Jahrzehntelang hat sich die etablierte Forschung in Deutschland kaum mit der Militärgeschichte des Dritten Reiches beschäftigt. Im Ausland war das anders. Der in London lehrende Historiker David Motadel befaßt sich in dem vorliegenden Werk mit Muslimen als potentiellen deutschen Verbündeten. Es ist in drei Abschnitte gegliedert, überschrieben mit »Muslime in der Kriegspolitik«, »Muslime in den Kriegsgebieten«, d.h. in Nordafrika, auf dem Balkan, auf der Krim und im Kaukasusgebiet sowie »Muslime in der Armee«, d.h. in Heer und Waffen-SS. Ein Epilog gibt einen kurzen Ausblick auf die Entwicklung im Kalten Krieg. Nach einem kurzen Exkurs in die Zeit des Kaiserreiches widmet Motadel sich der NS-Politik. Der Autor macht es sich dabei zu einfach, wenn er eine stringente deutsche Politik hin zu einer Massenmobilisierung von Muslimen konstatiert. Er übersieht die polykratische Struktur des Dritten Reiches. Unter dem Diktator konkurrierten verschiedene Institutionen um Macht und Einfluß. Hitler hatte kategorisch eine Bewaffnung Fremdvölkischer verboten, vor allem aus der besetzten Sowjetunion. Wenn das Ostheer zur eigenen Entlastung aus Gefangenen und Überläufern Hilfstruppen aufstellte, geschah das bis 1943 in Eigeninitiative. Lediglich die Bildung von »Legionen« aus Angehörigen sowjetischer Völker zur Sicherung rückwärtiger Gebiete war erlaubt. Nach Stalingrad genehmigte Hitler dann offiziell die Bildung von nichtdeutschen Verbänden für den Fronteinsatz. Himmler hatte hingegen seit 1940 im engen Rahmen der NS-Rassenideologie einen größeren Spielraum. Angehörige »germanischer Völker« – vor allem aus Skandinavien, Holland, Belgien und der Schweiz – durften für die Waffen-SS angeworben werden. Ab 1943 spielten rassenideologische Kriterien dann bei der Aufnahme in die Waffen-SS keine Rolle mehr. Aber selbst bei verringerten Rekrutierungsstandards mußten viele Bewerber abgewiesen werden. Motadel kennt die militärhistorische Fachliteratur nicht, sonst wüßte er, daß die Kampfkraft der muslimischen Verbände weit unter den deutschen Erwartungen blieb. So war zwar die Aufstellung der SS-Division »Handschar« aus bosnischen Muslimen unter Mitwirkung des Großmuftis von Jerusalem Mohammed Amin al-Husseini ein Propagandacoup, militärisch kam ihr Einsatz einem Desaster gleich. Zur Ausbildung nach Frankreich verlegt, meuterten Teile der Soldaten. Im Antipartisaneneinsatz in Kroatien fiel die Truppe durch Gewaltexzesse auf, zahlreiche Soldaten desertierten zu den Tito-Kämpfern. Im Oktober 1944 war sie nicht mehr verwendbar, im Dezember wurde die Division aufgelöst. Noch schlimmer verhielt es sich mit der aus albanischen Muslimen bestehenden SS-Division »Skanderbeg«. Ihr deutscher Kommandeur Schmidhuber charakterisierte sie »lediglich nach ihrer äußeren Uniformierung« als ein militärähnliches Gebilde. Disziplinlosigkeit werde liebevoll gepflegt. Der Heldenmut des Albaners gehöre in das Reich der Sage, und er sei nur am Plündern und Stehlen interessiert.
Motadel schildert den enormen verwaltungs- und werbetechnischen Aufwand um die wenigen muslimischen Verbände, der in keinem Verhältnis zu ihrem militärischen Nutzen steht. Auch die propagandistische Wirkung war vergleichsweise gering. Hier fragt sich der Leser, ob die knappen Ressourcen von deutscher Seite nicht sinnvoller hätten verwendet werden können.
Der Verfasser sieht – anknüpfend an Edward Saids »Orientalismus«-Theorie – in den Muslimen lediglich Objekte okzidentaler Herrschaftsgelüste. Der Islam werde für politische Zwecke »instrumentalisiert«, schreibt er mehrfach. Daß sich Muslime ganz gezielt den Deutschen angedient haben könnten, weil sie – ähnlich wie Balten oder Ukrainer – etwa die staatliche Autonomie anstrebten, kommt ihm nicht in den Sinn. Es fehlt ein Verzeichnis der verwendeten Literatur. Diese muß man mühsam im Anmerkungsapparat suchen, der fast ein Drittel des Gesamtumfangs des Buches einnimmt.
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