Obschon er insbesondere mit seinen kreativen Verwendungsplänen von menschlichen Ausscheidungen zu “bürgerrechtlichen” Zwecken nicht eben den glorreichen Ideenpionier für Aktivisten diesseits der Grenze des guten Geschmacks abgibt, zu dem er bereits stilisiert worden ist, sind seine strategischen Erwägungen zur gezielten Machtapplikation von Graswurzelbewegungen durchaus interessant.
In gleicher Bündigkeit wie beim »7‑Punkte-Plan« der FPÖ handelt es sich bei Alinskys berühmt-berüchtigten »Rules for Radicals« konkret um die folgenden:
1. Macht ist nicht nur das, was man tatsächlich hat, sondern das, was der Feind glaubt, das man hat;
2. niemals den Horizont der eigenen Leute übersteigen;
3. wann immer möglich, den Horizont des Feinds übersteigen;
4. den Feind dazu zwingen, nach seinen eigenen Regeln zu spielen;
5. Hohn als wirksamste Waffe;
6. Eine gute Taktik ist eine, die den eigenen Leuten Spaß macht;
7. Eine Taktik, die sich in die Länge zieht, wird langweilig;
8. nicht nachlassen;
9. Drohungen sind meist wirksamer als tatsächliches Handeln;
10. Grundvoraussetzung jeder Taktik sind fortlaufende Aktionen, die konstanten Druck auf die Gegenseite ausüben;
11. Einen Nachteil lange und beharrlich genug auszureizen, wird ihn ins Gegenteil umschlagen lassen;
12. Der Preis eines erfolgreichen Angriffs ist eine tragfähige Alternative;
13. Ziel wählen, festzurren, personalisieren und polarisieren.
Der Vergleich hinkt hier natürlich ein wenig, was rechte Nachbeter dieser Formeln in der Regel übersehen: Alinsky ging es ausdrücklich um ein Programm zur Selbstermächtigung der absoluten Unterschicht, des gesellschaftlichen Kehrichts, in seinen eigenen Worten: der »Have-Nots«. Dadurch sind sie nicht ohne Anpassungen übertragbar auf Interessengruppen, die zwar von der be-schreibenden Zunft unserer Tage so gern als »Abgehängte« irgendeiner Art (oder, mit Hillary Clinton, als »Deplorables«) bezeichnet werden, sich einen öffentlichkeitswirksamen Status als allseits bemitleidenswerte Underdogs jedoch erst herbeireden und ‑schreiben müssen – ohnehin ein zweischneidiges Schwert, das oft in einen Fremdscham erregenden Opferstolz von rechts umzuschlagen droht.
Darüber hinaus ist wesentliches Ziel der direkten Aktion im Sinne Alinskys die Herbeiführung einer Eskalationsspirale, an deren Ende nicht die revolutionäre Veränderung, sondern der Kompromiß steht, im augenblicklichen bundesrepublikanischen Zusammenhang also quasi die Seehoferisierung der Innenpolitik – etwas, das man nicht wirklich wollen kann.
In bezug auf die mißglückte “Enttarnung” der FPÖ durch Kathrin Glösel – übrigens ein Sujet, das zur wesentlichen Zielsetzung von “Kontrast” zählt – ist also abgesehen vom Verweis auf die Regeln 4, 5, 8 und 9, die quasi automatisch greifen, sobald man beginnt, eine alte Deutungshoheit umzuschubsen, folgendes anheimzustellen:
Von der Warte einer (Regierungs-)Partei aus betrachtet, dreht sich die gesamte Frontstellung des Alinsky-Modells von der Orthogonalen in die Horizontale. Die genuin politische Auseinandersetzung “wir gegen die” ist nicht mehr in “unten gegen oben” zu übersetzen, sondern apparatintern in “rechts gegen links”. Das rückt insbesondere den letzten Punkt des Glöselschen Gemeckers in den Fokus, »als Elite über Eliten schimpfen«, und von hier aus läßt sich das Feld sehr rasch aufrollen.
Denn diese plötzliche Klassenkampfrhetorik, die Elmar Podgorschek zugegebenermaßen durch seine eigene Wortwahl herausgefordert hat, ist im Grunde nur ein erwartbarer Versuch, die Perspektive wieder zum ewigen Kampf der unterdrückten Wasauchimmer (womit meist “Wir alle” gemeint sein sollen) gegen ihre protodiktatorischen Unterjocher zurückzudrehen. Glösels eigene Rabulistik unter Verweis auf den mittlerweile wohl unvermeidlichen Jan-Werner Müller trifft deshalb nicht nur nicht ins Ziel, sondern schießt weit am Ziel vorbei und trifft unbeteiligte Zuschauer.
Der Terminus “Elite” ist im Sinne der heutigen westlichen Staats- und Gesellschaftsstruktur längst kein sozialer Begriff mehr, sondern ein funktionaler, und in genau diesem Zusammenhang sind auch die weiteren unter Umsturzverdacht gestellten Kernaussagen Podgorscheks zu verstehen: das »Einfärben« von Institutionen, die »Umpolung« der Justiz (die Glösel im übrigen selbst erst als Schreckgespenst aufbaut, um sie dann mit ihren eigenen Zahlen als Papiertiger zu entlarven), das »auf Linie halten« der Exekutiv- und Sicherheitsorgane – das alles stellt nicht etwa eine Demontage der österreichischen Demokratie dar, sondern die selbstverständliche (und notwendige) Maßnahme des Elitenaustauschs in Zeiten einer vom tatsächlichen politischen Betrieb weitestgehend autarken Verwaltungsbürokratie.
Das hat neben zahlreichen deutschsprachigen Klassikern der Parteiensoziologie (nicht nur für Frau Glösel besonders relevant: der angewiderte Sozialdemokrat Robert Michels) der scharfsinnige Analytiker James Burnham bereits 1941 in seinem Regime der Manager erfaßt; in Burnhams Fußstapfen trat sodann der kongeniale Sam Francis, dessen Meisterwerk Leviathan and Its Enemies leider erst postum erscheinen konnte. Darin heißt es auszugsweise:
Die Geschlossenheit einer Elite bedarf nicht nur gemeinsamer Interessen, sondern auch eines Bewußtseins, daß es diese gemeinsamen Interessen gibt und daß diejenigen, die sie teilen (die Angehörigen der Elite) gemeinsam handeln sollten, um sie zu verfolgen. […] Die subjektive Geschlossenheit [also letzteres Bewußtsein; N.W.] wird üblicherweise institutionalisiert und die Neigung von Individuen mit ähnlichen objektiven Interessen zum ähnlichen Verhalten üblicherweise verstärkt durch eine Ideologie oder ein gedankliches System, das die objektiven Interessen identifiziert sowie die Verfolgung dieser Interessen rationalisiert, kommuniziert und integriert. […] Wenn es sich bei den “Interessen” um materielle oder konkrete Vorteile handelt, dann sind sie dennoch nicht klar von immateriellen oder subjektiven Werten unterscheidbar, ohne die objektive/materielle Interessen nicht als solche begriffen oder die Mittel und der Aufwand ihrer Verfolgung berechnet werden könnten. Die abstrakteren Werte und Normen einer Gruppe oder eines Individuums […] führen erst zu einem Verständnis davon, nach welchen Quellen von Reichtum und Macht gestrebt werden sollte, was mit ihnen anzufangen ist, wieviel man davon besitzen wollen sollte, mit welchen Mitteln man sie sich aneignen sollte und um welchen Preis.
Kurz und schlecht: Das Mindset der heutigen Beamtenschaft, die von parlamentarischen Führungswechseln nicht unmittelbar betroffen ist, ist demnach ebenso den jeweiligen Eigeninteressen unterworfen wie dem Zeitgeist. Das mögen Emanzipationsfetischisten als “Unabhängigkeit” bejubeln; es wird jedoch spätestens dann zum Problem, wenn sich eine im Mainstream allgemein als Gottseibeiuns präsentierte politische Kraft daran versucht, Einfluß zu entfalten. In welche Abgründe diese Managerial power (Francis) führen kann, sollte exemplarisch zuletzt der BAMF-Skandal verdeutlicht haben.
Was also bleibt als Quintessenz dieses Ausflugs in die Mechanik der Machtausübung solcher, die Macht an sich für etwas Schmutziges halten und sich lieber selbst als Alinskys Underdogs im Kampf gegen “die da oben” – ob jene nun an der Regierung beteiligt sind oder nicht – sehen? Nun, die oberösterreichischen Grünen versuchen sich bereits am Sturz Podgorscheks; mittels einer Petition, also bloß als kleines Theaterstückchen von der Oppositionsbank. Bemerkenswert ist jedoch die Argumentation, die Konsolidierung parteipolitischer (Gestaltungs-)Macht von der subjektiv “falschen” Seite rühre an »Grundpfeiler der Demokratie« – es muß also wieder einmal der Steuerzahler vor dem Wähler geschützt werden.
Die AfD hätte ebenso wie die FPÖ aus diesen Vorgängen zu lernen, und zwar nicht nur hinsichtlich der Verhältnismäßigkeiten des heutigen Parlamentarismus, sondern auch, was das längst mehr als notwendige – und entsprechend hart bekämpfte – machtpolitische Fußfassen anbetrifft: Denn da kann es nicht um Teilziele und Kompromisse gehen, völlig egal, was taktisch opportun erscheinen oder was irgendein “Vordenker” irgendeines “Vordenkers” vor fast einem halben Jahrhundert mal “Pragmatisches” geschrieben haben mag.