Lea Singer: Die Poesie der Hörigkeit. Roman

Lea Singer: Die Poesie der Hörigkeit. Roman, Hamburg: Hoffmann und Campe 2017. 224 S., 20 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Es ist nicht ganz klar, war­um die Münch­ner Kul­tur­his­to­ri­ke­rin und enorm pro­duk­ti­ve Autorin Eva Gesi­ne Baur für das Schrei­ben ihrer fik­tio­na­len Tex­te auf den Nom de plu­me »Lea Sin­ger« zurück­greift. Ob das einen unan­ge­nehm berüh­ren darf? Nun hat sich die recher­chier­flei­ßi­ge Viel­schrei­be­rin jeden­falls (nach den Ver­dis, den Wer­fels, den Mozarts, nach dem Pia­nis­ten Paul Witt­gen­stein und zeit­lich par­al­lel zu ihrem Mar­le­ne-Diet­rich-Buch) also auf Gott­fried Benn (1886–1956) ein­ge­las­sen. Oder genau­er: auf Ben­ns Freund­schaft mit der hoch­be­gab­ten Kunst­samm­le­rin und – eher erfolg­lo­sen – Schrift­stel­le­rin Thea Stern­heim und, dies vor allem, auf The­as Toch­ter Mop­sa (eigent­lich Doro­thea). Mop­sa, dro­gen­süch­tig und früh an Krebs ver­stor­ben (1905–1954), zähl­te zu den kur­zen Lie­bes­af­fä­ren des Dich­ters. Sie war ihm zeit­le­bens ver­fal­len. »Sin­ger« hat für ihren Roman sowohl auf die Tage­bü­cher von Thea (gest. 1971) als auch auf den – auch Auf­zeich­nun­gen und Brie­fe von Mop­sa beinhal­ten­den – Brief­wech­sel zwi­schen Benn und Thea Stern­heim zurück­ge­grif­fen. Was hoch­in­ter­es­sant beginnt, endet in Kon­fu­si­on. Das gilt für Mop­sas Leben, Lie­ben und Lei­den genau­so wie für das Buch. Im übri­gen ist dies bei­na­he zu ver­all­ge­mei­nern und ins Heu­te zu ver­län­gern: Frau­en, die Benn lie­ben – ein Miß­ver­ständ­nis und gera­de­zu ein Beleg für die Geschlech­ter­dua­li­tät! Mäd­chen und jun­ge Frau­en, die Benn dekla­mie­ren – Him­mel hilf!

Zunächst scheint es, als durch­drin­ge Sin­ger die­se Mésal­li­ance eini­ger­ma­ßen. Wie Mop­sa ist die Autorin eine zwei­fels­oh­ne nicht nur ambi­tio­nier­te und begab­te, son­dern klu­ge Frau. Wie Benn in Mop­sas Kin­der­le­ben tritt, das ist enorm gekonnt beschrie­ben. Wir haben Thea, die dau­er­trau­ri­ge Mut­ter, die sich ent­lang von katho­li­schem Glau­ben, Kunst­sinn und Intel­lekt am Über­le­ben hält. Wir haben Carl Stern­heim, den gei­len wie schwa­chen Stü­cke­schrei­ber, der sich Gelieb­te hält und zudem der Toch­ter und ihren Freun­din­nen nach­stellt. Dann tritt die­ser sagen­haf­te Benn auf als Gast des Hau­ses Stern­heim, mit Schnür­stie­feln zum Anzug, mit sei­nen schwe­ren Lidern, mit sei­nem Ton aus »Kraft und Trau­er«. Er erscheint Mop­sa so »stark und stur und unein­nehm­bar«, eine »Fes­tung«. Wie er »schwei­gend den Kuchen in exakt gleich­gro­ße Stü­cke zer­legt«, Bier for­dert, wo doch exzel­len­ter Wein kre­denzt wird! In der ers­ten Hälf­te des Romans gelingt Sin­ger zudem ein bestechen­des Zeit­ko­lo­rit: Daß damals über die Extra­va­gan­zen von Klaus Mann des­sen Vater schier ins Hin­ter­tref­fen der öffent­li­chen Auf­merk­sam­keit geriet! Wie Frank Wede­kind sei­ne Töch­ter vor gela­de­nen Gäs­ten Hand­stand lau­fen ließ, und zwar nackend, damit man Mün­zen in die Spal­te geben konn­te! Wie Benn, stark ver­är­gert über eine klei­ne Ver­spä­tung Mop­sas (»Unpünkt­lich­keit brin­ge Ord­nun­gen, ja Sys­te­me zum Ein­stür­zen«), die jun­ge Frau per Fin­ger­zeig auf den eige­nen »glatt­ra­sier­ten, fett­ge­pols­ter­ten Unter­kie­fer« auf ein Weg­zu­wi­schen­des am Kinn hin­weist. Mop­sa wischt – auf der fal­schen, Benn gegen­über­lie­gen­den Sei­te. »Rechts, sag­te Benn. Mit­den­ken, nicht nachäffen.«

Benn, der Fremd­wör­ter und Neo­lo­gis­men lieb­te, sie aber kaum rich­tig schrei­ben konn­te, bevor­zug­te Per­fek­tio­nis­tin­nen. »Ele­gan­tes Kleid oder waden­lan­ger Rock mit Sei­den­blu­se, dezen­te Far­ben, Pumps, gern Per­len­ket­te. Bloß nichts Ori­gi­nel­les, nichts Auf­rei­zen­des.« Wie gern wür­de Mop­sa all­dem ent­spre­chen. Sie will ja, sie kann nicht. Spä­ter, längst hat der kru­de Haus­leh­rer den Stern­heim­kin­dern Absinth ein­ge­flößt und damit das Wis­sen um Rausch als Erleich­te­rung gebahnt, wird es etwas wirr um die arme, dau­ernd (und wirk­lich bizarr) unter­leibs­kran­ke Mop­sa. Einen Lese­vor­teil hat der, der gewis­se ger­ma­nis­ti­sche Vor­kennt­nis­se hat, bei­spiels­wei­se die Pfem­ferts oder Her­mann Kes­ten kennt. Ohne dies ist schwer durch­zu­stei­gen durch die Zeit­läuf­te. Sowohl das Mut­ter-Toch­ter-Ver­hält­nis als auch die Bin­dung Benn-Mop­sa dürf­ten in der Tat eini­ger­ma­ßen haar­sträu­bend gewe­sen sein, aber Sin­ger ver­wan­delt sich den Benn-Stil in einer Wei­se an, die auf eine sekun­dä­re Art hys­te­risch ist oder sein möch­te. Sekun­den­stil, Wort­akro­ba­tik (»jubel­lus­tig«, »zorn­zit­ternd«, »armer­ar­mer Benn«), atem­lo­se Kür­zest­sät­ze, Insi­nua­tio­nen rasen durch die Zei­len: »Bil­der, Sät­ze, Zei­ten zer­an­nen in ihrem Hirn. Könn­test du …, sag­te Mop­sa. Benn wand­te sich ab und öff­ne­te das Fens­ter.« Schön illus­tra­tiv in die­ser Sze­ne immer­hin, wie Benn »sei­ne kur­zen Arme« ver­schränkt: »Ich fin­de die­ses Du zwi­schen uns unan­ge­bracht. Er räus­per­te sich. Eine der­ar­ti­ge Bezie­hung berech­tigt noch nicht zu Inti­mi­tä­ten. Er stand auf.« Nein, dies ist kein schlech­ter Roman. Viel­leicht illus­triert er eini­ges mus­ter­gül­tig. Benn: »er raucht, sie dreht ihre Rin­ge, / über­haupt nach­den­kens­wert / Ver­hält­nis von Ehe und Man­nes­schaf­fen / Läh­mung oder Hocht­rieb.« Ja, man weiß es nicht. Hier dreht sie, Lea, im Namen von Mop­sa ihre Rin­ge und Krei­se. Lesen, ekeln, weiterlesen.

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Lea Sin­gers Die Poe­sie der Hörig­keit kann man hier bestel­len.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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