Ohne Zweifel: Die AfD ist das Original. Sie hielt die Grenzöffnung von Anfang an für rechtswidrig, unverantwortlich und verlogen und kann Seehofer jene Reden vorspielen und Papiere hinblättern, von denen dieser nun abkupfert, was ihm im Herbst in Bayern die Wahl retten soll.
Schon einmal gab es eine ziemlich erfolgreiche Rechtspartei (die Republikaner), die so sehr zu wirken begann, daß CSU und CDU Politikspionage betrieben, Markenimitate unterm Wählervolk verscherbelten und den Erfinder ausstachen. “Wir sind das Original” lautete damals ein ebenso verzweifelter, wie wirkungsloser Slogan der Republikaner.
Rund um Rolf Schlierer hat sich die Mannschaft damals den Niedergang damit schöngeredet, daß es am Ende für Deutschland egal sei, wer das Ruder in die richtige Richtung drehe: ein neuer Steuermann oder derjenige, der schon immer am Ruder steht, dem Druck nachgibt und den Kurs korrigiert.
Die Lage heute ist nicht die Lage von 1995, die AfD ist nicht mit den Republikanern vergleichbar. Sie wird bis Ende des Jahres in allen Landesparlamenten vertreten sein, stellt die größte Oppositionsfraktion im Bundestag, trifft auf Wähler, die dem politisch-medialen Establishment nichts mehr glauben und verfügt über Köpfe und Kanäle, um einige entscheidende Politikfelder zu verteidigen.
Die AfD muß dafür nicht in ein entrüstetes und weinerliches “Aber wir sind doch das Original” verfallen. Sie ist nicht von der Gunst oder der Fairneß der anderen abhängig, sondern muß eines tun: Sie muß ihren Wählern und den wechselwilligen Wählern der Altparteien klarmachen, daß es sich bei den Kurskorrekturen dieser Altparteien nur um einen Abklatsch von dem handelt, was unter einer “Alternative für Deutschland” zu verstehen ist. Sie muß außerdem betonen, daß es überhaupt keinen Grund gibt, jemandem wie Seehofer auch nur eine Minute lang zu trauen.
Am besten, man zöge nun die gut sortierte Ablage der letzten drei Jahre aus der Schublade und blätterte den christsozialen Wahlkampf-Radikalen ihre welcome-Rhethorik auf: Profis wie Seehofer steigen immer dort zu, wo gerade am lautesten gefeiert oder am lautesten geflucht wird.
Die AfD wirkt also. Ohne sie würde Horst Seehofer nicht handeln, wie er handelt, und ohne sie hätte die Linke um die Politikerin Sahra Wagenknecht und den Dramaturgen Bernd Stegemann keine Sammlungsbewegung initiiert. Das ist nämlich die zweite Abfangbewegung, der wir seit einigen Tagen beiwohnen dürfen.
Die AfD hat zurecht der SPD und der Linkspartei den sogenannten kleinen Mann in spürbarer Prozentzahl abgejagt, wobei “Jagen” den Vorgang nicht treffend beschreibt: Die AfD liegt nicht auf der Lauer und ist nicht auf der Pirsch, sondern kümmert sich schlicht um diejenigen, die zur Hochzeit von Neoliberalismus und Ich-Identitätspolitik nicht geladen sind, weil man dort für das normale Leben der Normalen nicht viel übrig hat.
Daß nun die intelligentere, die nicht abgehobene, die traditionelle Linke diese nicht vermittelbare Lücke zwischen engagiertem Vertretungsanspruch und postmoderner Vereinzelung wieder schließen will, hat nicht nur wahlstrategische, sondern grundsätzliche und historische Gründe. Wagenknecht und ihr Kreis könnte zurecht “Aber wir sind doch das Original” vor den Werkstoren verteilen lassen, um die abwandernde Stammwählerschaft zum Bleiben zu bewegen.
Aber man reagiert dort anders, professionell, und die AfD täte gut daran, diese Reaktionsform auf den tiefen Einbruch eines Gegners in die eigene Stellung sehr genau zu studieren. Beginnen werden Wagenknecht/Stegemann mit einer Sammlungsbewegung, einem “Think Tank”, der soziale Frage, Patriotismus, Identität, Solidarität, Zugehörigkeit und Abgrenzung wieder zusammendenkt (Klammer auf: Nur so zusammengestellt kann man das ja zusammendenken, grenzenlose Solidarität etwa müßte man weiterhin zusammenlügen. Klammer zu).
Das ganze wird parteiübergreifend und sogar parteifern, also einbindend und mit einer Verlagerung ins Gesellschaftliche aufgebaut. Es gehen Leute an Bord, die das dumme Nazigeschrei der Linken für dumm, die bequeme Ein-Thema-Zuschreibung in Richtung AfD für bequem und die fahrlässige Unterschätzung rechtsintellektueller Theoriearbeit für fahrlässig halten.
Der Publizist Thomas Wagner sei stellvertretend für andere als Prototyp mit diesem strategisch ausgerichteten Anforderungsprofil genannt. Er hat nicht nur eines der besten Bücher über die Aufstiegsstrategie der “Neuen Rechten” geschrieben (Die Angstmacher. 1968 und die Neue Rechte), sondern ist zum einen ein profilierter Kritiker der oben erwähnten Selbstoptimierungshochzeit, zum anderen seit einiger Zeit Autor der NZZ, von der man seit ihrer online-Ausweitung nach Deutschland ein wenigstens sanft-konservatives Gegenspiel zum Mainstream erwartet.
Zum dritten hat Wagner für sein Buch mit vielen Konservativen und Rechten gesprochen, vor allem mit Benedikt Kaiser, bei dem er zurecht ein grundsätzliches und strategisches Interesse an der sozialen Frage wahrnimmt. Wagner ist in dieser Hinsicht der publizistische Gegenentwurf zu Volker Weiss (Die autoritäre Revolte), der noch immer meint, man könne in einer Mischung aus Unterstellung, Arroganz und Abwertung den Korken wieder auf die rechtsintellektuelle Flasche drücken. Dessen Text in den Blättern für internationale Politik hat daher erwartungsgemäß im Vergleich zu dem, was Wagner und andere vordenken, keinerlei Potential, sondern klingt nach der bleiernen Zeit von vor zehn Jahren. Weiß wird in der neuen linken Sammlungsbewegung aus diesem Grund keine Rolle spielen – er tanzt erwartbar ungelenk auf der Hochzeit.
Ganz anders Wagner: Er hat zusammen mit Fabio di Masi und Sahra Wagenknecht vor drei Tagen in der Frankfurter Rundschau einen strategischen Text veröffentlicht, an dem man alles hellwach wahrnehmen sollte: die Zusammenstellung des Autorentrios, die Begrifflichkeit, die Breitseite gegen linke Identitätsthemen, die Plattform überhaupt.
Vor zwei Wochen gaben Wagenknecht und Stegemann in der Zeit den Startschuß – man verfügt als sinnierende Linke eben über beste Kanäle, und man wird sie alle bespielen.
Wenn Seehofers copy and paste taktischer Natur ist und vom Wähler durchschaut werden kann, geht es bei Blick auf die linke Sammlungsbewegung um die Wurst: Die soziale Frage ist ein Kronjuwel der Linken, und es könnte ihr durch eine glaubwürdige und entschlossene AfD abgejagt werden.
Wir gehen politischen, anstrengenden, wichtigen Monaten entgegen.
bb
„Hochzeit von Neoliberalismus und Ich-Identitätspolitik“
Kann mir mal bitte jemand erklären, was an unserer Gesellschaft neoliberal sein soll? Was so schlimm an Neoliberalismus sein soll? Warum man den Staat als Antwort auf die „soziale Frage“ braucht?