Ja, wieso denn das jetzt wieder? „Weil Ihr alle abgeknallt habt.“ Abgeknallt? Ach so! “Hassen” war ein bißchen flapsig gemeint:
Neulich war Klassenfest mit Sportspielen. Eltern gegen Kinder. Es gab (mitteldeutsch) Zweifelderball bzw. (westdeutsch) Völkerball, meinen Lieblingsmannschaftssport: Nostalgie pur. Kubitschek und ich haben uns nicht lumpen lassen. Die Alten haben die kleinen Angeber der Reihe nach “abgeknallt”, also vom Feld gefegt. Wenn schon Wettbewerb, dann richtig!
Kindermund II: Die noch Kleinere: „Wenn einer berühmt ist, ist dann auch die ganze Familie berühmt?“ – „Nein, normalerweise nicht.“ – „Also manchmal schon?“ – „Selten. Bei Königsfamilien kommt so was vor.“
Eine Minute Schweigen. Dann: „Geben Kinder von berühmten Leuten manchmal Interviews?“ – “Ja, manchmal. Wieso eigentlich diese Fragen?“ – „Ach, nur so.“
Kind geht spielen, kehrt bald zurück mit einer weiteren Frage: „Gibt es eigentlich Geld für Interviews?“
Eventueller Hintergrund: Die Frage nach einem Eis wurde heute abschlägig beschieden, was Protest nach sich zog. Die Sitte des „Taschengelds“ pflegen wir nicht. Vielleicht erklärt das etwas.
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16. Juni
Du liebe Güte, amazon.de hat grandiose Kategorien! Zum Beispiel diese: „Politische Geschenkbücher“. Das ist mal spannend. Produkte von Antaios finden sich hier, logisch, nicht, wäre ja auch noch schöner. Unter den Top Ten finde ich: Sehr gerne, Mama, du Arschbombe. Tiefenentspannt durch die Kinderjahre. Das ist interessant, weil ich immer das Gefühl hatte, in den untersten Unterschichten schenke man sich eher Schnapsflaschen oder Nacktefrauenkalender.
Ebenfalls ganz oben gelistet ist ein Buch mit dem hübschen, neugierweckenden Titel Zwei links, zwei rechts – super Idee, feine Konstellation! Untertitel halt: Geschichten vom Stricken. Inwiefern das erneut politisch wäre, dürften die Algorithmen wissen.
Auf Platz Nummer eins ist das Jungefrauenbuch Good Night Stories for Rebel Girls: 100 außergewöhnliche Frauen, Hanser Verlag. „Politisches Geschenkbuch“ erscheint mir da als wahrhaftige Kategorisierung.
Vermutlich lecken sich weniger die jungen Mädels die Finger nach einem solchen Werk; es wird wohl vor allem als Anschub und Indoktrinationsinstrument von alten Tanten für die Nichte oder von Müttern gekauft, die es eigentlich bedauerlich finden, daß das Töchterlein sich ständig die Sendungen von Bibi’s Beauty-Palace reinzieht. Motto: Schau mal, Du könntest eigentlich Ingenieurin werden! Astrophysikerin! Menschenrechtlerin! Wenigstens Künstlerin! Allermindestens ein Rebel Girl!
Jüngst hatten wir eine Einladung und sollten für das Mädchen, das gefeiert wurde, auf Nachfrage (Nachfrage bei der Mama, versteht sich) eine “Starke-Frauen-Biographie” mitbringen. Deshalb hab ich in der Buchhandlung in den (als Stapelware liegenden) Rebel Girls geblättert. Das Erwartbare: In Kürzestbiographien (opulent illustriert von „60 Frauen aus aller Welt“) werden Michelle Obama, Frida Kahlo und – quotengerecht – zahlreiche Afrikanerinnen vorgestellt, von denen frau zuvor kaum je gehört haben dürfte.
Auch deutsche Rebellinnen sind darunter: Angela Merkel und Steffi Graf, wer denn sonst?
Die Rezensentin des Staatsfunks „Deutschlandradio“ ergötzte sich besonders darüber, das auch Coy Mathis zu den Ikonen (sagt man: Ikoninnen?) zählt. Coy war beizeiten klar geworden, daß er im falschen Körper geboren ist und hat im Alter von sechs Jahren durchgesetzt, daß er/sie trotz Penis die Mädchentoilette besuchen darf. Wenn das nicht ein heroischer Akt ist! Warum das Buch über all diese wahnsinnig starken Ladies als „Politisches Geschenkbuch“ firmiert, ist also logisch. Aber warum „Gute-Nacht-Geschichten“? Auch klar. Immerhin verfügen die Verfasserinnen über Selbstironie.
Und doch (eigentlich auch logisch: viele Eltern freuen sich, wenn die Brut endlich einschläft) erfreut sich das Buch regen Zuspruchs. Die Kunden auf amazon.de sind enthusiasmiert, Durchschnittswert: fünf Sterne. Beispielskommentare:
Die Illustrationen haben bei meinem Sohn [oh wie cool, EK] nicht unbedingt Interesse geweckt und erscheinen überflüssig. (…) Trotzdem, sollte nicht in einer Kinderbibliothek fehlen, weil es einfach zu wenig feministische Sachbücher für Kinder gibt!
Oder:
Unsere Tochter (4 Jahre) mag die Zeichnungen sehr gerne. Viele Geschichten sind für die noch schwer verständlich, aber bei einigen fragt sie geziehlt nach und dann googeln wir gemeinsam nach mehr Infos. [“Gemeinsam googlen” ist das Geilste, was ich mir mit meiner vierjährigen Tochter hätt’ vorstellen können, EK.] Besonders für PoC/Afro-deutsche Familien ist dieses Buch eine wertvolle Ergänzung für die Heimbibliothek.
Wir haben dann als Geschenk Melitta Gräfin Stauffenberg. Das Leben einer Fliegerin gekauft.
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17. Juni
Kindermund III: Manichäisches Weltbild des Kindes. Die Abendbrottafel soll gerade aufgehoben werden. Die Eltern sind müde vom Erziehen, die Kinder vom Erzogenwerden. Nur die unermüdliche Kleinste nicht. (Zuletzt ging es um Ölmalerei, um am-Tisch-sitzen mit breiten Armen, um Impfungen und letztlich um Volleyball, also quer durch.) Sie: „Eine Frage muß ich noch stellen: War Hitler eigentlich gut oder böse?“ Drei leicht müde Erwachsene schauen sich an, verziehen synchron das Gesicht, stocken synchron, sagen dann aus einem Mund: „Böse.“ Es wäre ein unglaublich reiner Dreiklang gewesen, wenn nicht eine pubertierende Stimme hineingesprochen hätte, es sei in Wahrheit aber viel komplizierter.
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18. Juni
Nennen Sie mich eine arrogante Sau, aber Texte von Leuten, die noch keine dreißig sind, lese ich nur dann ernsthaft, wenn sie aus einem vorigen Jahrhundert stammen.
Aber: Alle paar Tage scrolle ich die FAZ durch und bin nun nur deshalb an einem Text hängengeblieben, weil ich mich aufregen wollte. Er ist unter der Rubrik Studentenblog erschienen, und eigentlich wollte ich mich lesend nur über diese Loser namens Studenten echauffieren. Der Teaser des Textes von Autor Max Stange:
In einer Leipziger Mensa wurde vor dem WM-Auftakt der Nationalmannschaft eine Dekoration mit Deutschland-Wimpeln demoliert. Was steckt wohl hinter diesem Akt? Überlegungen in zerstörter Kulisse.
Hier führt einer klug die Feder!
Wie der ärgerliche alte Mann von nebenan, der den Gästen eines Kindergeburtstags die Luftballons zerplatzt, weil es in dieser Welt nichts zu feiern gibt – so haben hier ärgerliche junge StudentInnen die Wimpel heruntergerissen. Um den falschen Schein zu zerstören?
Der junge Autor vermutet klug, daß die TäterInnen hier
wohl in der – eigentlich völlig harmlosen – Fähnchendekoration womöglich den Nationalsozialismus wieder auferstehen sehen. Sie witterten vielleicht eine heimliche Gesinnungsfront von Reichsbürgern, Mensa-Personal und ‚patriotischen’ Macho-Fans. Traurigerweise beweisen sie damit aber selbst nichts als Unverstand und mangelnde Urteilskraft. Ein inferenzieller Kurzschluss von Wimpel auf Wehrmacht und ‚verkehrtes weltanschauliches Bewusstsein’ zeugt eher von politischer und menschlicher Unreife als von ernsthaftem Interesse an politischem Handeln.
Den Begriff „Küchenfrauen“ (die wohl für das supernationalistische Drama verantwortlich waren) in seinem Liebreiz, seinen Konnotationen und seiner Lebenswirklichkeit (wieviel und vor allem was verdienen die eigentlich?) kann wohl nur ein Ossi oder ein gut Assimilierter in seiner ganzen Tiefe ermessen. Herr Stange:
Marodierende Pseudo-Moral und abstrakter Eigendünkel bereiten nur denen Kummer, die in bester Absicht und mühevoller Arbeit die Mensa dekoriert haben.(…) Die bekenntnishafte ‚Politisierung’ der eigenen Pubertät ist das billigste Surrogat für etwas, das wirklich politisch wäre. (…) So sinnloses Handeln wie das Abreißen von Deutschlandfähnchen in der Mensa gibt manchem vielleicht ein Gefühl von Allmacht. Tatsächlich beweisen die Protagonisten damit aber nur die allergrößte Ohnmacht.
Seit Don Alphonsos Abschied von der FAZ-Blogwelt hab ich dort selten so etwas Gescheites gelesen.
Monalisa
Ich freue mich jede Woche auf's "Best-Of" Ihrer Jüngsten. Ist abgedroschen, aber trotzdem: genießen Sie die Zeit!
Hinter dem Arschbombenratgeber steckt übrigens ein populärer Muttiblog von "das nuf", einer gutverdienenden Akademikerin in Berlin/Prenzlauder Berg.
Ich lese sie sehr gern, obwohl brav links und feministisch. (Die geringe gesellschaftliche Wetschätzung für die Arbeitsleistung von Müttern ist außerdem ein reales Problem.)
Naja, mal eine kleine Kostprobe:
https://dasnuf.de/conni-das-mem/