Miriam Gebhardt: Die Weiße Rose. Wie aus ganz normalen Deutschen Widerstandskämpfer wurden

Miriam Gebhardt: Die Weiße Rose. Wie aus ganz normalen Deutschen Widerstandskämpfer wurden, München: DVA 2017. 368 S., 19.99 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Es mag über­emp­find­lich sein, wenn man als Lese­rin bereits vom händ­ler­haf­ten Ver­kaufs­preis die­ses Buchs unan­ge­nehm berührt wird: Neu­es über den hel­den­haf­ten Wider­stand! Nur 19 Euro 99! Die Autorin, His­to­ri­ke­rin des Jahr­gangs 1962, die zuletzt Bücher über die Frau­en­be­we­gung unter Ali­ce Schwar­zer und über die tabu­be­wehr­ten Ver­ge­wal­ti­gun­gen an deut­schen Frau­en nach 1945 (sezession.de vom 7. April 2015) publi­ziert hat, wird dafür nichts kön­nen. Und hät­te Geb­hardt nun geschrie­ben: »Die Geschich­te der Wei­ßen Rose ist der­ma­ßen berüh­rend, daß sie es ver­dient, aber­mals eine Mono­gra­phie gewid­met zu bekom­men« – man hät­te kaum einen Ein­wand. Es stimm­te ja! Die Objek­te der Betrach­tung ver­die­nen es sicher, immer wie­der gewür­digt zu wer­den. Wann gab es das je wie­der: Sol­chen unver­brüch­li­chen, dabei skru­pu­lö­sen, rin­gen­den Wider­stands­geist jun­ger Men­schen, dem omni­po­ten­ten Zeit­geist zum Trotz? Weil die­se Ein­sicht unhin­ter­geh­bar ist, liest man auch Geb­hardts Buch trotz aller Ein­wän­de nicht ungern. Sie ver­schweigt auch nicht, daß der Kreis, den sie inten­si­ver beleuch­tet (Sophie und Hans Scholl, Alex­an­der Schmo­rell, Chris­toph Probst, Wil­li Graf und Kurt Huber), in sei­nen Ambi­tio­nen und per­sön­li­chen Antrie­ben nicht durch­weg anschluß­fä­hig wäre für unse­re Zeit. Ein Dozent wie Huber wür­de heu­te glas­klar als »völ­kisch« gebrand­markt, ein Chris­toph Probst, 23jährig als drei­fa­cher Vater hin­ge­rich­tet, wür­de heu­te mit sei­nen Ansich­ten, durch die Zahl des Nach­wuch­ses den »Pöbel« über­win­den zu kön­nen, defi­ni­tiv eines gefähr­lich eli­tä­ren Den­kens überführt.

Nun will Geb­hardt aber dezi­diert Neu­es brin­gen, um ihre Arbeit von all jenen Schrif­ten über die Wei­ße Rose abzu­he­ben, die weit­ge­hend von »Ama­teur­his­to­ri­kern, Leh­rern und Jour­na­lis­ten« ver­faßt wor­den sei­en. Ein heh­rer Anspruch für ein selbst popu­lär­wis­sen­schaft­li­ches Werk! Ihre (alle­samt schwach ver­tei­dig­ten) Ansatz­punk­te: Inge Scholl (die ältes­te Schwes­ter der Fami­lie) habe das Andenken domi­niert. Kla­ge: Nur eine der 129 Büs­ten in der Regens­bur­ger Wal­hal­la ehre ein Mit­glied der Wei­ßen Rose, näm­lich Sophie Scholl. Daß der offi­ziö­se Fokus auf Sophie womög­lich die his­to­ri­sche Sach­la­ge über­blen­det, mag stim­men. Nur: Femi­nis­tin Geb­hardt beklagt zugleich, daß der weib­li­che Anteil am Wider­stand klein­ge­re­det wor­den sei, und das habe mit den »Kon­junk­tu­ren der Geschlech­ter­ste­reo­ty­pie« und den »gera­de heu­te wie­der fröh­lich gras­sie­ren­den pola­ren Geschlech­ter­bil­dern zu tun.« Geb­hardt sieht sogar einen wesent­li­chen Antrieb zum Wider­stand gera­de Sophies in der »Geschlech­ter­rol­len­kol­li­si­on«. Hät­te sie län­ger leben dür­fen, wäre aus ihr wohl eine »Pio­nie­rin wie Hil­de­gard Hamm-Brü­cher« gewor­den! Wäre man bös, man wür­de dies als post­hu­me Ver­ge­wal­ti­gung bezeichnen.

War­um Sophie hier hin­ge­gen als »Mäd­chen« bezeich­net wird? Femi­nis­mus­in­tern ist es unüb­lich, jun­ge Frau­en mit dem Mäd­chen­at­tri­but zu belegen.

Des wei­te­ren will Geb­hardt den reli­giö­sen Antrieb der Wei­ßen Rose mini­mie­ren. Die Selbst­zeug­nis­se sind über­aus beredt, doch die Autorin beschei­det scharf: Hier schrie­ben kei­ne reli­gi­ös Erweck­ten, son­dern reli­gi­ös Suchen­de. Im Ernst nimmt sie dafür auch das Zeug­nis des Nef­fen von Alex­an­der Schmo­rell (der 2012 immer­hin von der rus­sisch-ortho­do­xen Kir­che hei­lig­ge­spro­chen wur­de): Alex­an­der habe reli­giö­se Din­ge »eher auf die leich­te Schul­ter« genom­men. Nef­fe Mar­kus, das soll­te man wis­sen, wur­de acht Jah­re nach der Hin­rich­tung sei­nes Onkels gebo­ren. Geb­hardt möch­te – und man darf ihre Her­an­ge­hens­wei­se als küchen­psy­cho­lo­gisch anse­hen – her­aus­schä­len, was die Wider­ständ­ler in ihrer Psy­cho­ge­ne­se ein­te. Oje: Sophie, Wil­li und Alex­an­der heil­ten ihren Lie­bes­kum­mer durch Kon­zen­tra­ti­on auf ein kol­lek­ti­ves Wohl. Eini­ge hat­ten mit frü­hem Tod der Eltern zu schaf­fen, auch wenn es sich nur um eine Art »sozia­len Todes« wie im Fal­le des que­ru­la­to­ri­schen Robert Scholl han­del­te. Die Autorin schöpft reich­lich aus dem Reser­voir von Rat­ge­bern und Frau­en­zeit­schrif­ten: Bei Sophie (hier: ein »Teen­ager« wie alle »fünf Freun­de«) gebe es Hin­wei­se auf »Mob­bing«, die Rede geht von »Res­sour­cen« von »Resi­li­enz«, von dem »jugend­li­chen Recht auf Ver­gnü­gen«. Am Ende wird sogar auf das »schö­ne Lied von Rein­hard Mey« zuge­grif­fen, der da singt: »Frei­heit nutzt sich ab, wenn man sie nicht nutzt.«

Inhä­rent logisch erscheint es, wenn Geb­hardt schließ­lich den heu­te »immer gewalt­tä­ti­ge­ren Aus­län­der­hass«, den »noto­ri­schen Anti-Isla­mis­mus« und »unre­flek­tier­ten neu­en Natio­na­lis­mus« als »heu­ti­ge Koor­di­na­ten für die Erin­ne­rung an die Wei­ße Rose« auf­zählt. Dies und zusätz­li­che Schlud­rig­kei­ten (wort­glei­che Wie­der­ho­lun­gen, Daten­feh­ler, etli­che sti­lis­ti­sche Pein­lich­kei­ten: Der Erfolg der Flug­blät­ter, »so viel sei jetzt schon ver­ra­ten«, sei »nicht beson­ders groß«.) machen Miri­am Geb­hardts Buch zu einer Lek­tü­re, die in dop­pel­ter Hin­sicht auf­re­gend ist: Ers­tens weil auch sie den inne­ren Kern die­ses zutiefst bestür­zen­den Wider­stands nicht ganz ver­feh­len kann, zwei­tens weil die gan­ze Last die­ser Nach­ge­bo­re­nen­weis­heit den Leser ordent­lich ins Hecheln bringt.

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Miri­am Geb­hardts Die Wei­ße Rose kann man hier bestel­len.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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