Oder? Nicht alle sehen das so. Etwa Warren Buffet, Großkapitalist und Aktionär, neuerdings auch prominenter Trump-Gegner.
Dieser Buffett stellt fest: »Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen.«
Wenn man diese Annahme ernst nimmt, und die Botschaft nicht nur als zugespitzten Hallo-Wach-Effekt verbucht, wäre eine der darauf anschließenden Fragen jene nach den Beteiligten in diesem »Klassenkrieg«.
Man käme, zumal in Europa, speziell in Deutschland und Frankreich, unweigerlich auf die »Mittelklasse« bzw. Mittelschichten zu sprechen, die von »oben« ausgequetscht und benutzt werden, während ihre Angehörigen nach »unten« vor allem in Hinblick auf die eigene Abstiegsangst blicken.
Die Französin Nathalie Quintane (*1964) macht sich nun auf die Suche nach der Mittelklasse, über die sie in der recht jungen Matthes & Seitz Berlin-Reihe punctumeinen kecken, reich bebilderten Essay vorlegt.
Klar dabei ist: Quintane, deren Werkschwerpunkt irgendwo zwischen Poetik, Lyrik und politischer Essayistik zu verorten ist, sieht sich als dezidierte Linke aus der Mittelschicht; ihr Standpunkt ist somit einigermaßen vorgezeichnet, auch wenn sie selbst schreibt, sie nähere sich ihrem Forschungsobjekt, der Mittelklasse, »mit ernsthaftem Interesse, aus der Distanz und in aller Freundschaft«.
Damit es diese zu untersuchende Mittelklasse gibt, muß es a priori andere Klassen geben. Quintane bemüht daher zunächst Statistiken und Definitionen, das heißt: Sie dekliniert die bisher gültigen wissenschaftlichen Versuche durch, den schwammigen Begriff der Mittelklasse etwa in Zahlen zu fassen.
Doch weder Einkommen noch Berufe oder Paarungsverhalten geben ausreichend Auskunft, bleiben zu relationell. Letztendlich nähert sie sich der Mittelklasse denn auch weniger materialistisch, also bedingt durch ökonomische Realitäten, als idealistisch, das heißt durch geistig-kulturelle Merkmale der »Klasse«:
Während»oben« und»unten« durchaus unterschiedliche Bewußtseinsstufen für Klassenzugehörigkeit auftreten, wäre die Mittelklasse sich ihrer Klassensituation gar nicht bewußt; im Konsumzeitalter falle sie eher als »kaufende Klasse« auf, die politisch passiv ist und kein eigenes reflexives Bewußtsein hervorbrächte.
Themen wie die »soziale Frage« fänden schlichtweg nicht statt – der eigene längst vergessene Aufstieg aus unteren Gefilden in einer Epoche, als sich die Klassen herausbildeten, hat gewissermaßen das Ende der eigenen persönlichen Klassengeschichte eingeläutet.
Die nun drohende Erosion der westeuropäischen Mittelschicht in der Abstiegsgesellschaft des neoliberalen Zeitalters – Quintane nennt dies »das Zerfließen der Mittelklassen und ihr Verschmelzen mit dem Neoproletariat« – sei gewissermaßen eine »gerechte Strafe« für politisch-ökonomische Apathie und biete die »Chance auf Genesung« im Sinne eines Durchbruchs »zu einer endlich bewussten Selbstkritik«.
Quintane hat somit einen Essay vorgelegt, der an mancher Stelle zum Nachdenken anregt und die Klassenfrage im Jahr 2018 wieder aufs Tapet holt. Doch zugleich ist ihr lässig-jovial gehaltener Text wohl doch mehr französische Literatur als gesamteuropäische politische Analyse, zumal sich die Bedeutung des Mittelstands dies- und jenseits des Rheins erheblich voneinander unterscheidet.
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Nathalie Quintanes Wohin mit den Mittelklassen? aus dem Französischen übersetzt von Claudia Hamm, Berlin: Matthes & Seitz Berlin 2018. 116 S., 12 € kann man hier bestellen.
RMH
Die Begriffe working-class, middle-class und upper-class sind im anglo-amerikanischem Sprachbereich recht übliche, weit verbreitete Redewendungen bzw. Bezeichnungen ohne tieferen, konkret einer politischen Richtung zuordnungsbaren Sinn (auch wenn sie ihren Ursprung durchaus auch links haben). Insofern hat es sicher keinen marxistischen Unterbau, wenn einer wie Buffet sich dieser Terminologie bedient.
Wenn in Deutschland hingegen jemand von einer Mittelklasse oder Oberklasse spricht, dann meint er zu 90% ein Auto das er fährt oder für das er sich interessiert (gemittelt - in Westdeutschland sind es sicher 95%, in Mitteldeutschland aufgrund der ideologischen Schulung weniger). In Deutschland wird für diese sozialen Umschreibungen und Beschreibungen eher der Begriff der "Schicht" benutzt.
Interessant finde ich den Ausdruck "Neoproletariat", über den ich gerne mehr wissen würde.
Ich persönlich bezeichne alle Hochschulabsolventen der letzten 45 Jahre gerne als akademisches Proletariat und habe auch entsprechendes "Klassenbewusstsein" entwickelt, indem ich mich dieser Schicht des akademischen Proletariats durchaus zuordne.
Die Idee, dass sich Klassen durch ihr unterstelltes Klassenverhalten irgendwie selber "abstrafen" können würden und darin evtl. dann die Chance bestünde, dass sie dann ein neues Klassenbewusstsein oder irgendeine andere Art von "Läuterung" entwickeln würden, halte ich für typischen linken und pseudoreligiösen Mumpitz im Stile einer Art Verelendungstheorie, die dann zum Klassenbewusstsein, zu "Revolution" und mit der Revolution zum "Heil" führen würde. Alles nur Varianten der üblichen, gottlosen Selbst-Apotheose der Atheisten und Materialisten, die bekanntermaßen satanischen Charakter hat. Als ob es irgendwelche gesellschaftlichen Automatismen geben würde, dass Leute nur ganz nach unten kommen müssten, um so dann das Rad wieder anwerfen zu können, welches sie "nach oben" spült. Für mich alles haltlose, linke Spekulation. Ich habe noch bei keinem Menschen, der abgestiegen ist, irgendeine politische Bewusstseinsveränderung feststellen können, allenfalls eine starke Veränderung seiner Leberwerte …