Thierry Baudet: Oikophobie

Jörg Seidel über Thierry Baudet: Oikophobie. Der Hass auf das Eigene und seine zerstörerischen Folgen, Graz: Ares Verlag 2017. 192 S., 18 €

Was für ein kraft­vol­ler und selbst­be­wuß­ter Titel! Das weckt Vor­freu­den. Man erwar­tet Ana­ly­se nebst Pro­gno­se eines der Zen­tral­pro­ble­me der Jetzt­zeit, des Ver­lus­tes und der »Ver­tei­di­gung des Eige­nen«. Zudem wird uns Thier­ry Bau­det, der Autor, als »kon­ser­va­ti­ves Wun­der­kind« vor­ge­stellt – da hät­te man schon skep­tisch wer­den sollen.

Es braucht weni­ge Sei­ten, um zu begrei­fen, daß hier kein aus einem Stück gegos­se­ner Fun­da­men­tal­es­say vor­liegt, son­dern ein aus klei­nen Ein­zel­es­says zusam­men­ge­stü­ckel­tes Puz­zle mit Pas­se­par­tout. Letz­te­res soll der wohl­klin­gen­de Begriff »Oiko­pho­bie« – der Oikos, das Eige­ne – dar­stel­len, der im gan­zen Text kei­ne Rol­le fin­det, im Vor- und im Nach­wort aller­dings pas­send­ge­klopft wird.

Dabei beginnt Bau­det recht vital, zieht mit sat­ten Far­ben Ver­bin­dun­gen zwi­schen Staat, Volk, His­to­rie, Kunst und Moder­ne, fin­det grif­fi­ge For­meln: »Hier­bei geht es nicht um eine Ideo­lo­gie – es geht um Patho­lo­gie«, um frei­lich schnell ein­zu­ge­ste­hen: »Auf die Fra­gen, was die Ursa­che der Oiko­pho­bie ist, habe ich kei­ne Lösung gefunden.«

War­um dann ein Buch schrei­ben? Will er sich auf die Ana­ly­se, die Rah­men­be­din­gun­gen beschrän­ken? Auch das wäre eine lobens­wer­te Aufgabe.

Die erfüllt er im ers­ten grö­ße­ren Kapi­tel, das sich dem »euro­päi­schen Pro­jekt« wid­met, noch ansatz­wei­se. Bau­det, der 2016 die Par­tei Forum voor Demo­cra­tie gegrün­det hat, gewährt dem Leser man­chen Ein­blick in die gro­ße Maschi­ne EU mit ihren über­bor­den­den Insti­tu­tio­nen, dem Lob­by­is­mus, den ideo­lo­gi­schen Grund­le­gun­gen. Eine gewis­se Nei­gung zur Ver­ein­fa­chung und zur Ent­dif­fe­ren­zie­rung ist aller­dings nicht zu über­se­hen. Man bekommt immer stär­ker den Ein­druck, daß Bau­det nicht erklä­ren, son­dern ver­kün­den will – und zwar sein eige­nes Ver­ständ­nis und Programm.

Die EU mün­det für ihn über den Supra­na­tio­na­lis­mus zwangs-läu­fig in den Föde­ra­lis­mus, muß eine unüber­wind­ba­re, sich selbst repli­zie­ren­de tau­sen­darm­i­ge Kra­ke an Insti­tu­tio­nen schaf­fen, die an der »Über­tra­gung der Sou­ve­rä­ni­tät und der Schaf­fung eines neu­en Staa­tes, näm­lich den Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Euro­pa« arbei­te, was aus aller­lei Grün­den nie und nim­mer funk­tio­nie­ren kön­ne und daher letzt­lich über den »Abbau des Regel­wer­kes«, die »Auf­lö­sung des Euro­päi­schen Par­la­ments«, die Schaf­fung einer »klei­nen Kom­mis­si­on, die ledig­lich den Frei­han­del koor­di­niert«, den Abbau der »Außen- und Sicher­heits­po­li­tik« und die Abschaf­fung des Euro ins Reich der Geschich­te geschickt wer­den müs­se. Spä­ter ver­weist er noch auf die Apo­rien, die sich aus Super­be­hör­den wie der WTO oder dem Inter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­hof erge­ben. Hier scheint der stu­dier­te Juris­ten durch.

Danach ver­liert sich der rote Faden voll­ends. Es wer­den noch Ein­wan­de­rung und Islam bedacht, dann wird der ers­te Pro­zeß gegen Geert Wil­ders reka­pi­tu­liert, um sich schließ­lich im exten­si­ven Mit­tel­teil in innen­po­li­ti­sche Tages­er­schei­nun­gen der Nie­der­lan­de zu ver­lie­ren, denen zu fol­gen dem Nicht­hol­län­der schwer fällt. Grif­fig sind dann nur noch die ver­ein­zel­ten For­de­run­gen und Ver­kün­di­gun­gen: »Die Para­gra­phen über Belei­di­gung und Ansta­che­lung zum Hass müs­sen gestri­chen wer­den« oder: »Das Leug­nen his­to­ri­scher Tat­sa­chen muss mög­lich sein« oder »Wo die Tyran­nei der Mehr­heit die Achil­les­fer­se der Demo­kra­tie ist, ist die Tyran­nei der Min­der­hei­ten die Achil­les­fer­se des Rechtsstaates« …

Um sei­nen Rund­um­schlag zu voll­enden und viel­leicht auch, um die Sei­ten­zahl 200 zu errei­chen, wer­den noch moder­ne Kunst, Kli­ma­er­wär­mung, die Freu­den der Enten­jagd, die Kunst, eine Zigar­re zu rau­chen, die zivi­li­sa­ti­ons­zer­set­zen­de Macht des Vibra­tors und ein, zwei Din­ge, die ich nicht ver­ste­he, angeführt.

Das alles wird mit einem Nach­wort, in dem der schö­ne Begriff »Oiko­pho­bie« end­lich wie­der auf­taucht, zusam­men­ge­leimt. Davon abge­se­hen krankt das Buch an einem Geburts­feh­ler: Es stammt im Ori­gi­nal aus dem Jah­re 2013, behan­delt die Geschich­te des frü­hen Jahr­zehnts und weiß noch nichts vom Brexit, ISIS, neu­en Ter­ror, Köln, vom Schick­sals­jahr 2015.

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Thier­ry Bau­dets Oiko­pho­bie kann man hier bestel­len.

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