Marie Le Pen hat die Stichwahl um das Amt des Staatspräsidenten verloren, und es lief in Frankreich nicht anders als in Österreich oder in Deutschland, wo sich skurrile Bündnisse bilden, weil jeder Schulterschluß möglich erscheint, nur einer nicht: der mit den Rechten.
Jérome Leroy ist in seinem Kriminalroman Der Block schon einen Schritt weiter: Der Block, das ist der Front National, und die Chefin Agnés Dorgelles, das ist Marie Le Pen, verhandelt in die Nacht hinein über den Umfang der Regierungsbeteiligung ihrer Partei. Denn in Frankreich sind Unruhen ausgebrochen, und die Opferzahl wird rechts oben auf dem Bildschirm eingeblendet und aktuell gehalten. Wenn man zappt und irgendwann zurückschaltet auf den Nachrichtensender, kann man sehen, daß die Zahl der Toten sich wieder erhöht hat. Aus dieser Zahl erwuchs der Partei die Chance, endlich politische Schlüsselpositionen in die Hand zu bekommen.
Das Buch verknüpft zwei Erzählstränge, die eine Nacht lang andauern. In dieser Nacht der entscheidenden Verhandlungen erinnern sich ein »Du« und ein »Ich« an die Geschichte des»Blocks«, und beide sind im Grunde Kriminelle: »Du«, das ist der Ehemann der Parteichefin, der ihren Aufstieg mitgemacht, unterstützt, manchmal erst ermöglicht hat. Er ist blitzgescheit, skrupellos, ein Mann ebenso für den Posten eines Staatssekretärs (der er nach erfolgreichen Verhandlungen nach dieser Nacht sein könnte) und für die handfeste Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner an der Basis. »Ich«, das ist der Schöpfer eines parteiinternen Sicherheitsdienstes aus Spitzeln, Personenschützern und Schlägern. Stanko heißt er, und er ist von der Parteiführung zum Abschuß freigegeben worden: Seine Liquidierung noch in dieser Nacht wird als Beweis dafür gelten, daß der »Block« die bürgerlichen Spielregeln einer Regierungsbeteiligung akzeptiert und sich von seiner kriminellen Aufstiegsgeschichte gelöst hat.
Das ist natürlich weit hergeholt, übertrieben und wenig plausibel: Es wirkt, als gäbe es in Frankreich keine Polizei, die einmal gründlich nachschaut, wenn Leute umkommen oder ganze Gruppen einander zusammenschlagen. Die Dialoge, die in der Erinnerung Stankos (»Ich«) und Antoines (»Du«) geführt wurden, sind brachial, autonom, aggressiv: Frankreich wirkt wie der Wilde Westen oder wie der Dschungel im Herzen der Finsternis: Es gibt keine Staatsmacht und keine Facebook-Plaudertaschen, die je auf ihre Art ans Licht bringen, was im Roman als brutaler Krieg unter der parteipolitischen Oberfläche ausgefochten wird.
Also: ein Kriminalroman, ein unrealistischer, zum Zweck der Denunziation des Front National verfaßt, aber gekonnt verfaßt, spannend und mit gewissen Kenntnissen in der Frage, warum es eine rechte Partei überhaupt so weit habe schaffen können. Der Aufstieg der beiden Männer, die Hand in Hand arbeiteten, von ihrer Herkunft aber unterschiedlicher nicht sein könnten, trägt die Geschichte: Was lasen sie, worüber sprachen sie, wie nahmen sie ihre Rolle wahr, wogegen wenden sie sich? Das sinnentleerte, vernutzende, aufzehrende Korsett eines modernen Lebens ist gut dargestellt und steht als innere Front neben der äußeren: neben der Front gegen die Überfremdung des schwachen Rests der Identität durch hyperidentitäre, das heißt lebenshungrige und sinnsichere Fremde.
Nicht anders beschreiben doch wir unseren Weg in Deutschland: als Zweifrontenkrieg. Aber er kann ebensowenig wie der des »Front National« als Kriminalgeschichte nachgezeichnet werden, eines Tages.
Chris Jérome Leroys Der Block kann man hier bestellen.