Wilhelm Stapel: Der christliche Staatsmann. Eine Theologie des Nationalismus

Wilhelm Stapel: Der christliche Staatsmann. Eine Theologie des Nationalismus, Neustadt an der Orla: Arnshaugk 2016. 254 S., 24 €

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Sta­pels Buch ist für heu­ti­ge Ohren zwei­fel­los star­ker Tobak, ins­be­son­de­re wenn man sich an das Fina­le hält: »Stol­ze Jüng­lin­ge und eine unter­wor­fe­ne Nati­on – wie geht das zusam­men? In Eurer Bit­ter­keit gärt die Zukunft. Euer Stolz muß von Gott belohnt wer­den mit dem Füh­rer, der euch zu Her­ren macht über die wei­ten Län­der, die Eurer Herr­schaft bestimmt sind. Eurer Herr­schaft, die wie­der Grö­ße und Glanz brin­gen soll in die­se dumpf gewor­de­ne, dem Geld und der Gemein­heit ver­fal­le­ne Welt.«Wenn man sich dann noch vor Augen führt, daß das Buch erst­mals 1932 erschie­nen ist, dürf­te sich so man­che Asso­zia­ti­ons­ket­te schlie­ßen und bei wohl­wol­len­den Gemü­tern zumin­dest die Fra­ge auf­tau­chen, war­um wir das heu­te wie­der lesen sollten.

Das Vor­wort, das der Ver­lag der Neu­aus­ga­be vor­an­ge­stellt hat, ver­mag dazu nicht viel Erhel­len­des bei­zu­tra­gen. Die von Sta­pel behan­del­ten Pro­ble­me sei­en aktu­ell, weil sei­ne Kri­tik des christ­li­chen Mora­lis­mus und die Beto­nung der »mythi­schen Sendung«der Deut­schen zum Woh­le Euro­pas etwas zur Klä­rung gegen­wär­ti­ger Her­aus­for­de­run­gen bei­tra­gen kön­nen. Lei­der erfährt man aus dem Vor­wort weder, wer Wil­helm Sta­pel war, noch gibt es Hin­wei­se, die den Kon­text, in dem Sta­pels Buch 1932 erschien, ver­ständ­lich machen wür­den. Wen es inter­es­siert, wird in Moh­lers Kon­ser­va­ti­ver Revo­lu­ti­onfün­dig. Dem­nach war Sta­pel einer der wich­tigs­ten jung­kon­ser­va­ti­ven Autoren, der ins­be­son­de­re durch sei­ne Her­aus­ga­be der Zeit­schrift Deut­sches Volks­tumvon 1919 bis 1938 wirkte.

Der christ­li­che Staats­mannist sein Haupt­werk, das wie Jün­gers Arbei­terganz knapp vor der Zei­ten­wen­de von 1933 erschien. Sta­pel bie­tet dar­in zunächst einen Über­blick über die christ­li­chen Staats­theo­rien von Jesus, Augus­ti­nus, Luther und Fried­rich Juli­us Stahl, in des­sen Christ­li­chem Staater die Anwen­dung des Idea­lis­mus auf den Gegen­satz von Staat und Chris­ten­tum erblickt. Sta­pels Grund­fra­ge ist die klas­si­sche nach dem Ver­hält­nis von Gehor­sam gegen­über dem Staat und Gehor­sam gegen­über Gott. Sie lau­tet: »Wie kön­nen wir Chris­ten sein, ohne vom Reich abzufallen?«Damit ist Sta­pels zwei­te Grö­ße benannt, um die er ringt. Poli­tisch geht es ihm um die Wie­der­errich­tung des Rei­ches, das nur mit einem christ­li­chen (Gott-)Kaiser mög­lich ist: »Das eine Reich ist der schöp­fungs­mä­ßi­ge Sinn der Weltgeschichte.«Und den müs­sen die Deut­schen erfüllen.

Sta­pel hat damit sicher­lich die anspruchs­volls­te Aus­ar­bei­tung einer Escha­to­lo­gie gelie­fert, die das Chris­ten­tum einer bestimm­ten his­to­ri­schen Erschei­nung, dem deut­schen Volk, zuord­net. Daß die­ser natio­nal­kirch­li­che Gedan­ke kein deut­scher Spleen ist, ver­sucht Sta­pel mit Hin­wei­sen auf die Ost­kir­chen zu bele­gen, nur daß der deut­sche Anspruch über die eige­ne Nati­on hin­aus­reicht. Ähn­li­che Gedan­ken, die noch ganz ernst­haft davon aus­gin­gen, daß am deut­schen Wesen die Welt gene­sen wird, fin­den sich unter den Ideen von 1914, denen sich Sta­pel ver­pflich­tet weiß. Aus heu­ti­ger Per­spek­ti­ve muß das alles wie eine Anti­zi­pa­ti­on des Groß­deut­schen Rei­ches Hit­lers erschei­nen. Und doch ist es durch­aus nicht so gemeint, da Sta­pel im NSe­her einen nega­ti­ven Aus­lö­ser dafür sieht, daß die Zei­ten wie­der kon­ser­va­ti­ver und gläu­bi­ger wer­den, wor­aus sich die »anti­sä­ku­la­re Front«formen soll.

Was Sta­pel hier bie­tet, ist Meta­po­li­tik im klas­si­schen Sinn. Aber er muß sich heu­te die Fra­ge gefal­len las­sen, inwie­weit er die Offen­ba­rung als Offen­ba­rung ernst nimmt und nicht unge­wollt durch die Hin­ter­tür die Belie­big­keit hin­ein­läßt: Was Sta­pel der Natio­na­lis­mus, den er mit dem Chris­ten­tum ver­söh­nen will, ist, das ist vie­len ande­ren der Anti­fa­schis­mus oder eine ande­re Ideo­lo­gie. Für Kon­ser­va­ti­ve vom Schla­ge eines Ernst Lud­wig von Ger­lach, der als Theo­krat und Bis­marck­geg­ner den Natio­na­lis­mus ablehn­te, wären Sta­pels Über­le­gun­gen pure Ket­ze­rei gewe­sen. Das sind sie heu­te wie­der (wenn auch aus ande­ren Grün­den) und des­halb lesenswert.

Wil­helm Sta­pels Der christ­li­che Staats­mann kann man hier bestel­len.

 

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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