Alexander Schimmelbusch: “Hochdeutschland”

Die Kurzfassung meiner Besprechung des Romans "Hochdeutschland" lautet: Die finstere Schönheit der Zerstörung.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Alex­an­der Schim­mel­busch, (*1975), Typus genia­li­scher Fet­zen­schä­del, gut beleu­mun­det in der Regi­on »Indie-Bel­le­tris­tik«, hat sich frü­her als Invest­ment­ban­ker ver­dingt. Vic­tor (klar!), Prot­ago­nist in Hoch­deutsch­land, übt die­sen Beruf höchst ‑erfolg­reich aus. Er ist folg­lich a) schwer­reich, b) cool, c) deka­dent, d) ein Menschenkenner.

Ist er, der schon begü­tert zu Welt kam und dem Blow-jobs gera­de­zu ange­dient wer­den, auch ein Zyni­ker? Von außen erscheint er abge­brüht. Er – Meis­ter über sei­ne wan­del­ba­re, stets maß­ge­schnei­der­te per­so­na, Meis­ter dar­in, sich zu ana­ly­sie­ren – zele­briert die­sen Anschein auch. Mal aus Lau­ne einen Wein zu 2400 Euro ordern, sich vor der Tau­nus­vil­la einen Pool ins Gestein boh­ren las­sen – für Vic­tor zählt das zum Stan­dard­re­per­toire sei­ner sozio­öko­no­mi­schen Klas­se, die sich ohne­hin nicht leug­nen las­se: Es sage nichts über ihn aus.

Von Sta­lin, Mao und Hit­ler ken­nen wir das Phä­no­men des dich­ten­den Des­po­ten. Vic­tor dich­tet nicht nur (an einem Roman), er hat zudem ande­re ech­te Lei­den­schaf­ten: sei­ne klei­ne Toch­ter, Schei­dungs­kind Vic­to­ria – und den Zustand des deut­schen Vol­kes. Manch­mal packt ihn die Melan­cho­lie. Etwa, wenn er die ernst­haft abge­brüh­ten, blau­nar­bi­gen Arme eines Imbiß­kochs sieht; wenn er von der noblen Frank­fur­ter Schil­ler­stra­ße wei­ter auf die Zeil fla­niert und sei­ne Mit­men­schen im »Ban­g­la-style« shop­pen sieht. Die Mode­mar­ke gilt als demo­kra­ti­sches Kon­sum­gut: Für einen Euro pro Stück kann das abge­häng­te Pre­ka­ri­at sei­ne Bedürf­nis­se stillen.

Vic­tor ver­sucht, sich in die Köp­fe die­ser Volks­ge­nos­sen zu arbeiten:

Die Gehäu­se der Mehr­heit ent­hiel­ten kei­ne digi­ta­li­sier­ten Biblio­the­ken, kei­ne Refle­xi­ons­trei­ber, kei­ne ana­ly­ti­schen Pro­zes­so­ren sowie nur rudi­men­tä­re Text­erfas­sungs­sys­te­me. All die­se Men­schen, obwohl sie die­sel­be Luft wie er atme­ten, exis­tier­ten auf einer völ­lig ande­ren Wahrnehmungsebene.

Sein Ent­schluß: Es brau­che ein radi­ka­les Pro­jekt, um das Volk zu einen.

Es wür­de dar­um gehen müs­sen, die natio­na­len Res­sour­cen in ein kogni­ti­ves Upgrade umzu­lei­ten, um das Land vor sei­ner Irrele­vanz zu bewah­ren. Deutsch­land war ein Land der Dich­ter und Den­ker und kein Land der Milliardäre.

Das »Land sei­ner Kind­heit«, wo war es? Seit Jah­ren hat­te sich das poli­ti­sche Koor­di­na­ten­sys­tem nach links ver­scho­ben. Nur: »Wo waren die roten Fah­nen, die Mist­ga­beln? War­um ölte nie­mand eine Guil­lo­ti­ne?« Vic­tors Job ist es, Pit­ches zu ver­fas­sen, Akqui­sen. Kaum jemand kann das bes­ser als er. Der deut­sche Finanz­mi­nis­ter, ein Empor­kömm­ling mit not­dürf­tig erlern­tem Savoir-viv­re, sitzt ihm zu Füßen. Vic­tor näch­tigt nun in einer sei­ner Ber­li­ner Immo­bi­li­en und bestaunt die »fins­te­re Schön­heit der Ver­wüs­tung«, die anglo­ame­ri­ka­ni­sche Bom­ber erschaf­fen hat­ten, als eine »Varia­ti­on über die inne­ren Trüm­mer­land­schaf­ten der Deutschen«.

Er ver­faßt in die­ser Nacht ein Mani­fest zur Ret­tung Deutsch­lands – ein Schelm, wem die­ser Duk­tus bekannt vorkommt!

Wir ste­hen vor einer Pha­se der uner­bitt­li­chen intel­lek­tu­el­len Kampf­hand­lun­gen, an deren Ende ein his­to­ri­scher Sieg ste­hen wird – oder unser Nie­der­gang, lie­be Freunde.

Kern: Deutsch­land soll unter­neh­me­risch geführt wer­den. Die ohne­hin flo­rie­ren­de Export­wirt­schaft soll gestärkt, die Außen­gren­zen gesi­chert, das Leis­tungs­prin­zip (Alten­pfle­ger ver­sus Wert­pa­pier­händ­ler!) umde­fi­niert, das Bil­dungs­sys­tem pro­fes­sio­na­li­siert wer­den. Es wird eine Ver­mö­gens­ober­gren­ze geben, die bei 25 Mil­lio­nen lie­gen soll – das klingt phan­tas­tisch, wür­de die Super­rei­chen aber hart tref­fen und Luxus für alle ermög­li­chen. Jede Moschee­bau­ge­neh­mi­gung wer­de im Her­kunfts­land der Mus­li­me ein »gewich­ti­ges Zei­chen der Tole­ranz für unse­re indi­vi­dua­lis­ti­sche Zivil­re­li­gi­on« voraussetzen.

Zeit­sprung: Vic­tors Pam­phlet wur­de von sei­nem Freund, dem Ex-Grü­nen Ali Osman, modi­fi­ziert und zum Wahl­pro­gramm einer neu­en Par­tei umfunk­tio­niert. Am Ende des Buches ist Osman Kanz­ler. Das ist hübsch aus­ge­dacht und auf wei­ten Stre­cken mit for­mi­da­bler Stil­si­cher­heit for­mu­liert. Wie der Finanz­mi­nis­ter mit der selbst­e­ti­ket­tier­ten »ita­lie­ni­schen See­le« und der «rat­ten­glei­chen Resi­li­enz eines klein­wüch­si­gen Beam­ten« »fri­scher­wor­be­ne Ges­ten« aus­pro­biert«! Wie Mar­ken­fe­ti­schis­mus als Indi­vi­dua­li­täts­an­ker dechif­friert wird; wie es Schim­mel­busch gelingt, einen Typus der moder­nen Frau (»Kunst-und-Kul­tur-Kurz­haar­fri­sur«) rasch zu skizzieren!

Aber, ach: Viel Licht, viel Schat­ten. Bekannt­lich inter­es­sie­ren Kacka-Fixiert­hei­ten klei­ner Kin­der und deren fal­sche Weil-Sät­ze nur die eige­nen Eltern. Hier wer­den die Dia­lo­ge mit Klein-Vic­to­ria end­los aus­ge­walzt. Hin­zu kommt als Par­al­lel­hand­lung der Roman, an dem Vic­tor schreibt. Ein­mal trifft er sei­ne Lek­to­rin, die ihn kri­ti­siert: »Die Abschnit­te wirk­ten wie Bruch­tei­le, die in einem unbe­grenz­ten Mög­lich­keits­raum schweb­ten.« Sie habe den Ver­dacht, »der beacht­li­che Stil­wil­le sol­le eine ekla­tan­te Plot­ar­mut ver­schlei­ern.« Eine klu­ge Lektorin!

– – –

Alex­an­der Schim­mel­busch: Hoch­deutsch­land, Roman, Stutt­gart: Tro­pen 2018. 214 S., 20 €, hier bestel­len.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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Kommentare (3)

Andreas Walter

13. April 2018 13:17

Mir scheint, der Witz des Büchleins liegt einfach nur darin, dass ausgerechnet ein New Yorker jetzt alles das mehr schlecht als recht Propagiert, was die Nationalsozialisten schon vor 85 Jahren weitaus erfolgreicher sowohl als die Marxisten wie aber auch die Kapitalisten umgesetzt haben. Das weiß ich allerdings auch so, denn warum sonst sollten sie sich gegenseitig bekämpft haben. These (Kapitalismus), Antithese (Marxismus) - und dann kam die darum von beiden Seiten gehasste Synthese. Die Einen oder die Zwei könnte man darum auch fragen, denn es spiegelt sich in allem wieder. Auch im Zweispalt, Zweifel, Kampf - oder eben Einigkeit.

heinrichbrueck

14. April 2018 14:59

@ Andreas Walter
Als Antithese und Synthese Polen aufteilten, Stalin-Hitler-Pakt genannt, erklärte die These nur der Synthese den Krieg? Ist die Synthese das Geld, sind These und Antithese politisch austauschbar, und es ergibt einen Sinn. Das Geld bezahlt die Gewehre. Gegen wen sie sich richten lassen, eine andere Frage. Politische Macht ohne Gewehre, daran kann sich kein Führer messen lassen, jedenfalls nicht in diesem Spiel.

Andreas Walter

16. April 2018 07:51

Gegen wenn sich die Gewehre richten werden? Das kann ich Ihnen seit heute schon ganz genau sagen. Achten Sie mal auf den Film zu folgender Nachricht. Sehen Sie was ich sehe?

https://www.focus.de/politik/deutschland/bundeswehr-braucht-personal-inklusive-sturmgewehr-training-jetzt-koennen-sie-am-wochenende-soldat-werden_id_8767308.html

Man kann es aber eigentlich auch schon aus dem Text erkennen, wenn man sich zumindest ein bisschen mit Waffen auskennt.

Besonders auf die Antworten der Damen und jungen Männer bin ich darum gespannt. Eine Übung in Metakommunikation heisst darum das Spiel. Für alle, die sich ihren Schneid und Humor nicht abkaufen lassen wollen. Durch niemand. Oder wie auch Roberto Weiss weiß: A little bit of fun must be.

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