Thor v. Waldstein ist nach eigenen Angaben kein Intellektueller. Neben einigen Vorzügen bringt das mit sich, daß es so etwas wie ein in sich geschlossenes Hauptwerk dieses eigenwilligen Kopfes nicht gibt. Wer sich – wie einst der Autor dieser Zeilen – getrieben von einigen Texthappen oder gar seinem unvergeßlichen Vortragsstil auf der Suche nach mehr befand, graste deshalb bisher die spärlichen Einträge seiner Suchmaschine ab oder mußte sich mit einer kleinen Handvoll sehr spezieller Einzelmonographien (Beutewert des Staates, Metapolitik, Binnenschiffahrtsrecht) begnügen. Es ist daher sehr zu begrüßen, daß nun eine Sammlung aktualisierter Aufsätze v. Waldsteins aus fast drei Jahrzehnten vorliegt.
Daß Deutschland endlich wieder eine politisch handlungsfähige, vor allem aber handlungswillige Nation werde und »das zweifelhafte Vergnügen, das bundesdeutsche Elend in einem circa 40 Jahre lang währenden Horrorfilm zu verfolgen«, endlich ein Ende habe, ist der einzige Daseinsgrund dieses Buches. Wer nach der Lektüre immer noch nicht verstanden hat, warum der Liberalismus dazu erst in hohem Bogen auf den Müllhaufen der Geschichte fliegen muß, dem ist nicht zu helfen. Eine Weltanschauung, die ihre antipolitischen Gesellschaftsentwürfe auf die pflichtenlosen Rechte des einzelnen gründet und sich zum Kitten der selbstverschuldeten Risse auf sämtliche menschlichen Schwächen verlegt, kann nicht die Grundlage einer sich selbst behauptenden Nation sein.
Die derzeitige Lage unserer Nation wird im Parforceritt einer schonungslosen Musterung unterworfen. Thor v. Waldsteins Sprachgewalt sorgt dafür, daß sich auch die deprimierendsten Absätze mit Vergnügen lesen lassen. Für die meisten Leser dürfte eine aus der Perspektive des langjährig praktizierenden Anwalts geschriebene Lagebeurteilung des gegenwärtigen bundesdeutschen Justizsystems von besonderem Interesse sein.
Fünf Porträts herausragender Denker der letzten Jahrzehnte runden den Band ab und laden gerade den jungen Leser ein, das politische Denken auf eigene Faust zu erlernen. Überhaupt finden sich in den Literaturverweisen zwischen den Quellennachweisen immer wieder verborgene Schätze.
Weniger erfreulich ist hingegen, daß der 1959 geborene Autor zu denjenigen Nationalkonservativen der alten Bundesrepublik zählt, die noch immer nicht verwunden haben, daß die Wiedervereinigung 1990 durch eine Politik konsequenter Westbindung erreicht wurde. Dieses Ressentiment schlägt sich in einem prinzipiellen Antiamerikanismus nieder, der schlecht zu einem Denken paßt, dessen einziger Maßstab das deutsche Nationalinteresse sein will. Wenn das zu der Behauptung führt, die Mitteldeutschen hätten am 9. November 1989 »als erste das kommunistische Joch abgeworfen«, dann ist das noch harmlose Mystifizierung.
Ernst wird es, wenn um des alten Grolls willen neue Feindlagen nicht mehr angemessen erkannt werden. Thor v. Waldstein ist der letzte, der die Gefahren des demographischen Austauschs kleinreden würde. Deshalb wirken seine Versuche, durch die kulturgeschichtliche Hintertür auch an dieser Front den Yankee zum Hauptfeind zu erklären, gerade bei einem so politischen Kopf befremdlich. Glücklicherweise bleibt es bei dieser Idiosynkrasie, so daß sich zum Trost ein Aufsatz über die geopolitischen Chancen Deutschlands im asiatischen 21. Jahrhundert mit Gewinn lesen läßt.
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