Ingeborg Gleichauf: Poesie und Gewalt. Das Leben der Gudrun Ensslin

Ingeborg Gleichauf: Poesie und Gewalt. Das Leben der Gudrun Ensslin, Stuttgart: Klett-Cotta 2017. 350 S., 22 €

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

Beim Schrei­ben von Bio­gra­phien ist ein schma­ler Grat zu beschrei­ten. Wahrt der Bio­graph zu gro­ße Distanz zur beleuch­te­ten Per­son, dann refe­riert er nur tro­cke­ne Lebens­da­ten und gestat­tet dem Leser nicht, sich in ihre Zeit und Lage hin­ein­zu­ver­set­zen. Wird der pro­fes­sio­nel­le Abstand auf­ge­ge­ben, dann ver­schwim­men die Gren­zen zwi­schen Autor und Beschrie­be­nem, und am Ende steht schlimms­ten­falls mehr über den Bio­gra­phen selbst als über die his­to­ri­sche Per­son auf dem Papier.

Die Frei­bur­ger Schrift­stel­le­rin Inge­borg Gleich­auf hat ein Fai­ble für »Lebens­ge­schich­ten«, ins­be­son­de­re die von Frau­en, die »wie kei­ne ande­re« waren. Sie schrieb ihre Dis­ser­ta­ti­on über Inge­borg Bach­mann; ihre Bio­gra­phie Simo­ne de Beau­voirs ist preis­ge­krönt. Den Bericht über das Leben Gud­run Ens­slins, RAF-Grün­dungs­mit­glied und Gelieb­te Andre­as Baa­ders, lei­tet sie mit Vor­hal­tun­gen ein: Alle bis­he­ri­gen Dar­stel­lun­gen der ers­ten RAF-Gene­ra­ti­on, von Jil­li­an Beckers Hit­ler’s Child­ren über den Film Stamm­heim bis hin zu Ste­fan Aus­ts Baa­der-Mein­hof-Kom­plex hät­ten sich nicht dar­um bemüht, Ens­slin als Frau und Indi­vi­du­um zu zeich­nen, son­dern sie als die ewi­ge »Pfar­rers­toch­ter« und flot­te Bie­ne im Gepäck Baa­ders abge­tan. Gut weg kom­men nur zwei Autoren: Gerd Koe­nen und Caro­lin Emcke, deren Buch Stum­me Gewalt. Nach­den­ken über die RAF Gleich­auf aus­drück­lich wür­digt. Wie Emcke will sie mit halb­ga­ren Inter­pre­ta­tio­nen und Mut­ma­ßun­gen aufräumen.

Ihr Pro­blem ist dabei aller­dings, daß sie sich schnell selbst dar­in und in ihrem Objekt ver­liert. Gleich­auf arbei­tet jour­na­lis­tisch, folgt dem Lebens­weg der jun­gen Ens­slin vom schwä­bi­schen Geburts­ort Bar­tho­lo­mä an und befragt Men­schen vor Ort, denen die Fami­lie Ens­slin noch erin­ner­lich ist. Ihre Spu­ren­su­che schlägt gern ins gera­de­zu Bel­le­tris­ti­sche um: Der Leser erfährt viel über Ens­slins uni­ver­si­tä­ren Stun­den­plan, wel­che ihrer Pro­fes­so­ren vor Kriegs­en­de Par­tei­ge­nos­sen waren und wie sich die Stu­den­tin anfangs ver­geb­lich bemüh­te, ein Sti­pen­di­um der Stu­di­en­stif­tung des deut­schen Vol­kes zu erhal­ten – wegen ver­hal­te­ner Beur­tei­lun­gen durch älte­re Her­ren mit frag­wür­di­ger poli­ti­scher Ver­gan­gen­heit, natürlich!

Wer die­ses Sti­pen­di­um unge­rech­ter­wei­se anstands­los erhielt, war Bern­ward Ves­per, den die Bio­gra­phin allen Erns­tes als »Nazi-Dich­ter-Sohn« apo­stro­phiert, als sei­en das drei gleich­be­rech­tig­te Attri­bu­te. Wie Ens­slin ihren spä­te­ren Ver­lob­ten und Vater ihres Sohns Felix ken­nen­lern­te, erfährt der Leser nicht, dafür aber viel über die Amour fou der bei­den, die ein­an­der regel­mä­ßig betro­gen. Gleich­auf zeich­net Ves­per als den ent­schei­den­den der vie­len unheil­vol­len Män­ner im Leben der Gud­run Ens­slin, der ihr den Schrift­stel­ler Hanns Hen­ny Jahnn mit sei­nen expli­zi­ten Schil­de­run­gen von Sex und Gewalt nahe­brach­te – wie so vie­les sind auch die­se Details für Gleich­auf »ganz ein­deu­tig« maß­geb­lich für den spä­te­ren Weg in den Untergrund.

Über­haupt: die Poe­sie aus dem Buch­ti­tel. Ange­sichts von Ens­slins gro­ßem lite­ra­ri­schen Inter­es­se liegt die Bezug­nah­me zwar nahe, doch Gleich­aufs stän­di­ger Rekurs auf Schrift­stel­ler, ins­be­son­de­re ihr Ste­cken­pferd Inge­borg Bach­mann, wirkt gezwun­gen. Das läßt sich »stim­mungs­voll« nen­nen, aber wirkt eher als Roman­ti­sie­rung. Gud­run Ens­slin war eben kei­ne rei­ne Lite­ra­tin mit Maschi­nen­pis­to­le, son­dern eine Ter­ro­ris­tin, die min­des­tens die vier Toten der RAF-Mai­of­fen­si­ve 1972 mit­ver­schul­det hat. Fünf­zig Jah­re nach­dem der Tod Ben­no Ohnes­orgs die Stu­den­ten­be­we­gung radi­ka­li­sier­te, ist Inge­borg Gleich­auf eine sehr detail­rei­che Schil­de­rung des schil­lern­den Lebens einer Frau der Extre­me bis zum Ende an einem Laut­spre­cher­ka­bel in Stamm­heim gelun­gen. Der Leser muß aller­dings um die zahl­rei­chen, stel­len­wei­se ärger­li­chen Andich­tun­gen her­um­le­sen, ohne die das Buch deut­lich schma­ler wäre – sie ver­lei­hen dem Titel Poe­sie und Gewalt eine unschö­ne Doppelbedeutung.

Inge­borg Gleich­aufs Poe­sie und Gewalt kann man hier bestel­len.

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

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