Ganz so logisch erscheint die Kausalkette auf den ersten Blick vielleicht nicht, aber ich bin sicher nicht der erste, dem eine sich kontinuierlich ausbreitende Theorieschwäche der Rechten auffällt. Die ist, so denke ich, vor Allem durch zwei sich negativ ergänzende Faktoren entstanden. Zum einen sind die Antworten der klassischen Rechten, die vornehmlich aus dem letzten Jahrtausend stammen, nicht mehr in dem Ausmaß satisfaktionsfähig, wie sie das zum Zeitpunkt ihrer Entstehung waren. Will sagen: Selbst, wenn wir es mit Apologeten der Konservativen Revolution zu tun haben, überwiegt doch stark der konservative Teil, während die Revolution wahlweise zum romantisch-stilistischen Beiwerk verkommt, oder zur revolutionären Restauration frühbundesrepublikanischer, oder Weimarer Verhältnisse umgedeutet wird.
Zum anderen hat die Rechte mit den Umbrüchen der 2010er-Jahre ein umfassender aktivistischer Appell erreicht, der noch das verträumteste Lesestübchen erfasste und jeden verächtlich in die Schrebergärten der politischen Belanglosigkeit verbannte, der nicht bereit war, das angelesene Wissen in die Tat fließen zu lassen.
Das hatte zur Folge, dass eine ganze Generation junger Nachwuchsrechter gar keine Zeit hatte, sich ein umfassendes (meta-)politisches Fundament zu erarbeiten, sondern auf theoretisches Fastfood á la Renauld Camus, oder Jack Donovan zurückgreifen musste, um den aktionistischen Metabolismus am Laufen zu halten.
Nun, wo der erste Adrenalinrausch des Aktivismus vorbei ist, hängen die Empfindsameren unter den Erwähnten bereits am ersten intellektuellen Hungerast; in Lesekreisen und Bildungsseminaren werden allmählich die Grundlagen nachgeholt, die für die vorhergehende Generation mindestens selbstverständlich, wenn nicht gar eigentlicher Antrieb des eigenen politischen Schaffens waren.
Dieses Aufarbeiten ist natürlich ein Wettlauf gegen die Zeit – es liegt in der Natur des Rechten, dass er seine Theoreme langsam und sorgfältig entwickelt und nicht jedes Jahr ein neues Manifest veröffentlicht. Gleichzeitig drängen die Probleme des 21. Jahrhunderts, die zunehmend nach eigenen, neuen, oder wenigstens neu-gedachten Antworten verlangen, immer stärker ins öffentliche Bewusstsein: Hier entsteht ein metapolitisches Vakuum, das in seiner Vehemenz durchaus jenem gleicht, in das damals die Frankfurter Schule stieß.
So eine ausführliche Mangelbeschreibung kommt natürlich nicht ohne eine Werbung für weltanschauliche Nahrungsergänzungsmittel aus: Für mich als einfachen Rezipienten überraschend tauchte vor einigen Monaten ein neues Pflänzchen im großen, bunten Wildwuchsbeet der rechtsintellektuellen Blogosphäre auf: Unter dem schlichten Namen „Anbruch“ verbreitet eine wachsende Gruppe junger Autoren im besten Sinne des Wortes Unerhörtes:
Überschriften wie das Enzensberger-Zitat „Die Enteignung Springers ist ein wünschenswertes Ziel“, „Futurismus und Faschismus – Zwillingspaar wider Willen?“, oder der plötzlich auftauchende Adorno mit „Fun ist ein Stahlbad“ geben einen Einblick in die Vielfalt und Eindringlichkeit der verhandelten Themen. In den Kategorien „Denken, Lesen, Fühlen, Sichten, Hören“ arbeitet man sich fern von ideologischem Dogmatismus, Geschichtsvergessenheit, oder verstaubtem Elfenbeinturmbewohnertum durch die ältere und jüngere europäische Geistes- und Kulturgeschichte.
Bei allen Unterschieden der verhandelten Themen wird dabei deutlich: Die Beiträge gehorchen nicht den Anforderungen des Tagesgeschehens, sind aber gerade dadurch brandaktuell. Damit haben die Verantwortlichen, namentlich Redakteur Tano Gerke, genau jenes zeitliche Zwischen getroffen, in dem das „Panorama des Eigenen“, das zu eröffnen sich das Autorenkollektiv auf die Fahnen geschrieben hat, zuhause ist. An dieser Stelle vor mir daher eine von Herzen ausgeprochene Lese- und Unterstützungsempfehlung für: www.anbruch.info
Heino Bosselmann
Gute Argumentation. –
Nur: Ist es nicht ganz unweigerlich so, daß jeder, der nach gründlicher Anschauung ruhig nachdenkt, sich vertieft und Urteilskraft auszubilden versucht, in Abgrenzung zur durchverordneten Argumentationsweise auf mindestens konservative oder als rechts verschriene Positionen gerät? Dazu ist weniger eine metapolitische Speziallektüre vonnöten als aufmerksames Sprachempfinden, Semiotik/Semiologie und somit Sprachkritik. Sobald die Phrase problematisiert wird, gerät man ins kritische Denken, das gegenwärtig, wo alle „Grundvereinbarungen“ links vereinbart scheinen, mit quasi systemtheoretischer Folgerichtigkeit ins rechte Lager führt, insofern – mit Luhmann – eine Unterscheidung getroffen wird. Die nachdenkliche Kritik von Begriffen wie „Europa“, „Toleranz“, „Weltoffenheit“, „Menschenrecht“, „Bildung“, sogar „Rassismus“, „Sexismus“ u. v. a. m. führt mitten in die Thematiken hinein, zu denen dringlich Diskurs ansteht.
Mir scheint, zum einen ist alle Politik praktisch Sprache, zum anderen ist sie theoretisch Anthropologie, indem es um die Wesensbestimmung des Menschen und seines ewigen Dramas geht.
Ein zweiter Gedanke: Man lese vielleicht das grundlegend Philosophische neu, bevor man in die Ausdeutung des Politischen eintritt und dies mit ein paar Heftchen und „Seminaren“ oder nur in der "Blogosphäre" versucht. Wer von den gegenwärtigen politischen Protagonisten der Aufklärung hat denn die großen Aufklärer, etwa Immanuel Kant, wirklich mal gelesen? Somit dann wissend, wie schon die Aufklärung um die eigenen Grenzen und die Fragilität alles Menschlichen wußte. Die großen Namen und Schriften sind doch schon in Ergebnis einer mehr und mehr reduzierten geisteswissenschaftliche Ausbildung nur mehr verbraucherfreundlich filetiert zu haben. Sind die Werkausgaben in der Bibliothek des Bundetages wirklich benutzt? Wer ferner kennt die schon früh einsetzenden Stimmen einer Revision der Aufklärung, angefangen u. a. mit Schopenhauer und Nietzsche? Vom Literarischen mal gar nicht zur reden, denn allein bei Thomas Mann, Robert Musil, Franz Kafka und einem Dutzend anderer europäischer Großer liest sich doch heraus, was die „bunte Republik“ an Spektrum überhaupt nicht mehr kennt, wessen sie aber gedanklich mehr denn ja inspirierend bedürfte, nicht zuletzt im Akte erforderlicher Desillusionierung gegenüber allzu infantilen Vorstellungen und naiver Hybris.
Und letztlich: Die Linke erfand den schlimmen Begriff des Grammatikfaschismus. Wer nur aufmerksam, nachdenklich und gedankenklar zu formulieren versucht, wer gar noch meint, er hätte weiterhin zu den altsprachlichen und christlichen Quellen zu gehen, mithin gründlich zu verfahren, um orientiert zu sein, wer also vom bloßen Meinen zum differenzierten Urteilen vorzudringen sucht, der ist der Beliebigkeit der bunten Truppe verdächtig, mithin wohl auf dem rechten Wege. Genauigkeit also, Nachdenklichkeit, Pflege der Sprachlichkeit als Grammatik der Gedanken, ja durchaus auch Demut statt schnellen Behauptens und flotten Urteilens, das wäre schon was.