Horst Gründer / Hermann Hiery (Hrsg.): Die Deutschen und ihre Kolonien. Ein Überblick

Horst Gründer / Hermann Hiery (Hrsg.): Die Deutschen und ihre Kolonien. Ein Überblick, Berlin: be.bra 2017. 352 S., 24 €

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Die über­see­ischen Kolo­nien bil­den einen Fremd­kör­per in der deut­schen Geschich­te. Das hängt vor allem damit zusam­men, daß sie in ledig­lich einer Gene­ra­ti­on gewon­nen und ver­lo­ren wur­den. Wenn man von Ver­su­chen des Gro­ßen Kur­fürs­ten absieht, wur­den die ers­ten Ver­trä­ge in Afri­ka 1884 abge­schlos­sen, 1918 kapi­tu­lier­ten mit Let­tow-Vor­beck die letz­ten Schutz­trup­pen­so­l­da­ten, 1919 wur­de mit dem Ver­sailler Ver­trag das Ende des Deut­schen Kolo­ni­al­reichs besie­gelt. Die alli­ier­ten Sie­ger­mäch­te teil­ten die Gebie­te unter­ein­an­der auf. In einem merk­wür­di­gen Gegen­satz dazu steht die Hoch­schät­zung, die seit­dem Kolo­nien in Deutsch­land genie­ßen. Auch wenn in der Wei­ma­rer Repu­blik wirt­schaft­li­che Fra­gen in den Mit­tel­punkt der pro­ko­lo­nia­len Argu­men­ta­ti­on gestellt wur­den, ging es eigent­lich um eine mora­li­sche Fra­ge. Die Alli­ier­ten hat­ten den Deut­schen die Kolo­nien mit der nach­ge­reich­ten Begrün­dung ent­zo­gen, daß deren »Pflicht­ver­nach­läs­si­gung auf dem Gebie­te kolo­nia­ler Zivi­li­sa­ti­ons­tä­tig­keit rest­los ent­hüllt« wor­den sei. Die­se offen­sicht­li­che Dop­pel­mo­ral der alli­ier­ten Kolo­ni­al­staa­ten muß­te Wider­spruch herausfordern.

Heu­te hat die »Hoch­schät­zung« ande­re Grün­de, aller­dings eben­falls mora­li­sche, da man mit den Kolo­ni­al­krie­gen (in Chi­na sowie Süd­west- und Ost­afri­ka) den deut­schen Hang zum Völ­ker­mord bele­gen möch­te. Ein kras­ses Bei­spiel die­ser Instru­men­ta­li­sie­rung war die vor einem Jahr, im Okto­ber 2016, im Deut­schen His­to­ri­schen Muse­um in Ber­lin eröff­ne­te Aus­stel­lung »Deut­scher Kolo­nia­lis­mus – Frag­men­te sei­ner Geschich­te und Gegen­wart«. Davon hebt sich das vor­lie­gen­de Buch in Tei­len ab, weil es mit Wer­tun­gen zurück­hal­tend verfährt.

Der Schwer­punkt des Sam­mel­ban­des liegt auf der Struk­tur­ge­schich­te und Sozio­lo­gie. In die­sem Sin­ne wer­den Kolo­ni­al­ver­wal­tung, Recht­spre­chung in den Kolo­nien, die Ras­sen­fra­ge, die Kolo­ni­al­krie­ge, die Rol­le der Mis­sio­nen bei der Kolo­nia­li­sie­rung und die in Deutsch­land popu­lä­ren Völ­ker­schau­en the­ma­ti­siert. Die eigent­li­chen Kolo­nien in Afri­ka, der Süd­see und in Chi­na wer­den in drei von fünf­zehn Bei­trä­gen sum­ma­risch abge­han­delt. Drei Bei­trä­ge beschäf­ti­gen sich mit der nach­ko­lo­nia­len Pha­se bzw. dem kolo­nia­len Erbe, zwei wei­te­re mit der Vor­ge­schich­te. Bei letz­te­rer ist vor allem die Fra­ge von Inter­es­se, war­um Bis­marck, der immer ein aus­ge­wie­se­ner Geg­ner von Kolo­nien war, sich 1884/85 plötz­lich auf die Sei­te der Befür­wor­ter schlug. Bis­marck befürch­te­te, daß es nach einem Thron­wech­sel eine eng­land­freund­li­che Neu­aus­rich­tung der Außen­po­li­tik geben wür­de, die er durch die Mani­fes­ta­ti­on des Gegen­sat­zes mit­tels der Kolo­nien unbe­dingt ver­hin­dern wollte.

Der Man­gel des Buches liegt in der man­geln­den Kon­tex­tua­li­sie­rung, die nur an weni­gen Stel­len zag­haft und halb­her­zig gewagt wird. Man wird zu einer sinn­vol­len Bewer­tung des deut­schen Kolo­nia­lis­mus nur gelan­gen kön­nen, wenn man ihn mit dem Vor­ge­hen der ande­ren euro­päi­schen Völ­ker in der dama­li­gen Zeit ver­gleicht. Dann wird, bei aller grund­sätz­li­chen Frag­wür­dig­keit des Kolo­nia­lis­mus über­haupt, den Deut­schen kein beson­ders schlech­tes Zeug­nis aus­ge­stellt wer­den kön­nen: »Die Deut­schen unter­schei­den sich da in nichts, in gar nichts von ande­ren, nicht posi­tiv, nicht nega­tiv.« (Tho­mas Nip­per­dey) In den ehe­mals deut­schen Kolo­nien wur­de mit deren Über­nah­me durch die Alli­ier­ten nichts besser.

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Horst Grün­der und Her­mann Hierys Die Deut­schen und ihre Kolo­nien kann man hier bestel­len.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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