Stapels Buch ist für heutige Ohren zweifellos starker Tobak, insbesondere wenn man sich an das Finale hält: »Stolze Jünglinge und eine unterworfene Nation – wie geht das zusammen? In Eurer Bitterkeit gärt die Zukunft. Euer Stolz muß von Gott belohnt werden mit dem Führer, der euch zu Herren macht über die weiten Länder, die Eurer Herrschaft bestimmt sind. Eurer Herrschaft, die wieder Größe und Glanz bringen soll in diese dumpf gewordene, dem Geld und der Gemeinheit verfallene Welt.«Wenn man sich dann noch vor Augen führt, daß das Buch erstmals 1932 erschienen ist, dürfte sich so manche Assoziationskette schließen und bei wohlwollenden Gemütern zumindest die Frage auftauchen, warum wir das heute wieder lesen sollten.
Das Vorwort, das der Verlag der Neuausgabe vorangestellt hat, vermag dazu nicht viel Erhellendes beizutragen. Die von Stapel behandelten Probleme seien aktuell, weil seine Kritik des christlichen Moralismus und die Betonung der »mythischen Sendung«der Deutschen zum Wohle Europas etwas zur Klärung gegenwärtiger Herausforderungen beitragen können. Leider erfährt man aus dem Vorwort weder, wer Wilhelm Stapel war, noch gibt es Hinweise, die den Kontext, in dem Stapels Buch 1932 erschien, verständlich machen würden. Wen es interessiert, wird in Mohlers Konservativer Revolutionfündig. Demnach war Stapel einer der wichtigsten jungkonservativen Autoren, der insbesondere durch seine Herausgabe der Zeitschrift Deutsches Volkstumvon 1919 bis 1938 wirkte.
Der christliche Staatsmannist sein Hauptwerk, das wie Jüngers Arbeiterganz knapp vor der Zeitenwende von 1933 erschien. Stapel bietet darin zunächst einen Überblick über die christlichen Staatstheorien von Jesus, Augustinus, Luther und Friedrich Julius Stahl, in dessen Christlichem Staater die Anwendung des Idealismus auf den Gegensatz von Staat und Christentum erblickt. Stapels Grundfrage ist die klassische nach dem Verhältnis von Gehorsam gegenüber dem Staat und Gehorsam gegenüber Gott. Sie lautet: »Wie können wir Christen sein, ohne vom Reich abzufallen?«Damit ist Stapels zweite Größe benannt, um die er ringt. Politisch geht es ihm um die Wiedererrichtung des Reiches, das nur mit einem christlichen (Gott-)Kaiser möglich ist: »Das eine Reich ist der schöpfungsmäßige Sinn der Weltgeschichte.«Und den müssen die Deutschen erfüllen.
Stapel hat damit sicherlich die anspruchsvollste Ausarbeitung einer Eschatologie geliefert, die das Christentum einer bestimmten historischen Erscheinung, dem deutschen Volk, zuordnet. Daß dieser nationalkirchliche Gedanke kein deutscher Spleen ist, versucht Stapel mit Hinweisen auf die Ostkirchen zu belegen, nur daß der deutsche Anspruch über die eigene Nation hinausreicht. Ähnliche Gedanken, die noch ganz ernsthaft davon ausgingen, daß am deutschen Wesen die Welt genesen wird, finden sich unter den Ideen von 1914, denen sich Stapel verpflichtet weiß. Aus heutiger Perspektive muß das alles wie eine Antizipation des Großdeutschen Reiches Hitlers erscheinen. Und doch ist es durchaus nicht so gemeint, da Stapel im NSeher einen negativen Auslöser dafür sieht, daß die Zeiten wieder konservativer und gläubiger werden, woraus sich die »antisäkulare Front«formen soll.
Was Stapel hier bietet, ist Metapolitik im klassischen Sinn. Aber er muß sich heute die Frage gefallen lassen, inwieweit er die Offenbarung als Offenbarung ernst nimmt und nicht ungewollt durch die Hintertür die Beliebigkeit hineinläßt: Was Stapel der Nationalismus, den er mit dem Christentum versöhnen will, ist, das ist vielen anderen der Antifaschismus oder eine andere Ideologie. Für Konservative vom Schlage eines Ernst Ludwig von Gerlach, der als Theokrat und Bismarckgegner den Nationalismus ablehnte, wären Stapels Überlegungen pure Ketzerei gewesen. Das sind sie heute wieder (wenn auch aus anderen Gründen) und deshalb lesenswert.
Wilhelm Stapels Der christliche Staatsmann kann man hier bestellen.