So ganz vom Tisch ist das Thema #FreeTommy für mich noch nicht: Zur Frage der Solidarität haben Kollege Poensgen und Raskolnikow auf ihre Weise alles gesagt, allerdings bin ich auf die in den Raum geworfene Frage “Was nun?” gewissermaßen eine Antwort schuldig geblieben und nachdem es sich bei diesem Sonntagshelden Nr. 62 um den meistkommentierten handelt, erlaube ich mir, die 20.000-Mann-Demonstration vom gestrigen Samstag als Anlass für ein paar lose Gedanken zu nehmen. Das hat auch den Grund, dass die Entwicklungen, die sich jetzt im Vereinigten Königreich andeuten, durchaus ein interessantes Beobachtungs- und Testgelände sein können für vergleichbare Fälle in Deutschland und Österreich, mit denen wir früher oder später rechnen müssen.
Um also direkt dort einzusteigen, wo ich im Artikel vom 27. Mai aufgehört habe: Was hat mich an den biergeschwängerten Unmutsbekundungen der aufgebrachten Robinson-Hooligans in der Downing Street so gestört? Soviel vorab: Es war keinesfalls die Dose Bier, die da über den Zaun gekippt wurde – solche Gesten können Charme haben, gehören aber vielleicht eher auf Beerdigungen von Rockstars, als auf politischen Demonstrationen. Viel mehr spielten – neben den quasi parallel entstandenen Partybildern der Abtreibungsbefürworter, die jedesmal kurze Verzweiflungs- und Ekelschübe verursachen, wenn ich sie mir ins Gedächtnis rufe – besonders zwei Faktoren für mich eine Rolle: Zum einen war es die mangelnde Informbringung der Demonstranten. In altbekannter Mob-Manier (hier soweit das geht wertfrei gemeint) standen sie vor dem Zaun, riefen ihre Parolen und drückten gegen die Polizeiketten, ohne ernsthafte Ambitionen zu haben oder ein sichtbares Ziel zu verfolgen. Der zweite Punkt hängt direkt mit dem ersten zusammen: Die mangelnde Bereitschaft zur ungehorsamen Kreativität. Man führe sich die Situation noch einmal vor Augen: Mehrere Hundert Männer im wehrfähigen Alter finden sich auf der Straße zusammen, um ihren Unmut kundzutun, alles was ihnen im Weg steht (zumindest als unmittelbares Symbol) ist ein Zaun und eine einreihige Kette aus Polizisten, die mit der Absicherung vollkommen überfordert und in absoluter Unterzahl ist. Da kann man doch auf Ideen kommen – zumal die vereinzelten Galgenvögel, die dann tatsächlich den Zaun hochkletterten, kaum daran gehindert werden konnten.
Nun also, zwei Wochen später 20.000 Menschen auf einer Demonstration mit UKIP-Chef Gerard Batten, Filip Dewinter vom Vlaams Belang und als “Stargast” dem liberalen Islamkritiker Geert Wilders. Und diesmal? Diesmal sah die Gemengelage noch ein wenig schärfer aus: Da die zwei übergeordneten Themen des sich momentan entwickelnden britischen Widerstandsmilieus, die Repression gegen patriotische Kräfte bei gleichzeitigem umfassenden Staats- und Polizeiversagen in den massenhaft ans Licht kommenden Fällen der systematisierten Zuwanderervergewaltigungen von der Menge symbolisch auf die eingesetzten Polizeikräfte übertragen wurden, entlud sich die Anspannung in vereinzelten Handgemengen, bei denen die Demonstranten “Shame on you” (zu deutsch etwa: “Wo wart Ihr Silvester?”) skandierten, während die eingesetzten Polizisten sich mit Teleskopschlagstöcken zur Wehr setzten, wobei eigentlich auch egal ist, wer angefangen hat.
Das sorgt natürlich wieder für das bekannte bürgerliche Hygienejucken, für ein paar unansehnliche Flecken auf der weißen Weste des sich im vorgegebenen Diskursrahmen zu artikulieren habenden Protestes. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass jene sich formierende britische Zivilgesellschaft durchaus eine höhere Vehemenztoleranz aufweist, als man vielleicht glaubt; sonst hätte sie sich wohl kaum die Befreiung eines vorbestraften Hooligans auf die Fahnen geschrieben.
Hinzu kommt allerdings die berechtigte Frage: Steht das was ich hier schreibe im Widerspruch zu Sonntagshelden wie Arnaud Beltrame, oder der namenlosen Polizistin von letzter Woche?
Die aktivistische Erfahrung sagt: Der “Typ in der Uniform” ist für uns nicht das Meinhofsche Schwein. Aber er ist jemand, der einen Eid geleistet hat, die (Fehl-)entscheidungen der Politik zu verteidigen und der diese ununterbrochen verkörpert und durchsetzt, wenn er uns auf der Straße gegenübersteht. Als Träger dieser Fehlentscheidungen hat er sich uns gegenüber zu rechtfertigen und muss, wenn er zwischen uns und unserem Ziel steht, auf eine Art und Weise umflossen werden, die die zivilgesellschaftliche Narrensäumlichkeit, das beherzte Zwischen – also Schubsen, Drängeln, Beinestellen – nicht überschreitet und doch erfolgreich ist. Im Angesicht eines soliden Blocks aus breitgebauten BFE-Kloppern ist das nicht möglich, aber wenn es etwas gibt, das man von linken Demonstranten lernen kann, dann, dass es die Lücke nur zu finden gilt, die ohnehin vorhanden ist.
Das alles funktioniert natürlich nur, wenn man es schafft, die um sich greifende Energie der Erlebnisorientierten zu kanalisieren und wenn nötig auch zu drosseln. Hier kommen wir zum ersten Punkt (“Informbringung”) zurück und die hat diesmal in England noch nicht funktioniert. Übrigens in beide Richtungen nicht. Dass sich ein windiger Typ wie der erwähnte UKIP-Chef von den “Idioten und Provokateuren” distanziert und sich bei der Polizei für ihren “marvellous job” bedankt, wäre durchaus Anlass genug, ihm den Raskolnikowschen Solidarischen Imperativ in einer zwiegesprächlichen Nachhilfestunde ganz im Sinne seiner Zweiseitigkeit bilateral und handwarm angedeihen zu lassen. Gleichzeitig gilt natürlich auch für die Seite derer, die losgehen: Körperlichkeit nutzt nur dort, wo sie auch etwas bewirken kann. Fliegende Bierdosen erfüllen diese Rechnung nicht, das beherzte Verhindern einer Ingewahrsamnahme schon.
Zuguterletzt braucht auch die in Form gebrachte Energie ein Ziel, das es zu erreichen gilt, ein Bild, das erzeugt werden soll, also: Eine Richtung. An der Stelle kann ich den britischen Kameraden wenig helfen, für eine konkrete Vorgabe kenne ich die Verhältnisse auf der Insel zu wenig. Mir bleibt nur festzustellen, was für ganz Westeuropa gilt:
Die ursprüngliche Öffentlichkeit, das ist die Straße. Und vielleicht ist der Tag nicht mehr fern, an dem wir uns die Freiheit dieser Straße wieder und wieder nehmen müssen, weil jede andere Form der Öffentlichkeit uns durch Zensur und Marginalisierung verwehrt bleibt. So kommen wir zu dem Zitat vom Anfang zurück, es stammt (sinngemäß) aus der linksradikalen Schrift “Der kommende Aufstand”: “Eine Demonstration ist kein Ort um sich zu zählen, aber es ist ein Ort um sich zu organisieren und gemeinsam zu handeln.” Will sagen: Es kommt nicht auf die 20.000 an, sondern auf den Teil von ihnen, der bereit ist, im richtigen Moment in dieselbe Richtung zu rennen.
Das alles ist kein Patentrezept, es sind ein paar Grübeleien zum Sonntagabend, der diesmal ohne einen Helden auskommen muss, ein bisschen Kramen in Fragen und Antworten, denen sich schon andere gegenübersahen und vielleicht auch ein kleines bisschen zähflüssige Zuversicht im Angesicht der sich entfaltenden Dynamiken.
Durendal
"...in einer zwiegesprächlichen Nachhilfestunde ganz im Sinne seiner Zweiseitigkeit bilateral und handwarm angedeihen zu lassen..."
Wenn bestimmte Visionen der patriotischen Zukunft anfangen ähnlich zu klingen wie das, was man seit Jahren auf Indymedia liest, ist es Zeit, sich zu verabschieden.