Sonntagsheld (60) – Feind liest mit

Wir bilden uns zu wenig. Und Merkel ist schuld.

Ganz so logisch erscheint die Kau­sal­ket­te auf den ers­ten Blick viel­leicht nicht, aber ich bin sicher nicht der ers­te, dem eine sich kon­ti­nu­ier­lich aus­brei­ten­de Theo­rie­schwä­che der Rech­ten auf­fällt. Die ist, so den­ke ich, vor Allem durch zwei sich nega­tiv ergän­zen­de Fak­to­ren ent­stan­den. Zum einen sind die Ant­wor­ten der klas­si­schen Rech­ten, die vor­nehm­lich aus dem letz­ten Jahr­tau­send stam­men, nicht mehr in dem Aus­maß satis­fak­ti­ons­fä­hig, wie sie das zum Zeit­punkt ihrer Ent­ste­hung waren. Will sagen: Selbst, wenn wir es mit Apo­lo­ge­ten der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on zu tun haben, über­wiegt doch stark der kon­ser­va­ti­ve Teil, wäh­rend die Revo­lu­ti­on wahl­wei­se zum roman­tisch-sti­lis­ti­schen Bei­werk ver­kommt, oder zur revo­lu­tio­nä­ren Restau­ra­ti­on früh­bun­des­re­pu­bli­ka­ni­scher, oder Wei­ma­rer Ver­hält­nis­se umge­deu­tet wird.

Zum ande­ren hat die Rech­te mit den Umbrü­chen der 2010er-Jah­re ein umfas­sen­der akti­vis­ti­scher Appell erreicht, der noch das ver­träum­tes­te Lesestüb­chen erfass­te und jeden ver­ächt­lich in die Schre­ber­gär­ten der poli­ti­schen Belang­lo­sig­keit ver­bann­te, der nicht bereit war, das ange­le­se­ne Wis­sen in die Tat flie­ßen zu lassen.

Das hat­te zur Fol­ge, dass eine gan­ze Gene­ra­ti­on jun­ger Nach­wuchs­rech­ter gar kei­ne Zeit hat­te, sich ein umfas­sen­des (meta-)politisches Fun­da­ment zu erar­bei­ten, son­dern auf theo­re­ti­sches Fast­food á la Renauld Camus, oder Jack Dono­van zurück­grei­fen muss­te, um den aktio­nis­ti­schen Meta­bo­lis­mus am Lau­fen zu halten.

Nun, wo der ers­te Adre­na­lin­rausch des Akti­vis­mus vor­bei ist, hän­gen die Emp­find­sa­me­ren unter den Erwähn­ten bereits am ers­ten intel­lek­tu­el­len Hun­ge­rast; in Lese­krei­sen und Bil­dungs­se­mi­na­ren wer­den all­mäh­lich die Grund­la­gen nach­ge­holt, die für die vor­her­ge­hen­de Gene­ra­ti­on min­des­tens selbst­ver­ständ­lich, wenn nicht gar eigent­li­cher Antrieb des eige­nen poli­ti­schen Schaf­fens waren.

Die­ses Auf­ar­bei­ten ist natür­lich ein Wett­lauf gegen die Zeit – es liegt in der Natur des Rech­ten, dass er sei­ne Theo­re­me lang­sam und sorg­fäl­tig ent­wi­ckelt und nicht jedes Jahr ein neu­es Mani­fest ver­öf­fent­licht. Gleich­zei­tig drän­gen die Pro­ble­me des 21. Jahr­hun­derts, die zuneh­mend nach eige­nen, neu­en, oder wenigs­tens neu-gedach­ten Ant­wor­ten ver­lan­gen, immer stär­ker ins öffent­li­che Bewusst­sein: Hier ent­steht ein meta­po­li­ti­sches Vaku­um, das in sei­ner Vehe­menz durch­aus jenem gleicht, in das damals die Frank­fur­ter Schu­le stieß.

So eine aus­führ­li­che Man­gel­be­schrei­bung kommt natür­lich nicht ohne eine Wer­bung für welt­an­schau­li­che Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­tel aus: Für mich als ein­fa­chen Rezi­pi­en­ten über­ra­schend tauch­te vor eini­gen Mona­ten ein neu­es Pflänz­chen im gro­ßen, bun­ten Wild­wuchs­beet der rechts­in­tel­lek­tu­el­len Blogo­sphä­re auf: Unter dem schlich­ten Namen „Anbruch“ ver­brei­tet eine wach­sen­de Grup­pe jun­ger Autoren im bes­ten Sin­ne des Wor­tes Unerhörtes:

Über­schrif­ten wie das Enzens­ber­ger-Zitat „Die Ent­eig­nung Sprin­gers ist ein wün­schens­wer­tes Ziel“, „Futu­ris­mus und Faschis­mus – Zwil­lings­paar wider Wil­len?“, oder der plötz­lich auf­tau­chen­de Ador­no mit „Fun ist ein Stahl­bad“ geben einen Ein­blick in die Viel­falt und Ein­dring­lich­keit der ver­han­del­ten The­men. In den Kate­go­rien „Den­ken, Lesen, Füh­len, Sich­ten, Hören“ arbei­tet man sich fern von ideo­lo­gi­schem Dog­ma­tis­mus, Geschichts­ver­ges­sen­heit, oder ver­staub­tem Elfen­bein­turm­be­woh­ner­tum durch die älte­re und jün­ge­re euro­päi­sche Geis­tes- und Kulturgeschichte.

Bei allen Unter­schie­den der ver­han­del­ten The­men wird dabei deut­lich: Die Bei­trä­ge gehor­chen nicht den Anfor­de­run­gen des Tages­ge­sche­hens, sind aber gera­de dadurch brand­ak­tu­ell. Damit haben die Ver­ant­wort­li­chen, nament­lich Redak­teur Tano Ger­ke, genau jenes zeit­li­che Zwi­schen getrof­fen, in dem das „Pan­ora­ma des Eige­nen“, das zu eröff­nen sich das Autoren­kol­lek­tiv auf die Fah­nen geschrie­ben hat, zuhau­se ist. An die­ser Stel­le vor mir daher eine von Her­zen aus­ge­pro­che­ne Lese- und Unter­stüt­zungs­emp­feh­lung für: www.anbruch.info

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Kommentare (7)

Heino Bosselmann

14. Mai 2018 08:37

Gute Argumentation. –

Nur: Ist es nicht ganz unweigerlich so, daß jeder, der nach gründlicher Anschauung ruhig nachdenkt, sich vertieft und Urteilskraft auszubilden versucht, in Abgrenzung zur durchverordneten Argumentationsweise auf mindestens konservative oder als rechts verschriene Positionen gerät? Dazu ist weniger eine metapolitische Speziallektüre vonnöten als aufmerksames Sprachempfinden, Semiotik/Semiologie und somit Sprachkritik. Sobald die Phrase problematisiert wird, gerät man ins kritische Denken, das gegenwärtig, wo alle „Grundvereinbarungen“ links vereinbart scheinen, mit quasi systemtheoretischer Folgerichtigkeit ins rechte Lager führt, insofern – mit Luhmann – eine Unterscheidung getroffen wird. Die nachdenkliche Kritik von Begriffen wie „Europa“, „Toleranz“, „Weltoffenheit“, „Menschenrecht“, „Bildung“, sogar „Rassismus“, „Sexismus“ u. v. a. m. führt mitten in die Thematiken hinein, zu denen dringlich Diskurs ansteht.

Mir scheint, zum einen ist alle Politik praktisch Sprache, zum anderen ist sie theoretisch Anthropologie, indem es um die Wesensbestimmung des Menschen und seines ewigen Dramas geht.

Ein zweiter Gedanke: Man lese vielleicht das grundlegend Philosophische neu, bevor man in die Ausdeutung des Politischen eintritt und dies mit ein paar Heftchen und „Seminaren“ oder nur in der "Blogosphäre" versucht. Wer von den gegenwärtigen politischen Protagonisten der Aufklärung hat denn die großen Aufklärer, etwa Immanuel Kant, wirklich mal gelesen? Somit dann wissend, wie schon die Aufklärung um die eigenen Grenzen und die Fragilität alles Menschlichen wußte. Die großen Namen und Schriften sind doch schon in Ergebnis einer mehr und mehr reduzierten geisteswissenschaftliche Ausbildung nur mehr verbraucherfreundlich filetiert zu haben. Sind die Werkausgaben in der Bibliothek des Bundetages wirklich benutzt? Wer ferner kennt die schon früh einsetzenden Stimmen einer Revision der Aufklärung, angefangen u. a. mit Schopenhauer und Nietzsche? Vom Literarischen mal gar nicht zur reden, denn allein bei Thomas Mann, Robert Musil, Franz Kafka und einem Dutzend anderer europäischer Großer liest sich doch heraus, was die „bunte Republik“ an Spektrum überhaupt nicht mehr kennt, wessen sie aber gedanklich mehr denn ja inspirierend bedürfte, nicht zuletzt im Akte erforderlicher Desillusionierung gegenüber allzu infantilen Vorstellungen und naiver Hybris.

Und letztlich: Die Linke erfand den schlimmen Begriff des Grammatikfaschismus. Wer nur aufmerksam, nachdenklich und gedankenklar zu formulieren versucht, wer gar noch meint, er hätte weiterhin zu den altsprachlichen und christlichen Quellen zu gehen, mithin gründlich zu verfahren, um orientiert zu sein, wer also vom bloßen Meinen zum differenzierten Urteilen vorzudringen sucht, der ist der Beliebigkeit der bunten Truppe verdächtig, mithin wohl auf dem rechten Wege. Genauigkeit also, Nachdenklichkeit, Pflege der Sprachlichkeit als Grammatik der Gedanken, ja durchaus auch Demut statt schnellen Behauptens und flotten Urteilens, das wäre schon was.

Der_Juergen

14. Mai 2018 09:36

Die von Wessels erwähnte Theorieschwäche der Rechten liegt in entscheidendem Umfang daran, dass sich diese in kardinalen Fragen nicht einig ist. Um sich davon zu überzeugen, reicht es, die Leserkommentare in diesem Forum zur Kenntnis zu nehmen.

Was alle Foristen zusammenhält, ist der Zorn auf die unerträglichen Verhältnisse im Staate Deutschland, das Nein zum Grossen Austausch. Doch wie der Staat, den wir als Alternative anstreben, aussähe, hierüber divergieren die Ansichten wild, ebenso wie sie weltanschaulichen Fragen divergieren. Christen, Neuheiden und Agnostiker/Atheisten, Anhänger der Evolutionslehre und Kreationisten, Befürworter einer Mischwirtschaft mit ausgeprägt sozialistischen Zügen und Menschen, die von einer Rückkehr zur reinen Marktwirtschaft träumen, Parteigänger eines starken, mit weitreichenden Kompetenzen ausgestatteten Staates und libertäre Nachwächterstaat-Fans - sie alle lesen und kommentieren hier mit. Wie soll da eine gemeinsame Basis aussehen?

Die Linken (wozu längst auch die Union gehört) haben es da einfacher. Sie wollen Deutschland durch forcierte Immigration auslöschen; hier besteht kein Unterschied zwischen Angela Merkel und Claudia Roth, zwischen Seehofer und der Antifa. Unterschiede existieren lediglich in Bezug auf das Tempo, in dem der Grosse Austausch durchgeführt werden soll. Für die Antifa und Claudia Roth soll Deutschland am besten schon gestern verschwinden, während es Seehofer völlig reicht, wenn Deutschland erst übermorgen für immer von der Bühne abtritt.

Stil-Bluete

14. Mai 2018 20:13

Im Nachhinein: ´

Einen Sonntagshelden stelle ich mir ganz naiv vor:

Erstens: Er hat einen Namen.

Zweitens; Er hat ein Gesicht. (Filmidole gepostet)

Drittens: Der Sonntagsheld hat Charakter, teuflisch verrucht, oder gütig, nobel. Egal - Charakter.

Meine Neugierde wurde an diesem Wochenende auf eine harte Probe gestelllt.

Weltversteher

15. Mai 2018 12:28

Vielleicht wird die Theorieschwäche erklärbarer, wenn man überlegt, wer von den Angesprochenen sich tatsächlich mit freiem Entschluß als Rechter empfände. Viel häufiger ist es eine Zuschreibung durch die Normgesellschaft (in die man sich schließlich halb ergeben, halb trotzig, fügt).

So kommt es einerseits, daß das "rechte" Spektrum so vielfältig ist, denn es fußt hauptsächlich auf einer wechselseitigen Ablehnung mit dem System.

Andererseits, wie Bosselmann schon sagt, ergeben sich die rechten Gedanken und Haltungen doch leicht aus dem aufmerksamen und selbständigen Umgang mit der Welt. Umso mehr, wenn man Rechts sein nicht als Selbstzweck oder anempfohlenes Verhalten sieht, sondern der ursprünglichen Bedeutung folgt: Rechts = rechtschaffen, gerecht, wahrhaftig; Links = verfehlt, verlogen, verschlagen.

Weshalb sollten also zuvörderst hinterlassene Theorien verinnerlicht werden, wenn es einem um einen angemessenen, förderlichen und gerechten Umgang mit der Welt in der Gegenwart zu tun ist?

Es ist überfällig, von der Lagerbildung ebenso abzulassen wie von einem Nachstreben nach Rezepten oder Betrachtungsempfehlungen. Vielmehr wäre es anzustreben, das Wesen der mannigfaltigen Welterscheinungen selbst wahrnehmen zu lernen, zunächst unbeeinflußt von Interessenlagen. Wer rechts empfindet nicht aus subjektivem Gusto, sondern aus dem Wunsch nach Wahrheit und Gerechtigkeit, ist darauf angewiesen, denn handeln muß er stets jetzt und in seiner Stellung.

Ergon

16. Mai 2018 23:08

Die These von der rechten Theorieschwäche ist explikationsbedürftig, einmal deshalb - einige vorhergehende Kommentare spiegelnd - als dass der Begriff "rechts" inhaltlich unterdefiniert ist, d.h. dieser (bzgl. Deutschland) post-1945-Begriff ist entweder eine Fremdzuschreibung von Seiten des Systems gegenüber einer Plethora von nicht unter einen Begriff zu bringenden ideologischen Abweichungen, oder eine Eigenbezeichnung der sich an Benoist und die Nouvelle Droite anlehnenden Neuen Rechten. Wenn "rechts" in der zweiten Bedeutung aufgefasst wird, stellt sich die weitere Frage, was aus neurechter Sicht als Theorie figuriert, und da dürfte angesichts der ungebrochenen Faszination, die marxistische und postmoderne Schriften auf Neurechte ausüben, die "marxistische Theorie" als Vorbild herhalten.

Erstaunlich an dieser Orientierung ist vor allem, dass in einer Zeit, in dieser Art von Theorieschrott (Marx war alles mögliche, aber kein bedeutender Philosoph) zunehmend aus den Universitäten verschwindet - der vom Marxismus gereinigte moderne Linksliberale gründet sein ideolgisches Gebräu z.B. auf einer spezifisch linken Rezeption der Systemtheorie - der Neurechte, wenn auch inhaltlich verdreht, auf diese auf eigenartige Form der politischen Theorie rekurriert.

Carlos Verastegui

18. Mai 2018 17:37

Theorie ist nicht spannend, ausser natürlich für den Theoretiker. Auch wollen die meisten Rechten "was machen", und dazu gehört eben nicht die platonischen Ordnungsprinzipien nachschauen. Der moderne Mensch ist theorieunfähig, und mit ihm auch die modernen Rechten. Handeln ist zwar schön, aber, um zu handeln muss man auch mal an irgendeinem Punkt über das Handeln nachdenken, und damit meine ich nicht nur die technischen Fragen die viele Rechte so brennend interessieren. Zur Probe gebe man mal unter die heutigen Rechten Othmar Spann aus, nicht gerade den "Wahren Staat", sondern die "Gesellschaftsphilosophie" sowie die "Gesellschaftslehre", aber auch seine Schriftem zum Volkstum. Dabei käme heraus, kaum einer kann etwas anfangen mit ihm. Die sozialistischen Theorien sind sowieso "pfui", und christlich darf schon gar nicht argumentiert werden - ein ruchloser Pragmatismus und Aktivismus ist das höchste der Gefühle, oder die bekannte Theoretikerschwemme/ die bekannten Theoretikerschwämme, die viel aufsaugen, dafür aber höchst wenig (brauchbares) abgeben. Soll auch ein wenig Selbstkritik sein.

Stahlkind

20. Mai 2018 11:49

@ Der Juergen:

mit dieser Uneinigkeit, dieser Heterogenität in "unserem Lager" haben sie vollkommen Recht. Auch wenn dies abgedroschen erscheinen mag, aber: Das sollte man als Stärke und nicht als Schwäche sehen. Das ist doch genau das, was sich die meisten von uns (hoffentlich?!) wünschen: Meinungsvielfalt und vorallem ein Wettbewerb dieser Meinungen sowie ein Diskurs. Wir dürften uns alle einig sein in der Feindschaft zum Universalismus, Globalismus, Linksliberalismus und Multikulturalismus oder wie man es auch immer nennen mag. Aber reicht das nicht schon an Grundkonsens? Wen dieser Feind besiegt ist, werden wir auf demokratische Weise unsere darüberhinaus heterogenen Ansichten verhandeln! Das klingt für mich erstrebenswert!

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