Felix Hartlaub (1913–1945) hat als Kriegstagebuchschreiber des OKW 1942–1944 das Manuskript Im Sperrkreis, seine privaten Aufzeichnungen aus der Wolfsschanze, hinausgeschmuggelt. Diese Texte machten ihn als Autor des »besten NS-Romans, der nie geschrieben wurde« (Welt), bekannt. Seine Schwester, Geno Hartlaub, publizierte sein Werk in den 50er Jahren, das Werk eines zartbesaiteten Dichters, der am falschen Ort eingespannt worden war. Der Tenor der Hartlaub-Biographie von Monika Marose (2005) geht auf Durs Grünbeins projektive Annäherung, jener habe wie Grünbein selbst »unter der Tarnkappe« Widerstand geleistet, zurück. Das allein wäre ein erzählenswürdiger deutscher Komplex.
Hartlaub war indes zuallererst promovierter Militärhistoriker, anders wäre er nicht ins OKW berufen worden. Seine Dissertation liegt nun neu vor (in der Ausgabe der Schwester wurde sie glatt unterschlagen, sie paßte nicht recht ins Widerstandsbild), herausgegeben vom Hitler-Biographen Wolfgang Pyta und von Wolfgang Schwiedrzik. Mit dieser Schrift, Don Juan D’Austria und die Schlacht bei Lepanto, wurde Felix Hartlaub 1940 von seinem Lehrer, dem George-Kreis-Anhänger Walter Elze, promoviert.
Hartlaubs Schrift ist keine Dissertationsschrift, wie sie in der heutigen und auch schon damals dominanten faktensammelnden analytischen Geschichtswissenschaft üblich war. Sie schmiegt sich eher an die großen historistischen Deutungen des 19. Jahrhunderts, an Burckhardt und Ranke an und schafft damit etwas, das uns heute schmerzlich fehlt: Geschichte als gedichtete, verdichtete und ergreifende Selbstversicherung des Eigenen.
»Don Juan wollte sich, bevor der Pulverqualm alles verhüllte, seinen Soldaten noch einmal zeigen, sie für sich entflammen und gleichsam Abschied nehmen, um dem Gebet der Mönche, dem kirchlichen Segen und der dadurch gekräftigten Tapferkeit seiner Soldaten das Feld zu überlassen. ›Was mir aufgegeben war, habe ich getan. Jetzt ist es an euch!‹ So werden seine Worte übereinstimmend berichtet. Er erinnerte an die Gebete des Papstes, an die Erwartung der gesamten katholischen Christenheit. Sie sollten tapfer kämpfen, damit der Feind, wenn er Sieger bliebe, sie nicht höhnisch frage: wo ist euer Gott?«
In der Schlacht bei Lepanto in der Meerenge von Patras im Jahre 1571 ist die als unbesiegbar geltende Kriegsflotte des Osmanischen Reiches unter Ali Pascha von der vereinigten Flotte der Katholischen Liga unter Führung des jungen spanischen Thronfolgers Don Juan d’Austria vernichtend geschlagen worden. Don Juan war als der uneheliche Sohn von Karl V. am spanischen Hof erzogen worden, doch die Habsburger schlossen sich der Liga nicht an. Der Historiker schreibt, es liege »etwas Tragisches darin, daß, als der Kaisersohn, das Kind der Donau, seinen großen Sieg gegen die Türken erfocht, das deutsche Kaiserreich fehlte«. Die Zerrissenheit des damaligen Europa – der protestantische Norden hielt geschlossen lieber zu den Muselmanen als zu seinen katholischen Glaubensbrüdern – machte den Sieg über die Türken zu einem historischen Wunder, das Hartlaub deshalb nicht nach materiellen Verlusten und überdauernden strategischen Ergebnissen bewerten will, sondern es zu den Ereignissen zählt, »die auf einer höheren Ebene der Geschichte liegen«.
Wer sich im Phalanx-Europa-Laden ein Leiberl mit dem Druck »Gulf of Patras, Lepanto 1571, Europe’s Holy League« besorgt, der schifft sich mit auf diese höhere Ebene der Geschichte ein.
Wolfgang Schwiedrziks Vorwort zu Hartlaubs Lepanto-Schrift gelingt einiges: Hartlaub aus der Legende des »kommunistischen Widerstands« herauszulösen, soweit diese Legende ihn vereinnahmte, und ihn als doppelbödigen Berichterstatter im Führerhauptquartier zu würdigen, ihn als fachlich bewanderten Historiker zu beschreiben und nicht als im NS fehlgeleitete Dichternatur, ihn zwischen George-Kreis-Faszination und dokumentierender Wissenschaft aus seinen Selbstzeugnissen heraus zu verorten – und schließlich das, was dieses Vorwort brisant macht.
Denn wenn man liest, was Hartlaub 1939 über die Schlacht von 1571 schreibt, »kommt einem die Situation irgendwie bekannt vor«, konstatiert Schwiedrzik: »Eu-ropa ist heute in einer Weise von außen (und inzwischen auch von innen) bedroht, wie schon seit den Türkenkriegen 1526–1532 und der Belagerung Wiens im Jahr 1683 nicht mehr. […] Aber kein Schüler in Berlin oder Wien wüsste heute auf die Frage zu antworten, wann und gegen wen die Schlacht bei Lepanto geschlagen wurde und welcher Oberbefehlshaber sich dort unsterbliche Verdienste erworben hat.«
Hartlaubs große historistische Schilderung sei zur Behebung solchen Mangels nicht nur der identitären Jugend empfohlen, und Schwiedrziks abschließender Empfehlung, Kardinal Ratzingers Rede zum Islam aus dem Jahr 2006 noch einmal zu lesen, sollte auch rasch entsprochen werden.
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