Alexander Schimmelbusch, (*1975), Typus genialischer Fetzenschädel, gut beleumundet in der Region »Indie-Belletristik«, hat sich früher als Investmentbanker verdingt. Victor (klar!), Protagonist in Hochdeutschland, übt diesen Beruf höchst ‑erfolgreich aus. Er ist folglich a) schwerreich, b) cool, c) dekadent, d) ein Menschenkenner.
Ist er, der schon begütert zu Welt kam und dem Blow-jobs geradezu angedient werden, auch ein Zyniker? Von außen erscheint er abgebrüht. Er – Meister über seine wandelbare, stets maßgeschneiderte persona, Meister darin, sich zu analysieren – zelebriert diesen Anschein auch. Mal aus Laune einen Wein zu 2400 Euro ordern, sich vor der Taunusvilla einen Pool ins Gestein bohren lassen – für Victor zählt das zum Standardrepertoire seiner sozioökonomischen Klasse, die sich ohnehin nicht leugnen lasse: Es sage nichts über ihn aus.
Von Stalin, Mao und Hitler kennen wir das Phänomen des dichtenden Despoten. Victor dichtet nicht nur (an einem Roman), er hat zudem andere echte Leidenschaften: seine kleine Tochter, Scheidungskind Victoria – und den Zustand des deutschen Volkes. Manchmal packt ihn die Melancholie. Etwa, wenn er die ernsthaft abgebrühten, blaunarbigen Arme eines Imbißkochs sieht; wenn er von der noblen Frankfurter Schillerstraße weiter auf die Zeil flaniert und seine Mitmenschen im »Bangla-style« shoppen sieht. Die Modemarke gilt als demokratisches Konsumgut: Für einen Euro pro Stück kann das abgehängte Prekariat seine Bedürfnisse stillen.
Victor versucht, sich in die Köpfe dieser Volksgenossen zu arbeiten:
Die Gehäuse der Mehrheit enthielten keine digitalisierten Bibliotheken, keine Reflexionstreiber, keine analytischen Prozessoren sowie nur rudimentäre Texterfassungssysteme. All diese Menschen, obwohl sie dieselbe Luft wie er atmeten, existierten auf einer völlig anderen Wahrnehmungsebene.
Sein Entschluß: Es brauche ein radikales Projekt, um das Volk zu einen.
Es würde darum gehen müssen, die nationalen Ressourcen in ein kognitives Upgrade umzuleiten, um das Land vor seiner Irrelevanz zu bewahren. Deutschland war ein Land der Dichter und Denker und kein Land der Milliardäre.
Das »Land seiner Kindheit«, wo war es? Seit Jahren hatte sich das politische Koordinatensystem nach links verschoben. Nur: »Wo waren die roten Fahnen, die Mistgabeln? Warum ölte niemand eine Guillotine?« Victors Job ist es, Pitches zu verfassen, Akquisen. Kaum jemand kann das besser als er. Der deutsche Finanzminister, ein Emporkömmling mit notdürftig erlerntem Savoir-vivre, sitzt ihm zu Füßen. Victor nächtigt nun in einer seiner Berliner Immobilien und bestaunt die »finstere Schönheit der Verwüstung«, die angloamerikanische Bomber erschaffen hatten, als eine »Variation über die inneren Trümmerlandschaften der Deutschen«.
Er verfaßt in dieser Nacht ein Manifest zur Rettung Deutschlands – ein Schelm, wem dieser Duktus bekannt vorkommt!
Wir stehen vor einer Phase der unerbittlichen intellektuellen Kampfhandlungen, an deren Ende ein historischer Sieg stehen wird – oder unser Niedergang, liebe Freunde.
Kern: Deutschland soll unternehmerisch geführt werden. Die ohnehin florierende Exportwirtschaft soll gestärkt, die Außengrenzen gesichert, das Leistungsprinzip (Altenpfleger versus Wertpapierhändler!) umdefiniert, das Bildungssystem professionalisiert werden. Es wird eine Vermögensobergrenze geben, die bei 25 Millionen liegen soll – das klingt phantastisch, würde die Superreichen aber hart treffen und Luxus für alle ermöglichen. Jede Moscheebaugenehmigung werde im Herkunftsland der Muslime ein »gewichtiges Zeichen der Toleranz für unsere individualistische Zivilreligion« voraussetzen.
Zeitsprung: Victors Pamphlet wurde von seinem Freund, dem Ex-Grünen Ali Osman, modifiziert und zum Wahlprogramm einer neuen Partei umfunktioniert. Am Ende des Buches ist Osman Kanzler. Das ist hübsch ausgedacht und auf weiten Strecken mit formidabler Stilsicherheit formuliert. Wie der Finanzminister mit der selbstetikettierten »italienischen Seele« und der «rattengleichen Resilienz eines kleinwüchsigen Beamten« »frischerworbene Gesten« ausprobiert«! Wie Markenfetischismus als Individualitätsanker dechiffriert wird; wie es Schimmelbusch gelingt, einen Typus der modernen Frau (»Kunst-und-Kultur-Kurzhaarfrisur«) rasch zu skizzieren!
Aber, ach: Viel Licht, viel Schatten. Bekanntlich interessieren Kacka-Fixiertheiten kleiner Kinder und deren falsche Weil-Sätze nur die eigenen Eltern. Hier werden die Dialoge mit Klein-Victoria endlos ausgewalzt. Hinzu kommt als Parallelhandlung der Roman, an dem Victor schreibt. Einmal trifft er seine Lektorin, die ihn kritisiert: »Die Abschnitte wirkten wie Bruchteile, die in einem unbegrenzten Möglichkeitsraum schwebten.« Sie habe den Verdacht, »der beachtliche Stilwille solle eine eklatante Plotarmut verschleiern.« Eine kluge Lektorin!
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Alexander Schimmelbusch: Hochdeutschland, Roman, Stuttgart: Tropen 2018. 214 S., 20 €, hier bestellen.
Andreas Walter
Mir scheint, der Witz des Büchleins liegt einfach nur darin, dass ausgerechnet ein New Yorker jetzt alles das mehr schlecht als recht Propagiert, was die Nationalsozialisten schon vor 85 Jahren weitaus erfolgreicher sowohl als die Marxisten wie aber auch die Kapitalisten umgesetzt haben. Das weiß ich allerdings auch so, denn warum sonst sollten sie sich gegenseitig bekämpft haben. These (Kapitalismus), Antithese (Marxismus) - und dann kam die darum von beiden Seiten gehasste Synthese. Die Einen oder die Zwei könnte man darum auch fragen, denn es spiegelt sich in allem wieder. Auch im Zweispalt, Zweifel, Kampf - oder eben Einigkeit.