Alexander Grau: Hypermoral

Der von Arnold Gehlen geprägte Begriff der »Hypermoral« hat spätestens seit dem triumphalen Sommer der Fremdenliebe des Jahres 2015

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

wie­der enorm an Aktua­li­tät gewon­nen. Der 1968 gebo­re­ne Phi­lo­soph und Cice­ro-Kolum­nist Alex­an­der Grau hält sich in sei­nem schma­len, aber gehalt­vol­len Büch­lein jedoch gar nicht erst damit auf, die Nai­vi­tä­ten der »Gut­men­schen« und Hell­deut­schen mit­samt ihren manich­äi­schen Vor­stel­lun­gen zu atta­ckie­ren, nicht zuletzt, weil er sich gegen jeg­li­che Form der »Emo­tio­na­li­sie­rung« und »Empö­rung« , die­sen Modi »der spät­mo­der­nen Mas­sen­ge­sell­schaft« wen­det. Viel­mehr gilt es, die tie­fe­ren Ursa­chen der Domi­nanz und Anzie­hungs­kraft des »Hyper­mo­ra­lis­mus« zu unter­su­chen. Trotz sei­ner Beteue­rung, daß man die­se »Leit­ideo­lo­gie unse­rer Zeit« in guter Phi­lo­so­phen­ma­nier »nicht wer­tend« »anzu­er­ken­nen« habe, gerät Grau erfreu­li­cher­wei­se rasch in scharf pole­mi­sches Fahr­was­ser, was wohl in der Natur der Sache selbst liegt: »Hyper­mo­ral« ist nun mal eine empö­ren­de Sache, nicht zuletzt von einem mora­li­schen Stand­punkt aus betrachtet.

Und eine gefähr­li­che: Denn eine Zivi­li­sa­ti­on, die eine der­ar­ti­ge Hyper­tro­phie eines Teil­be­rei­ches zuläßt und einen »andau­ern­den Krieg gegen die eige­ne Ver­gan­gen­heit und Her­kunft« führt, begibt sich auf den Kurs der Selbst­zer­stö­rung. »Hyper­mo­ra­lis­mus«, zu dem auch die »poli­ti­sche Kor­rekt­heit« gehört, ist nicht bloß Nai­vi­tät oder Dumm­heit, son­dern eine veri­ta­ble Reli­gi­on, eine »end­zeit­li­che, qua­si escha­to­lo­gi­sche«, aber säku­la­re Leh­re, die eine emi­nent poli­ti­sche Bedeu­tung hat: Als »intel­lek­tu­el­ler Über­bau zur wirt­schaft­li­chen Glo­ba­li­sie­rung« ist der Hyper­mo­ra­lis­mus (oder »huma­ni­tä­re Uni­ver­sa­lis­mus«, wie Rolf Peter Sie­fer­le es nann­te) »ein wesent­li­cher Teil der Glo­ba­li­sie­rungs­ideo­lo­gie«. Wie Chris­to­pher Lasch und Samu­el Hun­ting­ton schon in den neun­zi­ger Jah­ren beschrie­ben haben, wird die­se sich alter­na­tiv­los dün­ken­de Ideo­lo­gie von inter­na­tio­na­lis­tisch-kos­mo­po­li­ti­schen Eli­ten getra­gen, die gleich­zei­tig zumin­dest nach außen hin kei­ne Eli­ten sein wol­len und statt­des­sen ega­li­tä­re Idea­le pro­pa­gie­ren, die mit »hedo­nis­ti­schen Selbst­ent­wür­fen« und nar­ziß­ti­schen »Eman­zi­pa­ti­ons­be­dürf­nis­sen« einhergehen.

Dabei ent­wi­ckeln sie para­do­xer­wei­se einen mis­sio­na­ri­schen, »jako­bi­ni­schen« Eifer und einen »Zug ins Auto­ri­tä­re«, der in ein »Dik­tat zur Offen­heit« mün­det. Der »Hyper­mo­ra­lis­mus« ist somit »Habi­tus« (Pierre Bour­dieu) einer herr­schen­den Klas­se, und wer deren Glau­bens­vor­stel­lun­gen mit­samt ihrem »Jar­gon der Welt­of­fen­heit« (Frank Böckel­mann) über­nimmt, eig­net sich beträcht­li­ches sozia­les Kapi­tal an, zeigt, daß er zu den »Diver­sen«, »Bun­ten«, »Fle­xi­blen«, und sons­ti­gen Ange­häng­ten gehört oder gehö­ren will. Man könn­te end­los aus die­sem ful­mi­nan­ten Büch­lein zitie­ren, in dem jeder Satz ein Voll­tref­fer ist: »Um bunt zu blei­ben, muß die bun­te Gesell­schaft farb­los wer­den. Viel­falt wird zur Einheitsideologie.«

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Alex­an­der Grau: Hyper­mo­ral. Die neue Lust an der Empörung, Mün­chen: Clau­di­us 2017. 128 S., 12 €

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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