Machtarithmetik, Machtautismus (II)

Saul Alinsky war an und für sich nicht nur ein erzlinker Schlaubi Schlumpf, sondern auch eine ausgesprochen unappetitliche Persönlichkeit.

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

Obschon er ins­be­son­de­re mit sei­nen krea­ti­ven Ver­wen­dungs­plä­nen von mensch­li­chen Aus­schei­dun­gen zu “bür­ger­recht­li­chen” Zwe­cken nicht eben den glor­rei­chen Ideen­pio­nier für Akti­vis­ten dies­seits der Gren­ze des guten Geschmacks abgibt, zu dem er bereits sti­li­siert wor­den ist, sind sei­ne stra­te­gi­schen Erwä­gun­gen zur geziel­ten Macht­ap­pli­ka­ti­on von Gras­wur­zel­be­we­gun­gen durch­aus interessant.

In glei­cher Bün­dig­keit wie beim »7‑Punk­te-Plan« der FPÖ han­delt es sich bei Ali­n­skys berühmt-berüch­tig­ten »Rules for Radi­cals« kon­kret um die folgenden:

1. Macht ist nicht nur das, was man tat­säch­lich hat, son­dern das, was der Feind glaubt, das man hat;
2. nie­mals den Hori­zont der eige­nen Leu­te übersteigen;
3. wann immer mög­lich, den Hori­zont des Feinds übersteigen;
4. den Feind dazu zwin­gen, nach sei­nen eige­nen Regeln zu spielen;
5. Hohn als wirk­sams­te Waffe;
6. Eine gute Tak­tik ist eine, die den eige­nen Leu­ten Spaß macht;
7. Eine Tak­tik, die sich in die Län­ge zieht, wird langweilig;
8. nicht nachlassen;
9. Dro­hun­gen sind meist wirk­sa­mer als tat­säch­li­ches Handeln;
10. Grund­vor­aus­set­zung jeder Tak­tik sind fort­lau­fen­de Aktio­nen, die kon­stan­ten Druck auf die Gegen­sei­te ausüben;
11. Einen Nach­teil lan­ge und beharr­lich genug aus­zu­rei­zen, wird ihn ins Gegen­teil umschla­gen lassen;
12. Der Preis eines erfolg­rei­chen Angriffs ist eine trag­fä­hi­ge Alternative;
13. Ziel wäh­len, fest­zur­ren, per­so­na­li­sie­ren und polarisieren.

Der Ver­gleich hinkt hier natür­lich ein wenig, was rech­te Nach­be­ter die­ser For­meln in der Regel über­se­hen: Ali­n­sky ging es aus­drück­lich um ein Pro­gramm zur Selbst­er­mäch­ti­gung der abso­lu­ten Unter­schicht, des gesell­schaft­li­chen Keh­richts, in sei­nen eige­nen Wor­ten: der »Have-Nots«. Dadurch sind sie nicht ohne Anpas­sun­gen über­trag­bar auf Inter­es­sen­grup­pen, die zwar von der be-schrei­ben­den Zunft unse­rer Tage so gern als »Abge­häng­te« irgend­ei­ner Art (oder, mit Hil­la­ry Clin­ton, als »Deplo­rables«) bezeich­net wer­den, sich einen öffent­lich­keits­wirk­sa­men Sta­tus als all­seits bemit­lei­dens­wer­te Under­dogs jedoch erst her­bei­re­den und ‑schrei­ben müs­sen – ohne­hin ein zwei­schnei­di­ges Schwert, das oft in einen Fremd­scham erre­gen­den Opfer­stolz von rechts umzu­schla­gen droht.

Dar­über hin­aus ist wesent­li­ches Ziel der direk­ten Akti­on im Sin­ne Ali­n­skys die Her­bei­füh­rung einer Eska­la­ti­ons­spi­ra­le, an deren Ende nicht die revo­lu­tio­nä­re Ver­än­de­rung, son­dern der Kom­pro­miß steht, im augen­blick­li­chen bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Zusam­men­hang also qua­si die See­ho­fe­ri­sie­rung der Innen­po­li­tik – etwas, das man nicht wirk­lich wol­len kann.

In bezug auf die miß­glück­te “Ent­tar­nung” der FPÖ durch Kath­rin Glö­sel – übri­gens ein Sujet, das zur wesent­li­chen Ziel­set­zung von “Kon­trast” zählt – ist also abge­se­hen vom Ver­weis auf die Regeln 4, 5, 8 und 9, die qua­si auto­ma­tisch grei­fen, sobald man beginnt, eine alte Deu­tungs­ho­heit umzu­schub­sen, fol­gen­des anheimzustellen:

Von der War­te einer (Regierungs-)Partei aus betrach­tet, dreht sich die gesam­te Front­stel­lung des Ali­n­sky-Modells von der Ortho­go­na­len in die Hori­zon­ta­le. Die genu­in poli­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung “wir gegen die” ist nicht mehr in “unten gegen oben” zu über­set­zen, son­dern appa­rat­in­tern in “rechts gegen links”. Das rückt ins­be­son­de­re den letz­ten Punkt des Glö­sel­schen Geme­ckers in den Fokus, »als Eli­te über Eli­ten schimp­fen«, und von hier aus läßt sich das Feld sehr rasch aufrollen.

Denn die­se plötz­li­che Klas­sen­kampf­rhe­to­rik, die Elmar Pod­gor­schek zuge­ge­be­ner­ma­ßen durch sei­ne eige­ne Wort­wahl her­aus­ge­for­dert hat, ist im Grun­de nur ein erwart­ba­rer Ver­such, die Per­spek­ti­ve wie­der zum ewi­gen Kampf der unter­drück­ten Wasauch­im­mer (womit meist “Wir alle” gemeint sein sol­len) gegen ihre pro­to­dik­ta­to­ri­schen Unter­jo­cher zurück­zu­dre­hen. Glö­sels eige­ne Rabu­lis­tik unter Ver­weis auf den mitt­ler­wei­le wohl unver­meid­li­chen Jan-Wer­ner Mül­ler trifft des­halb nicht nur nicht ins Ziel, son­dern schießt weit am Ziel vor­bei und trifft unbe­tei­lig­te Zuschauer.

Der Ter­mi­nus “Eli­te” ist im Sin­ne der heu­ti­gen west­li­chen Staats- und Gesell­schafts­struk­tur längst kein sozia­ler Begriff mehr, son­dern ein funk­tio­na­ler, und in genau die­sem Zusam­men­hang sind auch die wei­te­ren unter Umsturz­ver­dacht gestell­ten Kern­aus­sa­gen Pod­gor­scheks zu ver­ste­hen: das »Ein­fär­ben« von Insti­tu­tio­nen, die »Umpo­lung« der Jus­tiz (die Glö­sel im übri­gen selbst erst als Schreck­ge­spenst auf­baut, um sie dann mit ihren eige­nen Zah­len als Papier­ti­ger zu ent­lar­ven), das »auf Linie hal­ten« der Exe­ku­tiv- und Sicher­heits­or­ga­ne – das alles stellt nicht etwa eine Demon­ta­ge der öster­rei­chi­schen Demo­kra­tie dar, son­dern die selbst­ver­ständ­li­che (und not­wen­di­ge) Maß­nah­me des Eli­ten­aus­tauschs in Zei­ten einer vom tat­säch­li­chen poli­ti­schen Betrieb wei­test­ge­hend aut­ar­ken Verwaltungsbürokratie.

Das hat neben zahl­rei­chen deutsch­spra­chi­gen Klas­si­kern der Par­tei­en­so­zio­lo­gie (nicht nur für Frau Glö­sel beson­ders rele­vant: der ange­wi­der­te Sozi­al­de­mo­krat Robert Michels) der scharf­sin­ni­ge Ana­ly­ti­ker James Burn­ham bereits 1941 in sei­nem Regime der Mana­ger erfaßt; in Burn­hams Fuß­stap­fen trat sodann der kon­ge­nia­le Sam Fran­cis, des­sen Meis­ter­werk Levia­than and Its Enemies lei­der erst pos­tum erschei­nen konn­te. Dar­in heißt es auszugsweise:

Die Geschlos­sen­heit einer Eli­te bedarf nicht nur gemein­sa­mer Inter­es­sen, son­dern auch eines Bewußt­seins, daß es die­se gemein­sa­men Inter­es­sen gibt und daß die­je­ni­gen, die sie tei­len (die Ange­hö­ri­gen der Eli­te) gemein­sam han­deln soll­ten, um sie zu ver­fol­gen. […] Die sub­jek­ti­ve Geschlos­sen­heit [also letz­te­res Bewußt­sein; N.W.] wird übli­cher­wei­se insti­tu­tio­na­li­siert und die Nei­gung von Indi­vi­du­en mit ähn­li­chen objek­ti­ven Inter­es­sen zum ähn­li­chen Ver­hal­ten übli­cher­wei­se ver­stärkt durch eine Ideo­lo­gie oder ein gedank­li­ches Sys­tem, das die objek­ti­ven Inter­es­sen iden­ti­fi­ziert sowie die Ver­fol­gung die­ser Inter­es­sen ratio­na­li­siert, kom­mu­ni­ziert und inte­griert. […] Wenn es sich bei den “Inter­es­sen” um mate­ri­el­le oder kon­kre­te Vor­tei­le han­delt, dann sind sie den­noch nicht klar von imma­te­ri­el­len oder sub­jek­ti­ven Wer­ten unter­scheid­bar, ohne die objektive/materielle Inter­es­sen nicht als sol­che begrif­fen oder die Mit­tel und der Auf­wand ihrer Ver­fol­gung berech­net wer­den könn­ten. Die abs­trak­te­ren Wer­te und Nor­men einer Grup­pe oder eines Indi­vi­du­ums […] füh­ren erst zu einem Ver­ständ­nis davon, nach wel­chen Quel­len von Reich­tum und Macht gestrebt wer­den soll­te, was mit ihnen anzu­fan­gen ist, wie­viel man davon besit­zen wol­len soll­te, mit wel­chen Mit­teln man sie sich aneig­nen soll­te und um wel­chen Preis.

Kurz und schlecht: Das Mind­set der heu­ti­gen Beam­ten­schaft, die von par­la­men­ta­ri­schen Füh­rungs­wech­seln nicht unmit­tel­bar betrof­fen ist, ist dem­nach eben­so den jewei­li­gen Eigen­in­ter­es­sen unter­wor­fen wie dem Zeit­geist. Das mögen Eman­zi­pa­ti­ons­fe­ti­schis­ten als “Unab­hän­gig­keit” beju­beln; es wird jedoch spä­tes­tens dann zum Pro­blem, wenn sich eine im Main­stream all­ge­mein als Gott­sei­bei­uns prä­sen­tier­te poli­ti­sche Kraft dar­an ver­sucht, Ein­fluß zu ent­fal­ten. In wel­che Abgrün­de die­se Mana­ge­ri­al power (Fran­cis) füh­ren kann, soll­te exem­pla­risch zuletzt der BAMF-Skan­dal ver­deut­licht haben.

Was also bleibt als Quint­essenz die­ses Aus­flugs in die Mecha­nik der Macht­aus­übung sol­cher, die Macht an sich für etwas Schmut­zi­ges hal­ten und sich lie­ber selbst als Ali­n­skys Under­dogs im Kampf gegen “die da oben” – ob jene nun an der Regie­rung betei­ligt sind oder nicht – sehen? Nun, die ober­ös­ter­rei­chi­schen Grü­nen ver­su­chen sich bereits am Sturz Pod­gor­scheks; mit­tels einer Peti­ti­on, also bloß als klei­nes Thea­ter­stück­chen von der Oppo­si­ti­ons­bank. Bemer­kens­wert ist jedoch die Argu­men­ta­ti­on, die Kon­so­li­die­rung par­tei­po­li­ti­scher (Gestaltungs-)Macht von der sub­jek­tiv “fal­schen” Sei­te rüh­re an »Grund­pfei­ler der Demo­kra­tie« – es muß also wie­der ein­mal der Steu­er­zah­ler vor dem Wäh­ler geschützt werden.

Die AfD hät­te eben­so wie die FPÖ aus die­sen Vor­gän­gen zu ler­nen, und zwar nicht nur hin­sicht­lich der Ver­hält­nis­mä­ßig­kei­ten des heu­ti­gen Par­la­men­ta­ris­mus, son­dern auch, was das längst mehr als not­wen­di­ge – und ent­spre­chend hart bekämpf­te – macht­po­li­ti­sche Fuß­fas­sen anbe­trifft: Denn da kann es nicht um Teil­zie­le und Kom­pro­mis­se gehen, völ­lig egal, was tak­tisch oppor­tun erschei­nen oder was irgend­ein “Vor­den­ker” irgend­ei­nes “Vor­den­kers” vor fast einem hal­ben Jahr­hun­dert mal “Prag­ma­ti­sches” geschrie­ben haben mag.

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

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