bluse zu, 2013, und Gender-Gaga, 2015) durch ihr drittes Buch galoppieren. Kelle ist – sie trat damals beherzt in die Fußstapfen von Eva »Autobahn« Herman – eine Art One-Woman-Show. Und das ist nun ein Kompliment. Denn: FemProp bedröhnt uns seit Jahrzehnten. Aus einschlägigen Kreisen, aus Universitäten, Gewerkschaften, Sach- und Fachbüchern, Parteien, Feuilletons die immer gleichen Slogans und Parolen. Medial wirksame Gegenstimmen sind schwach, es gibt keinen volltönenden Chor der Anti-Emanzen, sondern wesentlich diese eine Stimme, die von Kelle. Sie ist (ganz glaubwürdig) nicht rechts, sie ist beinhart konservativ, CDU-Mitglied. Oft sitzt sie in Talkshows, stets in der Konstellation eine gegen vier (in etwa), und man merkt beim ersten Satz: Die hat die sprichwörtlichen Haare auf den Zähnen. Kelle ist zäh, mutig, gedankenflink, argumentiert eloquent. Wenn sie von lobenden Zuschriften erzählt, die ihr tausendfach zugingen – kein Grund, daran zu zweifeln. Kelles Modus ist kein intellektueller, er ist im besten Sinne populistisch: Sie schreibt für die (Millionen?) Frauen, die im öffentlichen Diskurs keinen Echoraum finden. Frauen, die nicht durch #regrettingmotherhood Tränen des Wiedererkennens in die Augen bekamen, sondern die seufzen, wenn sie ihr Kind morgens an der KiTa-Tür abgeben. Denen der Puls hochschlägt, wenn sie sich folgenden modernen Konventionalfragen ausgesetzt sehen: Du arbeitest immer noch nicht? Hast du nicht Angst, dein Kind überzubetreuen? Echt, du hast es (das Ungeborene) nicht testen lassen? Steht man ein bißchen außen, weiß man: Das ist ein Zickenkrieg. Die Lohnfrauen beißen gegen die Zuhausemütter, und vice versa. Es sind nicht nur offen aggressive Bisse, sondern vor allem subkutane Sticheleien, ein überaus weibliches Ding. Seit Jahrzehnten bereits schwimmen die Karriereverwaltungsangestellten, die emanzipierten Verkäuferinnen und Möchtegernwerdengermanistinnen mit Baby in der Campuskrippe argumentativ im Hauptstrom, sie haben Oberwasser. Nun klotzt Kelle in zwölf Kapiteln dagegen. Sie tut es schlau und findig, sie ist nicht moderat und auf ein Agreement aus. Sie will nicht missionieren – sagt sie – und nur ihren eigenen Weg starkmachen. Schlüsselsatz: »Ich möchte keiner Mutter ein schlechtes Gewissen machen. Ich kann es ihr aber auch nicht nehmen.« Das ist natürlich (bewußt) schlecht verborgener Kampfmodus! Kelle liefert Balsam für die Seelen jener Mütter, die unter ungeheurem Rechtfertigungsdruck stehen, weil sie ihr Kind, ihre Kinder für einige Zeit zum absoluten Mittelpunkt ihres Lebens gemacht haben.
Im Vorfeld meiner eigenen Lektüre hatte ich einen Ausschnitt des Buches gelesen. Dort ging es um Äuglein, die die Mama anschauen, Ärmchen, die nach ihr greifen, Herzen, die im Takt schlagen. Nichts dagegen. Nur: ein Mißverständnis, zu glauben, das Supersofte sei hier der durchgängige Ton! Kelle kennt die Agenda der staatlichen, literarischen und feuilletonistischen Feministinnen gut, darum setzt sie nicht (nur) Herz/Bauch gegen intellektuelle Verdrehungen. Sie argumentiert beinhart, manchmal extrem cool, oft mit Halloo?-Gestus (dem weiblichen Pendant zum Schenkelklopfer), meist im Kern sehr sachlich. Den Bogen spannt sie weit: Es geht keineswegs nur um Fremdbetreuung, Karrieretobsucht, Geschlechterrollennomenklatur und feministische Infiltration, sondern auch um gläserne Schwangerschaft, das Kaltstellen des Hebammenberufs und um Abtreibungsfragen. Allen »selbsterziehenden« Müttern, die sich dauernd scheelen Blicken und hintersinnigen Fragen (warum sie eigentlich studiert haben; wie sie das bloß aushalten »am Herd«; Kondomgeschenke zum vierten Kind) ausgesetzt fühlen, sei dieses Buch als alltagstaugliche Fibel und Arsenal ans Herz gelegt! »An jeder Straßenecke lauert neuerdings eine weitere Freiheit, der wir unbedingt in den nächsten Hauseingang folgen sollen.« Verbale Munition und mentale Ersthilfe gewünscht? Schlagt nach bei Kelle! Sie gibt es all diesen sogenannten »Freiheiten« gründlich. Allerdings: Mein Bedarf an der hier vielfach abgewandelten Ansage »Ich kotze gleich / Ich kotze gleich ins Essen« ist für die nächsten Jahre gedeckt.
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Birgit Kelles Muttertier kann man hier bestellen.