„Geschätzte Angela Merkel, nach fast 13 Jahren Kanzlerschaft gibt es auf europäischer Ebene für Sie, außer spürbarer Abneigung, nichts mehr zu gewinnen. Das haben alle Treffen der letzten Monate gezeigt. Helfen Sie deshalb mit, den scheinbar unabwendbaren Trend nach europäischer Spaltung statt Einigung endlich aufzuhalten! Räumen Sie das Kanzleramt für einen Nachfolger, dessen Name nicht so belastet ist, wie es der Ihre ist. Dem in Europa noch zugehört wird. Dem man zutraut, wirklich die Interessen aller im Blick zu haben! Lassen Sie uns den Neuanfang wagen!“
Zwar firmiert der zitierte Text unter „Kommentar“ und gibt offiziell nur die persönliche Meinung des brüsseler Korrespondenten Malte Piepers wieder, doch wer soll denn ernsthaft glauben, die Redaktion unserer Zwangsgebührenanstalt hätte diesen Aufruf aus reiner Toleranz und Liebe zu mehr Diversität im Meinungsspektrum passieren lassen?
Die ARD rückt von Angela Merkel ab. Der Grund? „Merkel traut in der EU keiner mehr über den Weg.“ Ein überzeugter Anhänger des Status Quo stellt sich hier die Frage, ob Angela Merkel für seine Sache noch tragbar ist.
„Ihr Name ist in vielen Ländern Europas zu einem “Nicht-Namen” geworden, bei dem schlechte Stimmung garantiert ist, sobald man ihn ausspricht.“
Merkel ist zum Gesicht einer verfehlten Politik geworden. Deshalb und nur deshalb denken einige Herrschaften jetzt daran, sie durch eine neue Fratze auszutauschen. Das Süffisante daran ist (und wir sollten diese Ironie genießen), daß damit am Stuhl gerade der Rautenfrau gesägt wird, die von denselben Gestalten acht Jahre lang als Garantin der Stabilität Europas gefeiert wurde. Die Wahl Trumps ließ sie sogar für anderthalb Jahre zur Führerin der freien Welt aufsteigen.
Ihre Ideologie immer vorausgesetzt, war die Hochachtung, die Angela Merkel von Seiten aller Globalisten, Multikultis, EU-Aposteln vor allem aber den ewigen Verfechtern des „weiter so“ genoß, nur allzu berechtigt. Acht Jahre lang, vom Beginn der Eurokrise bis heute, war Angela Merkel der Anker des globalistischen Europas.
Ihrer Politik des Auf-Sicht-Fahrens ist es gelungen, Europa acht Jahre lang bei minimaler Kursänderung zusammenzuhalten:
„Bei unklaren Situationen, bei Nebel, schaltet Merkel seit eh und je einfach die Nebelscheinwerfer ein. Sie fährt auf Sicht und hofft, dass der Wind das Problem schon löst. Bei dichtem Nebel, wie hier bei der Flüchtlingskrise, nützt das Vorantasten aber nichts, man kommt höchstens vom Weg ab, weil man nichts sieht, und ist dann verloren.“
Nur allzu wahr, Herr Piepers, nur vergessen Sie, daß es außer „Mehr Europa!“ und „Mehr Integration!“ nie eine langfristige Strategie gab und in diesem System auch nicht geben konnte und nie geben wird. Dafür müßte es die eigenen Prämissen und Werte über den Haufen werfen.
Die Einwanderungspolitik hat seit den Siebzigern nichts anderes getan, als gemerkelt und der Euro wurde in der frommen Hoffnung geschaffen, daß sich die unterschiedlichen Volkswirtschaften schon irgendwie harmonisieren würden und man anderenfalls einfach mit „Mehr Europa!“ nachhelfen könne.
Das „Merkeln“ hat Merkel nicht erfunden, nur perfektioniert.
Wenn Piepers Merkel deshalb vorwirft überall „verbrannte Erde“ hinterlassen zu haben, und damit die europäischen Feindschaften meint, die Merkel in den beiden großen seit 2010 aufeinanderfolgenden Krisen gesammelt hat, dann kann ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Ja es stimmt, Merkel ist in Europa zu einer äußerst umstrittenen Figur geworden. Doch hier kann man ihr wirklich nichts vorwerfen! Jede andere Politik hätte ihr „Ansehen in Europa“, wenn nicht gründlicher, so doch zumindest schneller ruiniert. Wer glaubt denn, eine ernsthaften Reformpolitik für den Euroraum, oder eine Neuorientierung der europäischen Asylpolitik wäre auf weniger Gegenwind in Europa gestoßen? Merkel merkelt, um sich genau diesen Ärger zu ersparen!
Wenn Merkel tatsächlich über den Vorwurf stürzen sollte, Deutschland in Europa zum Außenseiter gemacht zu haben, das wäre ein fantastisches Gastmannschicksal!
In Dürrenmatts Roman „Der Richter und sein Henker“ gelingt es dem Verbrecher Gastmann, direkt unter der Nase Inspektor Bärlchs, ein Verbrechen nach dem nächsten zu verüben, bis Bärlch ihn für einen Mord verantwortlich macht, den er nicht begangen hat.
Wenn Teflon-Merkel, von der alles, aber auch alles abgeperlt ist, ausgerechnet über etwas stolpern sollte, das man ihr nicht zum Vorwurf machen kann … Es wäre zumindest so etwas wie eine Entschädigung für dreizehn Jahre unter Angela der Alternativlosen.
Denn nicht die desolaten Folgen der Flüchtlingspolitik, nicht die ungelöste Frage der europäischen Währungseinheit treibt den Staatsfunk dazu, nach einem neuen Gesicht, nach einem Egon Krenz „dem in Europa noch zugehört wird“ zu rufen.
Weil Merkel das globalistische Europa so gut zusammen hielt, wie es eben ging und dabei entgegen allen ihren Bemühungen am Ende doch zu einer polarisierenden Figur in Europa geworden ist, deshalb soll sie ersetzt werden.
Leute, die die Ausrichtung der merkelschen Politik vollständig teilen, rufen nach einem frischen Gesicht. Sie glauben, daß es die Risiken eines Führungswechsels unter äußerem Druck wert wäre.
Lassen wir sie für eine Weile in diesem Glauben.
Fritz
Wenn ich rechtsehe stand Merkel aber schonseit längerem auch in der EU ziemlich allein mit ihrer Position, außer vielleicht mit Luxemburg. Niemand außer ihr wollte Flüchtlinge aufnehmen (auch wenn man tunlichst vermied, das offen zu sagen), England nicht, Frankreich nicht, die Südeuropäer ohnehin nicht...