Mark Jones: Am Anfang war Gewalt. Die deutsche Revolution 1918/19 und der Beginn der Weimarer Republik

Olaf Haselhorst rezensiert für uns: Mark Jones: Am Anfang war Gewalt. Die deutsche Revolution 1918/19 und der Beginn der Weimarer Republik, Berlin: Propyläen 2017. 432 S., 26 €

Die Ereig­nis­se um die deut­sche Revo­lu­ti­on 1918/19 sind weit­ge­hend erforscht und sen­sa­tio­nel­le neue Erkennt­nis­se kaum noch zu erwar­ten. Bringt ein jun­ger His­to­ri­ker zu die­sem The­ma ein Buch her­aus, muß er daher zu des­sen Begrün­dung schon mit einer stei­len The­se auf­war­ten. Des Autors Kern­the­se ist: Die Aus­wüch­se mör­de­ri­scher Gewalt, die die Geschich­te Deutsch­lands im 20. Jahr­hun­dert präg­ten, nah­men ihren Anfang nicht 1933, 1939 oder 1941, son­dern 1918/19. Hier sei Deutsch­land auf den Kurs ein­ge­schwenkt, der spä­ter in die Hor­ror-exzes­se des Drit­ten Reichs und des Zwei­ten Welt­kriegs mün­de­te. Man muß nicht erst das gan­ze Werk durch­ge­ar­bei­tet haben, um die­se Behaup­tung als falsch bezeich­nen zu kön­nen. Die Bru­ta­li­sie­rung der Gesell­schaft hat­te eine weit län­ge­re Vor­ge­schich­te. Sie geht viel­mehr auf das Kon­to des vier­jäh­ri­gen Welt­kriegs. Mil­lio­nen Sol­da­ten waren gefal­len oder zu Krüp­peln gewor­den, Hun­gerepi­de­mien hat­ten – selbst noch nach Kriegs­en­de – rund eine Mil­li­on Zivi­lis­ten in Deutsch­land getö­tet. Die Sol­da­ten hat­ten an der Front gelernt, daß mili­tä­ri­sche Gewalt Tat­sa­chen schafft. Deut­sche Sozia­lis­ten hat­ten ihr gro­ßes Vor­bild Sowjet­ruß­land vor Augen, wo Lenin, Trotz­ki und Kon­sor­ten eben­falls mit mili­tä­ri­schen Gewalt­mit­teln den Staat umkrem­pel­ten und einen Bür­ger­krieg vom Zaun bra­chen. Als Kin­der ihrer Zeit waren die Men­schen von die­sen Ereig­nis­sen geprägt – und han­del­ten ent­spre­chend.  Das, was Jones »deut­sche Revo­lu­ti­on« nennt, ist bes­ser als deut­scher Bür­ger­krieg umschrie­ben. Nicht die blu­ti­gen Umsturz­ver­su­che nach Ein­stel­lung der Kampf­hand­lun­gen haben die gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se ver­än­dert, son­dern die Ein­füh­rung des par­la­men­ta­ri­schen Regie­rungs­sys­tems am 28. Okto­ber 1918, also noch vor Abdan­kung des Kai­sers und dem Waf­fen­still­stand. Die­se wich­ti­ge Wei­chen­stel­lung erwähnt Jones mit kei­nem Wort. Sie war auch not­wen­dig gewor­den, weil ohne »Demo­kra­ti­sie­rung« der Gesell­schaft die Entente-Sei­te nicht bereit war, in Waf­fen­still­stands­ver­hand­lun­gen mit Deutsch­land ein­zu­tre­ten. Alle spä­te­ren Ver­su­che, die­se Okto­ber­re­for­men rück­gän­gig zu machen, stie­ßen auf vehe­men­ten Wider­stand der durch die­sen Akt an die Macht gekom­me­nen SPD-Regie­rung. Dafür bedien­te sie sich der Reichs­wehr, und im Ebert-Groe­ner-Pakt ver­ab­re­de­ten SPD und Trup­pen­füh­rung die Auf­recht­erhal­tung der neu­en Ord­nung und ein gemein­sa­mes Vor­ge­hen gegen links­extre­mis­ti­sche Umsturzversuche.

Immer wie­der fragt Jones sich und den Leser nach der Moti­va­ti­on für die im Zuge der Bür­ger­kriegs­kämp­fe auf­ge­tre­te­nen Gewalt­ex­zes­se, wobei er die Ver­ant­wor­tung dafür vor allem bei der legi­ti­men Regie­rung um Fried­rich Ebert, Phil­ipp Schei­de­mann und Gus­tav Noske sowie den durch sie beauf­trag­ten Trup­pen und Frei­korps sieht. Wenn der Autor von »Opfern poli­tisch moti­vier­ter Gewalt« schreibt, geht dabei unter, daß das Gewalt­mo­no­pol beim Staa­te liegt und die­ser befugt und berech­tigt ist, das Staats­we­sen – und wir spre­chen hier von einer wer­den­den par­la­men­ta­ri­schen Demo­kra­tie, die noch dazu einen äuße­ren Feind im Nacken hat­te – vor gewalt­tä­ti­gen Umstür­zen zu schützen.

Jones zählt sei­ten­wei­se Exzeß­ta­ten auf, die den Regie­rungs­trup­pen vor­zu­wer­fen sind. Aber nicht alles, was aus der beque­men zeit­li­chen Ent­fer­nung von 100 Jah­ren als »Greu­el­tat« erscheint, ist auch eine. Wer als Nicht­be­rech­tig­ter mit der Waf­fe in der Hand ange­trof­fen wur­de, konn­te erschos­sen wer­den. Ergrif­fe­ne Umstürz­ler unter­la­gen dem Stand­recht. Gefan­ge­ne wur­den kaum gemacht, außer sie eig­ne­ten sich wie in Mün­chen als Gei­seln, die dann beim Ein­marsch von Regie­rungs­trup­pen in die Stadt durch Ange­hö­ri­ge der »Roten Gar­de« ermor­det wur­den. Die Tat ver­sucht Jones mit dem Hin­weis zu beschö­ni­gen, sie­ben der Ermor­de­ten sei­en Mit­glie­der der anti­se­mi­ti­schen Thu­le-Gesell­schaft, mit­hin »Rechts­extre­me« gewesen.

Für Jones sind nicht die Extre­mis­ten von links und rechts und der Man­gel an Demo­kra­ten ver­ant­wort­lich für den Unter­gang der Demo­kra­tie, son­dern die 1918/19 regie­ren­den Sozi­al­de­mo­kra­ten, die als »akti­ve För­de­rer neu­er For­men staat­li­cher Gewalt« die Dele­gi­ti­mie­rung der Wei­ma­rer Repu­blik betrie­ben hät­ten. Er kre­iert eine neue Son­der­wegs­the­se, indem er poli­ti­sches Poten­ti­al für bru­ta­le Gewalt in die­ser Zeit nur in Deutsch­land ver­or­tet und dabei die Ereig­nis­se in Ruß­land, Finn­land, im Bal­ti­kum, in Ungarn, Polen, Irland, der Tür­kei oder Tsche­cho­slo­wa­kei ausblendet.

»Am Anfang war Gewalt«, schreibt Jones. Er hat recht, nur lag die­ser Anfang 1918/19 bereits über vier Jah­re zurück. Und der »Frie­dens­ver­trag von Ver­sailles« war nichts ande­res als eine Ver­la­ge­rung der Kriegs­hand­lun­gen auf das diplo­ma­ti­sche Par­kett. Wie falsch Jones in der Ein­schät­zung der Zeit ist, wird schla­gend in sei­nem Satz deut­lich: »Im Juni 1919 akzep­tier­te die deut­sche Repu­blik den Ver­sailler Ver­trag.« Wahr­heit ist hin­ge­gen, daß alle maß­geb­li­chen Poli­ti­ker der Wei­ma­rer Repu­blik die­sen »Ver­trag« nie akzep­tiert, son­dern auf sei­ne Revi­si­on hin­ge­ar­bei­tet haben.

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Mark Jones’ Am Anfang war Gewalt kann man hier bestel­len.

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