Ich hielt auf Einladung der Stiftung für die Forschung Ost- und Mitteleuropäischer Geschichte und Gesellschaft im Haus des Terrors einen Vortrag zum Thema “Deutschland 2018 – ein zerrissenes Land”. In den ausführlichen Gesprächen mit Stiftungsmitarbeitern und der Leiterin Mária Schmidt fiel uns ein gebildeter Pragmatismus auf, und dieser Eindruck war so stark, daß mir mein Vortrag und mein ständiges Umkreisen der deutschen Riß-Problematik wie das Zerbröseln eines Stückes Kuchen vorkam.
Ich blieb “im Fragen”, im Zweifeln, Spekulieren, Theoretisieren befangen, und das machte dort, in Ungarn, keinerlei Eindruck – zumal nicht im Gespräch mit Leuten, die Orban beraten oder entlang seiner politischen Linie und mit der Unterstützung seiner Regierung arbeiten und Wirkung entfalten.
Mir schien, daß dort gar keine Zeit für weiteres Grübeln aufgewendet wird, zumindest nicht dort, wo gehandelt werden kann, und zwar entscheidend gehandelt (immer vor dem Hintergrund der Handlungsmöglichkeiten in einer modernen Massengesellschaft). Grübeln konnte man wohl, solange man keine Machtmittel in der Hand hielt, und Grübeln wird man wieder können, wenn man den Platz an den Hebeln freiwillig oder unfreiwillig wieder abtreten wird.
Ich rede damit keinem realpolitischen Mittun im angepaßten Sinne das Wort. Die Leiterin der Stätte, Professorin Mária Schmidt, hat Projekte für ein nationalbewußtes, hellwaches, volksnahes Ungarn umgesetzt, die ein anderer in ihrer Position wohl zum Schaden für das eigene Volk gedreht hätte – in Deutschland erleben wir das und die Folgen davon alle Tage. Es geht um Denkmale, Straßennamen, Bücher, Forschungsaufträge, Begriffsetzungen, historische Großerzählungen und um das “Haus des Terrors” in der Andrassy, der Prachtstraße, die auf den Heldenplatz zuläuft.
Für die Konzeption dieses Hauses während der ersten Regierung Orban (1998–2002) hat Mária Schmidt viel Kritik, viel Schmähkritik erhalten, vor allem auch aus dem Ausland, denn das Museum bildet den Antitotalitären Konsens ab, den die meisten ehemaligen Ostblockstaaten selbstverständlich pflegen. Im Falle des “Terror Hazas” heißt das: die faschistische Pfeilkreuzlerherrschaft wird in den Ausstellungsräumen neben der kommunistischen Herrschaft thematisiert, die Täter oder die Opfer beider Regimes werden an manchen Stellen ohne Kennzeichnung nebeneinandergestellt, denn es ist am Ende wohl ebenso egal, ob einer unter den Faschisten oder unter den Bolschewisten gefoltert und umgebracht wurde, wie es egal ist, ob es der Rasse oder der Klasse wegen geschah.
Spät am Abend, als der Nachtisch aufgetragen wurde, wischte Mária Schmidt unsere Schilderungen über den staatlichen und zivilgesellschaftlichen Druck auf die konservativen, rechten Widerstandsprojekte mit einer Handbewegung beiseite: Nicht so viel grübeln! Machen! Stur den nächsten Schritt gehen! Es ist, wie es ist, aber es muß besser werden, jeden Tag ein bißchen besser, und es beginnt damit, daß man um sich herum Ordnung schafft, Ordnung im Sinne des Ganzen.
Und die Entscheidung? Sie fiel auf dem Rückweg, der uns an Visegrad, Esztergom und Györ vorbeiführte, wobei wir in Györ auf Deutsche trafen (in einer Nebenstraße am Tisch eines vorzüglichen Restaurants), die uns kannten und die prächtig berichteten von ihrem Betrieb und der Politisierung ihres Lebens.
Manchmal muß man wohl eine Schleife drehen, um danach den Kopf schütteln zu können über sich selbst: Was ist uns denn verwehrt? “Alle Nachtgedanken müssen triefen von Hoffnung.” Damit hat alles weitere eine Richtung.
Der Gehenkte
Da wäre man gerne dabei gewesen ...
Dazu gibt es einen ganz großartigen Artikel des "Terror Háza Múzeum", wie man ihn sich in D nur wünschen kann:
https://www.terrorhaza.hu/hu/hir/2018-06-01-deutschland-2018-a-szettepett-orszag
Auch die konservative Presse berichtet:
https://magyaridok.hu/belfold/gotz-kubitschek-konzervativ-forradalomra-van-szukseg-3153160/
Scheint ein "event" gewesen zu sein.
Wenn man sich mit der Fidesz in Migrationsfragen auch einig sein kann, die innenpolitischen Probleme sind enorm und Orbán wird früher oder später daran scheitern, wenn er die Korruption - in die er persönlich verwickelt ist - nicht beseitigt und den Lebensstandard nicht heben kann.