wieder enorm an Aktualität gewonnen. Der 1968 geborene Philosoph und Cicero-Kolumnist Alexander Grau hält sich in seinem schmalen, aber gehaltvollen Büchlein jedoch gar nicht erst damit auf, die Naivitäten der »Gutmenschen« und Helldeutschen mitsamt ihren manichäischen Vorstellungen zu attackieren, nicht zuletzt, weil er sich gegen jegliche Form der »Emotionalisierung« und »Empörung« , diesen Modi »der spätmodernen Massengesellschaft« wendet. Vielmehr gilt es, die tieferen Ursachen der Dominanz und Anziehungskraft des »Hypermoralismus« zu untersuchen. Trotz seiner Beteuerung, daß man diese »Leitideologie unserer Zeit« in guter Philosophenmanier »nicht wertend« »anzuerkennen« habe, gerät Grau erfreulicherweise rasch in scharf polemisches Fahrwasser, was wohl in der Natur der Sache selbst liegt: »Hypermoral« ist nun mal eine empörende Sache, nicht zuletzt von einem moralischen Standpunkt aus betrachtet.
Und eine gefährliche: Denn eine Zivilisation, die eine derartige Hypertrophie eines Teilbereiches zuläßt und einen »andauernden Krieg gegen die eigene Vergangenheit und Herkunft« führt, begibt sich auf den Kurs der Selbstzerstörung. »Hypermoralismus«, zu dem auch die »politische Korrektheit« gehört, ist nicht bloß Naivität oder Dummheit, sondern eine veritable Religion, eine »endzeitliche, quasi eschatologische«, aber säkulare Lehre, die eine eminent politische Bedeutung hat: Als »intellektueller Überbau zur wirtschaftlichen Globalisierung« ist der Hypermoralismus (oder »humanitäre Universalismus«, wie Rolf Peter Sieferle es nannte) »ein wesentlicher Teil der Globalisierungsideologie«. Wie Christopher Lasch und Samuel Huntington schon in den neunziger Jahren beschrieben haben, wird diese sich alternativlos dünkende Ideologie von internationalistisch-kosmopolitischen Eliten getragen, die gleichzeitig zumindest nach außen hin keine Eliten sein wollen und stattdessen egalitäre Ideale propagieren, die mit »hedonistischen Selbstentwürfen« und narzißtischen »Emanzipationsbedürfnissen« einhergehen.
Dabei entwickeln sie paradoxerweise einen missionarischen, »jakobinischen« Eifer und einen »Zug ins Autoritäre«, der in ein »Diktat zur Offenheit« mündet. Der »Hypermoralismus« ist somit »Habitus« (Pierre Bourdieu) einer herrschenden Klasse, und wer deren Glaubensvorstellungen mitsamt ihrem »Jargon der Weltoffenheit« (Frank Böckelmann) übernimmt, eignet sich beträchtliches soziales Kapital an, zeigt, daß er zu den »Diversen«, »Bunten«, »Flexiblen«, und sonstigen Angehängten gehört oder gehören will. Man könnte endlos aus diesem fulminanten Büchlein zitieren, in dem jeder Satz ein Volltreffer ist: »Um bunt zu bleiben, muß die bunte Gesellschaft farblos werden. Vielfalt wird zur Einheitsideologie.«
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Alexander Grau: Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung, München: Claudius 2017. 128 S., 12 €