Populismus ist im politischen und medialen Betrieb so etwas wie das Thema der Stunde. Ob Mélenchon oder Le Pen, Wagenknecht oder Gauland, Podemos-Linke oder AfD-Rechte – irgendwie sind sie alle Populisten, die mit Bezugnahme auf das Volk gegen das Establishment zu Felde ziehen. Den so Gescholtenen wird unterstellt, sie würden komplexe Vorgänge vereinfacht darstellen und verkürzt agieren. Doch genau dies vollziehen die Populismuskritiker, wenn sie weltanschauliche politische Gruppierungen als »populistisch« darstellen, ohne sich mit ihren materiellen und geistigen Grundlagen auseinanderzusetzen.
Die Notwendigkeit einer tatsächlichen Populismus-Analyse realisieren unterdessen zumindest einige der Autoren, die sich dem Gegenstand vornehmlich akademisch nähern möchten. Gescheitert, eine Theorie des Populismus vorzulegen, ist noch Jan-Werner Müller (Was ist Populismus?, Berlin 2016) mit seiner Gefälligkeitsarbeit für das politisch hegemoniale Lager. Zumindest einige objektiv-sachliche Ansätze finden sich in Florian Hartlebs Publikationen. Bernd Stegemann (Das Gespenst des Populismus, Berlin 2017) richtete die Debatte neu aus. Er rollte das populistische Feld auf, indem er verschiedene Arten des Populismus sezierte und Entstehungsbedingungen derselbigen im neoliberalen Zeitalter klug analysierte und zur Diskussion stellte. Nun folgt also ein weiterer Essay aus der Feder des belgischen Historikers David Van Reybrouck.
Für einen anderen Populismus will ein »Plädoyer« sein. Ein Plädoyer, hinter den Wählern populistischer Parteien die Staatsbürger zu sehen, denen man nicht herrisch gegenübertreten sollte. Reybroucks Mahnung im Vorwort zur deutschen Übersetzung (aus dem Juli 2017 datierend) richtet sich in diesem Sinne an die intellektuelle Öffentlichkeit: Er verstehe schlechterdings nicht, wieso Progressive und Liberale so viel Empathie für Flüchtlinge predigten, dies aber nicht zustandebrächten, wenn es um einheimische Sozialhilfeempfänger geht. Die Stoßrichtung ist also einigermaßen klar; hier spricht ein nüchterner Populismusversteher, der im Essay selbst darlegt, daß der Populismus ein Symptom für tiefersitzende Probleme der westlichen Gesellschaften verkörpert. Seine Analyse ist weitgehend zutreffend: Er diagnostiziert eine wachsende Wahrnehmungskluft zwischen akademischer Oberschicht und breiten Schichten des Volkes, Arroganz der Eliten, die Krise der politischen Repräsentation, eine Spaltung in »progressive« Höherqualifizierte und »populistische« Geringqualifizierte usw. usf. Das alles ist aber nicht so originell, daß es sich 2017 gelohnt hätte, diesen Text aus dem Jahre 2008 zu übersetzen. Insbesondere bei Bernd Stegemann finden sich verwandte Überlegungen – und diese sind aktueller, pointierter, tiefschürfender.
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David Van Reybroucks Für einen anderen Populismus kann man hier bestellen.