in dem Arne Freiwald in seinem Aufsatz »Mao in Deutschland« die schillernde Welt der maoistischen Gruppierungen in Westdeutschland ab den 1960er Jahren plastisch verdichtete.
Danach fällt der Einstieg in das herausragende Buch Willi Jaspers deutlich leichter, weil man den ersten Überblick über die K‑Gruppen-Welt – von KPD/Aufbauorganisation (AO)über KPD/Marxisten-Leninisten(ML) bis zu den expliziten Nationalisten der Marxisten-Leninisten Deutschland (MLD) und den ebenso expliziten Antinationalen um Kommunistischen Bund Nord (KB)und Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) – wieder im Bewußtsein hat.
Sie alle waren das Resultat eines autoritären Wandels der antiautoritären 68er Überbleibsel. Nach dem Streben für Emanzipation und totale Befreiung suchten sie im autoritären China Maos ideologische Orientierung; sie waren überwiegend straff hierarchisch konstituiert und vermengten maoistische, leninistische und antisowjetische Theoreme mit bundesdeutschen Problemen.
Der Kulturwissenschaftler Willi Jasper zählte seinerseits zur KPD/AO, die stark von Germanisten geprägt war. Für alle K‑Gruppen gleichermaßen definiert er ihre Mao-Apotheose als Faszination für die Widerspruchs-Denkschule des chinesischen Diktators, »erfüllt von der utopischen Hoffnung, die sozialen Ungerechtigkeiten des Kapitalismus und die globale Ausbeutungssituation aufheben zu können. In diesem Sinne wollten wir ›dem Volke dienen‹ und rebellierten gegen die bürgerliche deutsche Kulturtradition«.
Die Rebellion, so unterschiedlich sie ausfiel, führte einige der Maoisten in eine zeitweilige geistige Kollaboration mit dem Genozidregime Pol Pots; vor allem der KBW tat sich in der Verherrlichung des »Agrarkommunismus« hervor.
Prominente Mitglieder waren beispielsweise Joscha Schmierer (später Berater der Rot-Grün-Regierung Schröder/Fischer) oder Winfried Kretschmann, der aktuelle grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs.
Man könnte ausgiebigeres Name dropping betreiben, letztlich wird – jenseits konkreter individueller Verfehlungen – in einem allgemeinen Sinne deutlich, daß rechte Akteure von heute keinerlei Rechtfertigungsbedarf vor antifaschistischen Anklägern mit kulturrevolutionärem Hintergrund von damals akzeptieren sollten; die »Kulturrevolution von rechts« (Alain de Benoist) kennt keine Affirmation des Massenmordes, muß sich also nicht vor jenen erklären, die einst – etwa im linksintellektuellen Kursbuch – Pol Pots allseits bekannte Massenmorde als »vietnamesische Propaganda« abkanzelten.
Ansonsten ist das Buch eminent lesenswert: Stellenweise liest es sich wie ein historisch-politischer Roman. Darunter muß die anschauliche Warnung davor, als politisch radikale Strömung in die »Sackgasse von Militarisierung und Dogmatisierung« einzubiegen, ebenso subsumiert werden wie das angerissene Phänomen der Karrierewege alter Maoisten und Linksradikaler, die heute das Establishment durchziehen und ihre alten Ideologien zugunsten markt- und linksliberaler Agenden abstreiften.
Daß gerade sie oftmals jene sind, die besonders moralisch und laut »gegen rechts« argumentieren, zeigt, daß Selbstkritik nicht unbedingt als die explizite Stärke der Veteranen von 1968ff. gelten kann.
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Willi Jaspers Der gläserne Sarg. Erinnerungen an 1968 und die deutsche »Kulturrevolution«, Berlin: Matthes & Seitz Berlin 2018. 256 S., 24 € kann man hier bestellen.