Lawrence Osborne: Denen man vergibt. Roman

Lawrence Osborne: Denen man vergibt. Roman, Berlin: Wagenbach 2017. 268 S., 22 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Man­chen Roman (Stich­wort: Urlaubs­lek­tü­re) liest man so weg, wie man einen lecke­ren Imbiß ver­zehrt. Sät­ti­gung: ja, es bleibt aber kei­ne Erin­ne­rung. Mit Law­rence Osbor­nes Geschich­te (war­um ist es kei­ne Kurz­ge­schich­te oder eine Novel­le gewor­den?) ver­hält es sich anders. Sie gleicht einem Stol­per­stein und auch einem Wacker­stein, der schwer im Magen liegt. Man ärgert sich, man brü­tet, man krümmt sich. Und man wun­dert sich: über all die lob­prei­sen­den Rezen­sio­nen durch Edel­fe­dern im Bil­dungs­feuil­le­ton. War­um nun dies Brü­ten, Wun­dern und Ärgern? Zwei­er­lei Grün­de: weil der Roman sti­lis­tisch teil­wei­se zum Haa­re­rau­fen (»sei­ne mine­ral­grü­nen Augen lach­ten geräusch­voll«; »sein Inne­res schrie laut­los auf«: zwei von zahl­rei­chen Stil­blü­ten), inhalt­lich aber bedeut­sam ist und in mei­ner Les­art erheb­lich von dem abweicht (Kerouac! Kri­mi! Kolo­nia­lis­mus­kri­tik!), was ande­re dar­in lasen.

Osbor­ne, Jahr­gang 1958, ist gebür­ti­ger Bri­te und welt­rei­sen­der Metro­po­lit. Für sei­ne Repor­ta­gen in der New York Times wur­de er berühmt, die Idee zu die­sem Buch – sei­nen ers­ten auf deutsch erschie­ne­nen Roman – ent­stand wäh­rend einer Marok­ko­rei­se. Das Ori­gi­nal The For­gi­ven wur­de 2012 publi­ziert, also deut­lich vor den inhalts­ähn­li­chen Büchern Früh­ling der Bar­ba­ren von Jonas Lüscher (Sezes­si­on 59) und Das Mäd­chen mit dem Fin­ger­hut von Micha­el Köhl­mei­er (Sezes­si­on 71).

Dar­um geht’s: Das kin­der­lo­se bri­ti­sche Ehe­paar David und Jo Hen­nin­ger, er Anfang Fünf­zig, sie Anfang Vier­zig, er Arzt mit Reg­reß­pro­blem, sie Kin­der­buch­au­to­rin mit Absatz- und Krea­ti­vi­täts­pro­ble­men, reist per Auto in die marok­ka­ni­sche Wüs­te. Die Ehe ist mit­tel­de­so­lat: typi­sche Schwä­chen und Kon­flik­te die­ser Gene­ra­ti­on, die­ses Milieus. Sie sind von einem Schul­freund Davids zu einer Wochen­end­par­ty gela­den. Die­se opu­lent-deka­den­ten Feten sind legen­där, die cools­ten Blog­ger und welt­weit größ­ten Zei­tun­gen berich­ten über die­se Gela­ge. Das schwer­rei­che gast­ge­ben­de Schwu­len­pär­chen resi­diert in einem Ber­ber-Ksar. Die mus­li­mi­schen Auto­chtho­nen – zum größ­ten Teil Fos­si­li­en­samm­ler und ‑prä­pa­ra­to­ren, den »Geruch zor­ni­ger, jun­ger Män­ner« ver­strö­mend – rümp­fen die Nase über die per­ver­sen Exzes­se, benei­den aber auch den Reich­tum der Fremden.

Jo und David sind spät dran fürs Fest­mahl des ers­ten Abends, sie kut­schie­ren plan­los durch die dunk­le Wüs­te und zan­ken ein wenig. Da betritt ein jun­ger Fos­si­li­en­händ­ler die Fahr­bahn. David fährt ihn tot. Den Leich­nam lädt man in den Kof­fer­raum; der Vor­fall tan­giert die aus­ge­las­sen völ­lern­de, sau­fen­de, kok­sen­de, kif­fen­de, »mega­lo­po­le« Par­ty­ge­mein­de nur peri­pher. Sie neh­men kei­ne Notiz davon, daß bald der Vater des Unfall­op­fers anklopft und for­dert, der »Mör­der« möge mit­kom­men zur Beer­di­gung. Wenigs­tens das sei er schul­dig. David, zwar nicht wirk­lich reu­mü­tig, aber ver­wirrt, ein­ge­schüch­tert und nicht ganz nüch­tern, läßt sich dar­auf ein. Sei­ne Gast­ge­ber drän­gen ihn, the show must go on! Dabei ahnt Davids alter Schul­kol­le­ge durch­aus, wohin die Rei­se geht. Er kom­men­tiert des­sen Abtrans­port mit einem wei­te­ren schie­fen Bild: »Er hat rich­tig süß aus­ge­se­hen mit sei­nen Taschen. Wie ein Pfad­fin­der auf dem Weg nach Auschwitz.«

Die intro­ver­tier­te Jo bleibt zurück. Ein paar Stun­den ist sie besorgt, dann läßt sie sich – war sie nicht ohne­hin unzu­frie­den? – wil­len­los auf­sau­gen von der exqui­si­ten, bis aufs I‑Tüpfelchen cho­reo­gra­phier­ten Par­ty­ma­schi­ne­rie. Da ist die­ser freund­li­che Ame­ri­ka­ner mit dem spre­chen­den Namen »Day«. Was könn­te sich eine ver­blü­hen­de Frau ihres Alters mehr wün­schen als einen Mann, der sich für ihr »Wesen« inter­es­siert? Und, am Ende, gleicht nicht ein Sper­map­fütz­chen dem ande­ren? Hamid, dem Leib­die­ner des Homo­paa­res, ent­geht nichts, auch die­se Unter­neh­mung nicht: »Das war also die viel­ge­prie­se­ne Frei­heit der Frau­en? Was für eine erbärm­li­che Befreiung.«

Unter­des­sen bli­cken wir Leser zurück auf den Lebens­lauf von Driss, der nun tot ist. Wir rich­ten unse­re Auf­merk­sam­keit vor allem auf die Geschich­te sei­ner Euro­pa­tour – wie er eigent­lich gen Nor­den woll­te, aber wie da bereits in Spa­ni­en ihm die Nord­eu­ro­päe­rin Ange­la (aus­ge­rech­net!) über den Weg lief, die als Her­zens­gut­frau mit ihrem Gat­ten ein mon­dä­nes Anwe­sen bewohn­te und all­zu­gern Driss eine Chan­ce als Gärt­ner geben woll­te. »Was er ‑hass­te, war ihr Mit­leid. Sie waren sich offen­bar nicht im Kla­ren dar­über, daß er sie jeder­zeit töten konn­te.« Sie hin­ge­gen, die gut­mei­nen­den wei­ßen Nord­men­schen, ahn­ten nicht ein­mal, daß er umge­kehrt Mit­leid mit ihnen hat­te: »Ein Wüs­ten­mann ist ein Wüs­ten­mann. Er läßt sich nicht ver­füh­ren, schon gar nicht von einem wei­chen Kopfkissen.«

Driss erzählt, wie er Ange­la am Ende gemeu­chelt habe, um an den Tre­sor des Hau­ses zu kom­men. David weiß nichts von alle­dem. Er meint, sich am Ende gut geei­nigt zu haben mit Driss’ Vater. Daß
alles gut aus­ge­hen wer­de, als Jo ihn mit einer Fla­sche küh­len Weiß­weins an den Mau­ern des Ksar emp­fängt. Meint er. Er irrt. Er wird kei­ne Erben hin­ter­las­sen haben, die das interessiert.

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Law­rence Osbor­nes Denen man ver­gibt kann man hier bestel­len.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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