Helwig Schmidt-Glintzer: Mao Zedong. »Es wird Kampf geben«. Eine Biografie.

Helwig Schmidt-Glintzer: Mao Zedong. »Es wird Kampf geben«. Eine Biografie, Berlin: Matthes & Seitz Berlin 2017. 465 S., 30 €

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Im Jahr 1958 teil­te der chi­ne­si­sche Dik­ta­tor Mao Zedong (1893–1976) einem sowje­ti­schen Gesprächs­part­ner mit, in der Volks­re­pu­blik Chi­na gebe es sehr wohl noch Kapi­ta­lis­ten, gleich­wohl sei der Staat unter Kon­trol­le der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei. Die­se Fest­stel­lung hat – grosso modo– bis heu­te nichts an Wahr­heits­ge­halt ein­ge­büßt. Auch wenn die markt­wirt­schaft­li­che, also: kapi­ta­lis­ti­sche Ent­wick­lung heu­te frei­lich bedeu­tend fort­ge­schrit­ten ist, bleibt die KPCh­herr­schen­de Kraft in der 1,4‑Milliarden-Nation.

Nun wür­de aber Hel­wig Schmidt-Glint­zer, Direk­tor des Chi­na Cen­trum Tübin­gen, bereits dem ers­ten Satz die­ser Rezen­si­on wider­spre­chen. Denn für den Kul­tur- und Sprach­wis­sen­schaft­ler, der bereits meh­re­re kun­di­ge Chi­na-Mono­gra­phien publi­zier­te, war Mao kein Dik­ta­tor im eigent­li­chen Sin­ne, son­dern »ein Visio­när, der von der gro­ßen Befrei­ung träum­te«, der eben »weni­ger als Dik­ta­tor denn viel­mehr als Voll­stre­cker von Handlungsoptionen«zu ver­ste­hen wäre. Auf Grund­la­ge die­ser affir­ma­ti­ven und qua­si­mao­is­ti­schen Grund­an­nah­me schreibt Schmidt-Glint­zer Maos Lebens­ge­schich­te im Kon­text der chi­ne­si­schen Geschichte.

Deut­lich wird: Mao war zeit­le­bens kein Dog­ma­ti­ker, son­dern reagier­te fle­xi­bel auf Pro­ble­me und Hin­der­nis­se, zeig­te sich welt­an­schau­lich und stra­te­gisch höchst wan­del­bar (kri­ti­scher gefaßt: oppor­tu­nis­tisch) und hat­te neben der sozia­len Fra­ge immer die für ihn bis­wei­len über­ge­ord­ne­te Fra­ge, die natio­na­le, im Blick. Das ist ver­ständ­lich ange­sichts der kon­kre­ten chi­ne­si­schen Zer­ris­sen­heit im frü­hen 20. Jahr­hun­dert, ange­sichts der kon­stan­ten japa­ni­schen (und kolo­nia­len) Bedro­hung, ange­sichts von War­lords und Feu­dal­her­ren, die das Reich der Mit­te in unzäh­li­ge sepa­ra­te Herr­schafts­be­rei­che aufspalteten.

Das ist aber nicht zuletzt auch des­halb ver­ständ­lich, weil die Kon­flikt­li­ni­en zwi­schen Arbeit und Kapi­tal in vie­len Regio­nen Chi­nas deckungs­gleich mit den Kon­flikt­li­ni­en zwi­schen Chi­ne­sen und exter­nen Mäch­ten ver­lie­fen. Anders gesagt: Die natio­na­le Fra­ge eines zu schaf­fen­den eini­gen Chi­nas kor­re­lier­te mit der sozia­len Fra­ge in Form von frem­der Aus­beu­tung und Mas­sen­ar­mut der Chi­ne­sen. Mao selbst wuß­te um die­se Kon­gru­enz und for­der­te wie­der­holt, daß die Bedin­gun­gen des Mar­xis­mus nie­mals abs­trakt, son­dern immer auf die kon­kre­ten Beson­der­hei­ten Chi­nas ange­wandt wer­den müß­ten, ja daß der Kom­mu­nis­mus in Chi­na eine »bestimm­te natio­na­le Form«finden müs­se. Es ist dies ein Aspekt, der von Schmidt-Glint­zer deut­lich her­aus­ge­ar­bei­tet wird.

Eben­so deut­lich wird in vor­lie­gen­dem Werk das – je nach Jah­res­zahl – koope­ra­ti­ve, dann schwie­ri­ge, kon­flikt­be­la­de­ne bis feind­li­che Ver­hält­nis zwi­schen Maos Kom­mu­nis­ten (denn sie folg­ten ihm, auch wenn es über die Jahr­zehn­te etli­che Gegen­spie­ler inner­halb der KPC gege­ben hat­te) und der Natio­na­len Volks­par­tei (Guo­mindang) von Gene­ra­lis­si­mus Tschiang Kai Schek (1887–1975). Der Kon­flikt wur­de wie­der­holt zum Bür­ger­krieg (ca. 1927–1937, nach dem Zwei­ten Welt­krieg wie­der 1946–1949) und führ­te bis zur heu­te bestehen­den Spal­tung Chi­nas in die Fest­land-Volks­re­pu­blik einer­seits und den Insel­staat Tai­wan (Repu­blik Chi­na) ande­rer­seits, wohin sich Tschiang mit sei­nen Getreu­en zurückzog.

Wer­den die­se ein­zel­nen Punk­te plas­tisch dar­ge­stellt, so bleibt ins­ge­samt doch zu kon­sta­tie­ren, daß der For­schung kei­ner­lei Ergeb­nis­se gebo­ten wer­den kön­nen, die nicht bei ande­ren Mao-Bio­gra­phen – zuletzt Alex­an­der V. Pants­ov und Ste­ven I. Levi­ne – ohne­hin schon, aus­führ­li­cher und stär­ker fak­ten­ba­siert zumal, vor­lie­gen. Denn erschwe­rend hin­zu kommt die kar­ge Archiv- und Pri­mär­quel­len­ex­ege­se. Der Autor stützt sich auf eine (in der Rela­ti­on: klei­ne) Aus­wahl an Sekun­där­li­te­ra­tur; chi­ne­si­sche oder sowje­ti­sche Quel­len, die bei­spiels­wei­se als unver­zicht­bar für das Schwan­kun­gen unter­wor­fe­ne Ver­hält­nis zwi­schen Sta­lin und Mao anzu­se­hen sind, wur­den gar nicht erst kon­sul­tiert. Auch ideen- und real­po­li­tisch klaf­fen Lücken: Der Aus­blick auf den Mao­is­mus als glo­bal auf­tre­ten­de Spiel­art des Mar­xis­mus-Leni­nis­mus fällt ober­fläch­lich aus; euro­päi­sche Mao-Adep­ten wie der alba­ni­sche Dik­ta­tor Enver Hox­ha wer­den nicht ein­mal im Per­so­nen­re­gis­ter aufgeführt.

Das Ziel des Autors, eine Bio­gra­phie Mao Zedongs vor­zu­le­gen, wird daher nicht erreicht. Was vor­liegt, ist eben kei­ne Bio­gra­phie (weder eine poli­ti­sche noch eine inte­gra­le), son­dern ein apo­lo­ge­ti­scher Groß­essay, des­sen letzt­end­li­che Igno­ranz gegen­über den Dut­zen­den Mil­lio­nen Toten in Fol­ge von Maos Poli­tik – er habe anders als Sta­lin das Mas­sen­ster­ben nicht bewußt her­bei­ge­führt, son­dern »nur«beobachtet – auch dann noch ver­blüf­fend bleibt, wenn man Schmidt-Glint­zers The­se, Mao habe Chi­nas natio­na­le Fra­ge als Eini­ger der Nati­on rela­tiv erfolg­reich gelöst, zustimm­te. Wenn dann noch for­mu­liert wird, in Maos Per­son »ver­ban­den sich Cha­ris­ma, Genie und das Gefühl, auf der Höhe der Zeit zu sein«, dann dürf­ten selbst des Deut­schen mäch­ti­ge Kader der chi­ne­si­schen KP-Nomen­kla­tu­ra ein wenig pein­lich berührt sein.

Hel­wig Schmidt-Glint­zers Mao Zedong – Bio­gra­phie kann man hier bestel­len.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)