Erstens fällt mir auf, daß das Buch – besser: Büchlein, es handelt sich um 44 Seiten exklusive Danksagung etc. – bei amazon.de ein alarmfarbiges „Bestseller“-Emblem trägt. Das macht mich deshalb stutzig, weil es (noch) keine „Kundenrezensionen“ gibt – ungewöhnlich für einen Verkaufsschlager, und noch ungewöhnlicher, weil Die potente Frau in fast allen großen Tageszeitungen breit (und streitbar) rezensiert wurde und die Autorin zuletzt in zahlreichen Rundfunkrunden saß.
Zweitens ist das Buch unter gleich zwei Kategorien auf Rang 1, nämlich unter „Sexueller Mißbrauch“ und „Politikwissenschaften“. Das ist seltsam und komisch zugleich. Es ist kein Buch über sexuellen Mißbrauch und auch kein politikwissenschaftliches Werk.
Es ist nämlich, drittens, eine kleine Programmschrift über die Lage der Frau (Scherz!) in Zeiten von #metoo. Über Proklamationen einer „Neuen Weiblichkeit“ bin ich in meinem Leben schon öfter gestolpert, als ich mitzählen konnte. Google findet zur „Neuen Weiblichkeit“ mehr als 400. 000 Treffer. Eine „neue Weiblichkeit“ wurde bereits in den Säuglingstagen des Internets x‑fach definiert und ausgerufen. Frauen sind halt modeaffin, das Weib – merke – ist neuerungsgeil: Es erfindet sich, hochgerechnet, stündlich neu. Wie spannend!
Viertens werden mir (und zwar nicht unter dem Rubrum „Von Ihrem Browserverlauf inspiriert“, das will ich betonen!) „ähnliche Titel“ angeboten, namentlich: Wife sharing Afrika. Potente F*cker mit großem C*ck wollen auch deine Frau! Und: Leo-Erotisches Tagebuch. Ich fins’s witzig, weil amazon.de sonst immer einigermaßen richtig liegt.
Fünftens: Extrem auffällig unter unseren Buchkunden (antaios.de) ist: Frauenthemen gehen nicht so gut. Das ist höflich formuliert.
Nun ist es so: Rund ein Drittel unserer Antaios-Kunden sind Frauen. Heißt: Für ein normaldeutsches Lesepublikum (in Deutschland kaufen Frauen Bücher!) haben wir wenig weibliche Kundschaft. Für unsere politische Verortung (zählen Sie mal bspw. Autorinnen in anderen rechten Publikationen – sie werden kaum über 5% hinauskommen) hingegen überdurchschnittlich viele.
Und doch laufen bei uns „Frauentitel“, gemessen an anderen Büchern, ziemlich schlecht. Unsere Kundinnen (von den Kunden nicht zu reden) neigen zu männlichen Autoren. Selbst wirklich gute Bücher, die auf neutralem Boden als Verkaufshits firmierten (wie Sabatina James, Zana Ramadani oder Birgit Kelle), liefen bei uns eher „geht so“. Auch unser Superbuch von Camille Paglia (das ich nach wie vor für wegweisend halte) war, bevor wir es einstampfen mußten, vor allem für FremdkundInnen interessant und nicht für die Stammkundschaft.
Rechte interessieren sich nicht für „Frauengedöns“. Auch rechte Frauen eher nicht. Motto: Es gilt doch eh das urmenschheitliche Gesetz, die Trennung der Sphären. Frauen sind seit je für diesen Bereich verantwortlich, Männer für jenen, mit individuellen Bandbreiten. Man kann sich darüber kaputtlabern oder den Kopf zerbrechen. Man kann es auch lassen. Womöglich sind es die Glücklicheren, die es lassen!
Nur: Auch deren Töchter werden eventuell einst deutsche Universitäten besuchen, und dann kommt es nolens volens auf sie zu: Gender ich oder gender ich nicht? Bediene ich das gültige „Narrativ“ oder laß ich’s?
Hab ich, Ellen, hingegen eine schwächelnde weibliche Identität, weil mich „Frauenthemen“ seit vorpubertären Zeiten brennend interessieren? Jedenfalls wurde ich irgendwann auf Svenja Flaßpöhler aufmerksam. Das war, nachdem sie 2007 ihre philosophische Dissertation Der Wille zur Lust. Pornographie und das moderne Subjekt verfaßt hatte. Ich mochte ihre Art zu denken, zu formulieren. Die Fragen, die sie stellte, kannte ich gut. Eine irgendwie bockige Frau, die nicht den feministischen Honigtropfen hinterherhechelte – großartig!
Mittlerweile hat Frau Flaßpöhler eine gewisse Karriere in den Mainstreammedien hinter sich gebracht. Fünf Jahre war sie Redakteurin des Philosophie Magazins (eine Zeitschrift, über deren Leserschaft – wohl irgendwas zwischen Oberstufe und geisteswissenschaftlich interessierter Sekretärin – ich mich bis heute wundere), dann war sie in leitender Position im Zwangsgebührensender Deutschlandradio angestellt, seit neuestem ist sie als Chefin zum Philosophie Magazin zurückgekehrt.
Zuletzt war mir Flaßpöhler aufgefallen, als sie einigermaßen fair über die „Vorfälle“ rund um Antaios von der Frankfurter Buchmesse berichtet hatte. Jetzt also ihre „Streitschrift” Die potente Frau zur #metoo-Debatte.
Das Büchlein kommt in pink daher, wie annodazumal Eva Herman. Auf weißem Oval ist ein „i“ abgebildet; naja – ein Schlitz und ein Punkt. Ganz schön krass.
Svenja Flaßpöhler schreibt so, daß man gern liest. Weder vertraulich-weibischer Gesprächston noch gespreizt-akademisches Geschwurbel. Sie hat nicht nötig, zu beweisen, daß sie den wissenschaftlichen Diskurs und seine bisweilen (Gender-) verstrahlte Sprache theoretisch beherrschte. Meist sind es kurze, entschiedene Sätze.
Schön ist auch: Flaßpöhler richtet sich klug gegen das, was sie „Hashtag-Feminismus“ nennt, eben diese wohlfeilen Kampagnen wie #aufschrei und #metoo.
Der #-Feminismus behaupte nur, er befreie Frauen aus den Fängen des „Patriarchats“, schreibt Frau Flaßpöhler. In Wahrheit wiederhole er „patriarchale“ Denkmuster, nämlich, daß die Frau schwach und schutzbedürftig sei. Sie beklagt die inhärente und prinzipielle Unschärfe dieses „Ich auch“. In den meisten #metoo-„Fällen“ ging es ja nicht um handfeste Vergewaltigungen, die wohl jede/r verabscheungswürdig findet.
Ich wurde auch schon mal mit dummen Sprüchen belästigt – ist das jetzt ein Drama? Gab es nicht Handlungsoptionen, um allzu kessen Anmachern den Wind aus den Segeln zu nehmen? Doch? Aber es wäre kompliziert gewesen? Man hätte was riskiert, eine Arbeitsstelle, eine ganz gute Beziehung?
Frau Flaßpöhler erinnert die Damen daran, daß „Widerstand“ und die berühmte „selbstbestimmte Haltung“ eben nicht einfach zu haben seien: „Es war noch nie einfach, Selbstbestimmung nicht nur zu fordern, sondern konkret zu leben. (…) Die Geschichte wäre keinen Deut vorangekommen, wenn Menschen sich zu allen Zeiten mit dem Argument gerechtfertigt hätten, daß sie, würden sich wehren, Einbußen zu befürchten hätten.“
Ein Zitat für’s Stammbuch! Sich im Nachhinein im Rahmen einer Kampagne bitter zu beklagen, aber im entscheidenden Moment nicht den Mund aufgemacht zu haben, findet Flaßpöhler infantil.
Und überhaupt, was heißt schon „Belästigung“? Die meisten Annäherungen zwischen Mann und Frau beginnen mit einer Offensive. Ich selbst hatte das schon in meinem Buch Die Einzelfalle auseinandergenommen. Will man also gesetzlich geregelten Sex? Eine paternalistische Einmischung des Staats oder der Zivilgesellschaft ins Allerprivateste? Flaßpöhler: „Wer eine Welt ohne Belästigung will, will in letzter Konsequenz eine Welt ohne Verführung.“
Im Normalfall könne sich die Frau dem männlichen Begehren widersetzen, ohne Gefahr zu laufen, körperliche Gewalt zu erfahren. Daß sie den einen und anderen Aspiranten dabei „vor den Kopf stoßen“ muß – nun, das ist wohl so, seit Männer nicht mehr beim Brautvater um ein Placet ersuchen müssen.
Einen Dissens melde ich auf diesem ersten Dutzend Buchseiten nur dort an, wo Frau Flaßpöhler polemisch fragt, warum frau sich nicht mal lieber echten Problemlagen wie „ungleichen Löhne“ widme. Ach komm! Bis hin zu Hausfrauen- und Rentnerinnenzeitschriften wie der Bild der Frau, von schicken Magazinen und anderen Plattfromen gar nicht zu reden, ist die angebliche Pay gap doch seit vielen Jahren ein vielbeklagtes Dauerthema!
Ab Seite 19, das heißt, ab dem 3. von neun Kapitelchen, wird’s ohnehin haarig. Frau Flaßpöhler fordert einen „Wandel der althergerbrachten Begehrensökonomie“ ein. (Wir denken an das kesse Titelbild.) In der „abendländischen Kultur“ (das klingt schon mal, als sei es im Orient gaanz anders) sei die „begehrende Frau“ eine unmögliche Figur. Eine an das „Ja“ gekoppelte Weiblichkeit gäbe es in „unserer patriarchalisch geprägten bürgerlichen Kultur“ nur in zwei (nämlich devianten) Varianten: Einmal als pornographisches Phantasma, zum anderen in pathologischer Ausprägung, nämlich als seelisch kranke Nymphomanin.
Hätte Flaßpöhler diese Aussage in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts getroffen, wäre sie eventuell bedenkenswert gewesen. Man hätte dazu nur ein paar dutzend Weltromane, einige hundert bedeutende Gemälde und diverse Mythen/Legenden ausblenden müssen.
Aber jetzt, anno 2018? Hat die Autorin in den vergangenen Jahren nie eine Cosmopolitan in der Hand gehabt, nie eine Bravo, nie eine Publikation der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung? Nie von Henry Miller gehört, von Anais Nin, Maguerite Duras, Catherine Millet, Benoite Groult, Charlotte Roche, Francoise Sagan. E.L. James etc.pp.? Die „begehrende Frau“ ist doch längst Massenware!
Aber Frau Flaßpöhler sieht allenthalben „ein Frauenbild, das sich allein über das Nein definiert“. Dazu zitiert sie ausgerechnet die dralle Popsängerin Meghan Trainor, denn die singt gegen mißliebige Anmacher: „I don’t need yor hands all over me“, und sie will in diesem Liedchen dem Erregten weder ihre Telefonnumer noch ihren Namen verraten.
Ist doch eigentlich so banal wie okay, was Frl. Trainor da trällert! Flaßpöhler aber findet das sex-negativ und meint dazu: „Mehr Selbstverneinung geht nicht.“
Es wird noch kruder: Sie, Flaßpöhler, stimmt völlig überein mit Judith Butler, wenn diese sich „hellsichtig“ gegen eine „Essentialisierung der Frau“ wende, „gegen die Behauptung also, es gebe so was wie ein weibliches (oder männliches) Wesen.“ Zustimmend zitiert Flaßpöhler: „An die Stelle traditioneller Weiblichkeit solle die queere Körperinszenierung treten, eine lustvolle Überschreitung althergebrachter Geschlechternormen.“ Dieser dekonstruktive Feminismus habe „Bahnbrechendes“ geleistet, indem er zeigte, wie „problematisch sich die unbefangene Annahme eines biologischen Geschlechts“ auswirke.
Nur: Wenn in der Konsequenz das „Subjekt Frau“ gar nicht extistiere, gäbe es auch keine weibliche Potenz. Insofern rudert Frau Flaßpöhler zurück und will in ihren letzten Kapiteln einen „dritten Weg“ zwischen sexnegativer, opferförmiger Weiblichkeit einerseits und der Bestimmung von Weiblichkeit als bloßem Konstrukt andererseits aufzeigen. Sie nennt ihren Weiblichkeitsbestimmungsvorschlag „den Weg des Experenzialismus: der leiblichen Erfahrung“.
Das ist kein ganz neuer Ansatz; unter anderen hatten ihn die Feministin Luce Irigaray und die feminismuskritische, konservative Philosophieprofessorin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz vertreten. Flaßpöhler tischt es uns nun nachvollziehbar und eigentlich banal auf: Natürlich seien wir in der Lage, unser Geschlecht operativ zu verändern. Und dennoch gäbe es „eine unbestreitbare Exklusivität ganz bestimmter, leiblich gebundener Erfahrungen“. (Sie macht natürlich überdeutlich, daß Frausein keineswegs darin bestehe, Kinder zu gebären.)
Dann wird’s ein bißchen seicht: „Männer können nicht wissen, wie es ist, eine Vulva zu haben (…) Frauen wissen umgekehrt nicht, wie es sich anfühlt, einen Penis zu besitzen. (…) Die genannten Differenzen machen das direkte Gespräch, die konkrete Auseinandersetzung nur umso notwendiger. ‘What is it like to be…?’ Nur wenn Männer und Frauen sich diese Frage gegenseitig stellen und um wechselseitiges Verstehen bemüht sind, kann ihr Verhältnis gelingen.“
Ich behaupte zwar, das „Verhältnisse“ auch ganz ohne solcherart Verbalaustausch glücken können – aber geschenkt, so redet und verkehrt man heute wohl.
Das aberwitzige ist nun: Svenja Flaßpöhlers Einlassungen, die man doch (gerade als Nicht-Rechte) für reichlich konsensfähig halten sollte, haben für einen Sturm im Wasserglas gesorgt – was wieder nur zeigt, wie weit die Feuilletonelite und ihre LGBTIQ-Claqueure von einem Normalempfinden auch in Sachen Geschlechterpolitik entfernt sind.
Flaßpöhler gilt nun tatsächlich als „schärfste Kritikerin der #metoo- Bewegung“, als krasse bitch recht eigentlich, und ihre rezensierenden Kolleginnen in der Welt, der Süddeutschen, der FAZ und natürlich der taz warfen ihr „Einseitigkeit“ und „Entsolidaisierung mit Frauen“ vor und klagten, daß sie unter anderem zu wenig auf die angelernten „Rollenzwänge“ eingehe. Auf twitter wurde Flaßpöhler sogar mehrfach der Transphobie bezichtigt:
„Frau Flaßpöhler spricht trans Menschen ihre Identität ab! (…) Ich bin ein Mann mit einer Vulva – möchte mir das Frau Flaßpöhler etwa absprechen?“
„Das Buch lässt nur eine Art von Diskussion zu und die ist voll Unwissenheit und Hass gegenüber trans Menschen“
Der Ullstein-Verlag kann solche Schmähungen freilich gut ab:
Frau @FlaSvenja hat ihren Beitrag zur #metoo Debatte niedergeschrieben als Diskussions- und Gesprächsangebot. Deshalb sind wir dankbar für die kritischen Reaktionen hier, denn das zeigt doch, wie viel mehr Gesprächs und gesellschaftlicher Wandelbedarf noch herrscht. (…) Es tut uns leid, wenn Deine Gefühle durch das Buch von @FlaSvenja verletzt wurden.
Auch, als manche empörten Leser sich nicht darüber beruhigen konnten, daß Männern hier generalisierend unterstellt wurde, kein weibliches Geschlechtsorgan zu besitzen, („Ich kann mich als Nicht-trans-Mensch schon nicht in diesen Zeilen wiederfinden. Wie schlimm muss das für trans Menschen erst sein? Schade, dass @Ullstein da für die Kritik kein offenes Ohr hat, obwohl gerade der Verlag ja auch für die Veröffentlichung verantwortlich ist.“), blieb der Verlag gelassen und lud zu einem gefühlvollen Diskurs ein: „Sollte man das nicht im Gespräch mit @FlaSvenja ansprechen? Ihr zeigen, dass es Gefühle verletzt, sensibilisieren?“
Man mag das alles für marginal halten, für Gedöns. In meinen Augen wird in dieser Diskussion in nuce deutlich, wie der Hase/das Häschen/Bunny heute läuft. Sie zeigt, unter welchem Druck heute selbst Minimalabweichler stehen, zumal, wenn sie in der ersten Liga der Meinungsmacher spielen.
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Svenja Flaßpöhler: Die potente Frau. Für eine neue Weiblichkeit. Berlin: Ullstein 2018, 48. S. 8 €, hier bestellen.
Michael B.
> Die genannten Differenzen machen das direkte Gespräch, die konkrete Auseinandersetzung nur umso notwendiger. 'What is it like to be…?' Nur wenn Männer und Frauen sich diese Frage gegenseitig stellen und um wechselseitiges Verstehen bemüht sind, kann ihr Verhältnis gelingen.
Eines dieser typisch 'linken' Versatzstuecke. Warum sollten Differenzen xyz 'notwendig' - gar 'nur umso notwendiger' - machen?
(nebenbei: derartig unnoetige Ueberhoehung macht mich immer misstrauisch (Cui bono?), das zweite 'nur wenn' - ein simples 'wenn' reicht nicht - oben gehoert in dieselbe Kategorie. Das ist voellig unakzeptables Teppichverkaeufervorgehen mit dem Ziel der Ueberrumpeling durch gezielte Entfernung von Handlungsalternativen)
Selbst bei Weiterfassung des Begriffs 'Frage' wird nie erklaert, *warum* diese denn so zwingend erforderlich sein soll. Im konkreten Fall liest sich 'Verstaendnis' eher als alternativlose Verschmelzung unter Aufgabe jeder Identitaet, die angeblich einzig welchen Erfolg auch immer zeitigen soll. Voelliger Nonsens, das Gegenteil ist der Fall. Der reizvolle maennlich-weibliche Gegensatz ist immer da und gerade der ist unabdingbar und nicht seine Einebnung durch 'Verstaendnis' und aehnliche unsaubere/unlautere Begriffsbildungen.