Ré Soupault: Katakomben der Seele. Eine Reportage über Westdeutschlands Vertriebenen- und Flüchtlingsproblem

Ré Soupault: Katakomben der Seele. Eine Reportage über Westdeutschlands Vertriebenen- und Flüchtlingsproblem 1950,Heidelberg: Wunderhorn 2016. 62 S., 17.80 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Ré Sou­pault wur­de 1901 als Erna Nie­mey­er in Pom­mern gebo­ren. Die Bau­haus­stu­den­tin, die sich spä­ter Meri­ten als Mode­schöp­fe­rin und Pho­to­gra­phin erwarb und ab 1929 in Paris leb­te, war mit dem Dada­is­ten Hans Rich­ter ver­hei­ra­tet, in zwei­ter Ehe mit dem Poe­ten und Repor­ter Phil­li­pe Sou­pault. Im Sep­tem­ber 1950 war Ré nach Deutsch­land gereist, um dort Flücht­lings­la­ger zu besu­chen und mit Poli­ti­kern, Lager­lei­tern und Ver­trie­be­nen zu spre­chen. Sie fand erbar­mungs­wür­di­ge Zustän­de vor. Ihren Bericht über die »wah­ren Ver­hält­nis­se in dem geschla­ge­nen Deutsch­land, wo die Mehr­zahl – Mil­lio­nen und aber Mil­lio­nen von Men­schen – unter so unbe­schreib­li­chen Lebens­be­din­gun­gen leben, dass nur ein sehr gedul­di­ges und gehor­sa­mes Volk sie seit Jah­ren akzep­tie­ren kann, ohne sich zu empö­ren«, woll­te kei­ne Zei­tung dru­cken. Ame­ri­ka­ni­sche wie fran­zö­si­sche Pres­se­or­ga­ne lehn­ten dan­kend ab, eben­so die NZZ. War­um wohl?

Die Avant­gar­de­künst­le­rin – wir sehen sie hier mon­dän, in Pumps und Über­gangs­man­tel, Ziga­ret­te in der einen, teu­res Gerät in der ande­ren Hand – schreibt erschüt­tert, bei ihren Besu­chen habe »sie kaum einen Flücht­ling gese­hen, der allein über ein Bett ver­fügt hat«. Sie berich­tet von groß­städ­ti­schen Tief­bun­kern, in denen Kin­der und Schwan­ge­re »ohne Licht und Luft« hau­sen. Nun war Ré Sou­pault kei­ne Lite­ra­tin. Ihr Text ist schnörkel‑, ja kunstlos.

Die Pho­to­gra­phien, ihr eigent­li­ches Metier, ent­fal­ten hier kaum ästhe­ti­sche Wir­kung: Nur deren elf sind abge­bil­det, klein­for­ma­tig, am Ende des Buchs. Das tut dem Wert des Buchs kei­nen Abbruch, im Gegen­teil, die teil­wei­se Unge­lenk­heit der Dar­stel­lung unter­streicht den doku­men­ta­ri­schen Wert. Man soll­te die­se Dar­stel­lung im Geschichts­un­ter­richt lesen las­sen! Allein, wo wäre auch nur eine Schul­stun­de über die­ses Kapi­tel der Zeit­ge­schich­te in den Lehr­plä­nen vor­ge­se­hen? Die popu­lä­re »Geschich­te von unten« nimmt sich lie­ber ent­fern­te­rer Sub­jek­te an. Man­fred Metz­ner, Sou­paults Nach­laß­ver­wal­ter und Her­aus­ge­ber, zieht einen Ver­gleich mit heu­ti­gen Repor­ta­gen über »Flücht­lin­ge z.B. aus Afri­ka oder Syri­en«. Ja, hier wird uns vor Augen geführt, daß bereits die Inte­gra­ti­on von Inlän­dern in West­deutsch­land bei­na­he ein Ding der Unmög­lich­keit war.

Ré Sou­paults Kata­kom­ben der See­le kann man hier bestel­len.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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