Es ist eine heitere und weltweise Sprachspielgeschichte. Wir haben die achte Auflage vorliegen, sie stammt aus dem Jahr 2005. Einmal geht es um das Wortspiel Neger-Regen. Natürlich wurde nun das Wort „Neger“ von den Herausgebern mit einem Sternchen versehen.
Im Anhang folgende Erläuterung: „Neger leitet sich vom lateinischen niger=schwarz ab. Ganz abgesehen davon, daß nicht alle ‘Neger´ schwarz sind, sondern farbig/dunkelhäutig, wurde diese Bezeichnung oft auch sehr abwertend, respektlos gebraucht. Deshalb wird heute von Afrikanern und Afro-Amerikanern gesprochen.“ Kind, versuch, damit heute durchzukommen!
– – –
1.April 2018 – Haben wir schon oft festgestellt: Was gesagt /geschrieben wird, ist gar nicht entscheidend, sondern vielmehr, wer wo und wann etwas äußert. Das gilt auch jenseits des strikt politischen Raums.
Ein Buch namens Beute wurde nun geschrieben. Darin: Jemand lernt das Jagdhandwerk. Beschreibt, wie erhebend es ist, wenn man das Blut eines mächtigen Tieres vergießt, wenn “die Potenz” dieses Wesens auf einen übergeht. Mit Seelenruhe wird geschildert, wie Speiseröhren aus Kehlen gezogen, Schädel ausgekocht werden. Und die erlegte Wildsau trug eine Handvoll Frischlinge im Bauch – das ist dann wohl ein effizienter Schuß gegen die Schädlinge!
Ich bin überzeugt davon, daß dieses Buch eher „nicht so gut“ aufgenommen worden wäre bzw. gar keinen Verlag gefunden hätte, wenn es von einem jungen weißen Mann geschrieben worden wäre. Die Autorin, Pauline de Bok, ist in ihren Sechzigern. Dann ist es schon wieder ganz cool, oder?
– – –
2. April 2018 – Noch mal: Was man sagt, ist gar nicht entscheidend. Im Umgang mit Journalisten kennen wir zum einen verschiedene Formen der Kontextverletzung.
Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat in seinem gerade vielbeachteten (und trotz vielerlei Einwänden lesenswerten) Buch Die grosse Gereiztheit sechs Formen der Kontextverletzung herausgearbeitet. „Kontextverletzung heißt, daß das Reden und Handeln in anderen Zusammenhängen auf einmal eine andere Bedeutung zugesprochen bekommt, über die man nicht mehr zu verfügen vermag. “
Ein Beispiel: Vor zwei Jahren hatte Kubitschek in einem vielstündigen Gespräch mit zwei FAZ-Leuten sich zur Frage geäußert, wer Deutscher sei. Kubitschek hatte einen langen Bogen gespannt. Er sagte darin auch, daß es im Ernst‑, d.h. Kriegsfall natürlich simpel sei: Wer bereit sei, für sein (in dem Fall: deutsches) Vaterland zu sterben, sei fraglos ein Deutscher. Davor waren viele Sätze zum „Deutschsein“ gefallen, nachher auch. Dieser eine publizierte machte aber nachhaltig die Runde: Ein Deutscher sei, wer sich für Deutschland erschießen lasse – das simple Weltbild des Herrn Kubitschek.
Daß Sätze aus dem Kontext gezerrt werden, ist das eine.
Das andere ist: Journalisten fragen gezielt, man antwortet gezielt. Es gäbe Dutzend Beispiele, wie es dennoch aus dem Ruder laufen kann. Beispiel a): Ich bringe Journalistin X auf das Thema „Ambivalenz“, und wie wichtig es sei, sich die Fähigkeit zur Ambivalenz, zur Ambiguität zu erhalten. Ich male das aus. Ich nenne Beispiele, wo die „Gegenseite“ vermutlich richtig liegt.
Was schreibt Frau X: „Bei Kositza gibt es keine Ambivalenz.“
Oder dies: Ein blutjunger „LangZEITbeobachter“ an unserem Messestand in Leipzig fragte intensiv nach, ob wir nur deshalb in Halle 5 gegangen seien, weil wir dort Ärger gesucht hätten. Nö, ganz sicher nicht. Seit 15 Jahren war Halle 5 unser Besuchsschwerpunkt, weil dort die interessanten Verlage mit ihren Neuerscheinungen plaziert sind.
Ich hatte dem Jungschreiber geschildert, daß ich diesmal ein bißchen Schiß hätte, weil wir ja mittlerweile bekannter seien, und daß ich mich gar nicht gern allein unbegleitet in diese Gänge begäbe.
Tatsächlich gab’s dann Ärger an den linken Ständen, ein lautstarker „antifaschister“ Kleinprotest. Genervt kehrte ich zurück an den Stand. ZEITmann: „Aber Sie wollten provozieren, oder?“ – „NEIN!“
Was schreibt er? Daß Kositza sich freut, daß endlich was los sei und daß sie sich ärgere, daß keine Linken zum Antaioss‑Stand kämen. Mit „Kontextverletzung“ hat das nun gar nichts mehr zu tun!
Letztes Beispiel: Als distanzierte „Beobachter“ am Stand hatten sich auch René Aguigah und Ijoma Mangold eingefunden. Wir baten sie näher, priesen natürlich unsere Bücher. Es entwickelte sich ein längeres (und ganz gutes) Gespräch zwischen Mangold, Aguigah, Deutschlandfunk-Kultur-Wellenchef Hans Dieter Heimendahl und Kubitschek.
Ein Schwerpunkt: Ob wir uns als „Opfer“ gerierten. Kubitschek wies dieses Opfer-Narrativ strikt zurück: Mitnichten reite er auf einer Opferrolle herum.
Das Resultat im Deutschlandradio-Gespräch, das Aguigah mit den Assmanns führte: Warum wir uns anläßlich der Buchmesse zu Unrecht als Opfer fühlen.
– – –
3. April 2018 – Was ganz anderes. Unser familiärer Osterschock war dieser: Die Nachricht, daß die orthodoxe Äbtissin Diodora bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt wurde und seither im Koma liegt. Eine Mitschwester kam ums Leben.
Wer ist Diodora? Sie sei „die Liebe selbst“ schreibt der Erzpriester. Wer je das (damals gutverkaufte) Buch der Journalistin Ilka Piepgras Meine Freundin, die Nonne gelesen hat, weiß, daß das wohl zutrifft. Frau Piepgras beschrieb darin, wie sie nach Jahrzehnten ihre alte Schulfreundin besucht, die damals Charlotte Stapenhorst hieß, eine hochbegabte Studentin war und nach einem Griechenlandbesuch ihr Leben jäh änderte – sie trat zum orthodoxen Glauben über und wurde zur Ordensfrau, letztlich Äbtissin Diodora mit extremer Strahlkraft.
Fast jeder in unserer Familie hat dieses Buch gelesen. Diodoras Wirken – vorbildlich! Gerade eben, Ende letzten Jahres, hatte sie einen neuen Auftrag erhalten: ein Frauenkloster in Niedersachsen aufzubauen. Ihr nun bestmögliche Genesung zu ermöglichen, haben wir unser Scherflein beigetragen.
H. M. Richter
"Im Anhang folgende Erläuterung: „Neger leitet sich vom lateinischen niger=schwarz ab. Ganz abgesehen davon, daß nicht alle `Neger´ schwarz sind, sondern farbig/dunkelhäutig, wurde diese Bezeichnung oft auch sehr abwertend, respektlos gebraucht. Deshalb wird heute von Afrikanern und Afro-Amerikanern gesprochen.“" [s. o.]
__________________________________
Was hätte Fühmann auf diese Erläuterung hin wohl gesagt, fragte ich mich beim Lesen.
Vielleicht hätte er ja auf die jüdischen Kinder an Berliner Schulen verwiesen, die derzeit durch einen importierten Antisemitismus damit konfrontiert werden, daß ihnen die Bezeichnung "Jude" als vermeintliches Schimpfwort entgegengeschleudert wird.
Durchaus "oft" und "abwertend".
_______________________________________________
Die Nachricht über den Unfall von Äbtissin Diodora schockierte sehr, - der obige Hinweis auf die Möglichkeit, ihre medizinische Versorgung möglichst optimal zu gestalten, ist in signum in bonum gewichtiger als 1.000 Lügen über Schnellroda es in malum je sein könnten.