Ré Soupault wurde 1901 als Erna Niemeyer in Pommern geboren. Die Bauhausstudentin, die sich später Meriten als Modeschöpferin und Photographin erwarb und ab 1929 in Paris lebte, war mit dem Dadaisten Hans Richter verheiratet, in zweiter Ehe mit dem Poeten und Reporter Phillipe Soupault. Im September 1950 war Ré nach Deutschland gereist, um dort Flüchtlingslager zu besuchen und mit Politikern, Lagerleitern und Vertriebenen zu sprechen. Sie fand erbarmungswürdige Zustände vor. Ihren Bericht über die »wahren Verhältnisse in dem geschlagenen Deutschland, wo die Mehrzahl – Millionen und aber Millionen von Menschen – unter so unbeschreiblichen Lebensbedingungen leben, dass nur ein sehr geduldiges und gehorsames Volk sie seit Jahren akzeptieren kann, ohne sich zu empören«, wollte keine Zeitung drucken. Amerikanische wie französische Presseorgane lehnten dankend ab, ebenso die NZZ. Warum wohl?
Die Avantgardekünstlerin – wir sehen sie hier mondän, in Pumps und Übergangsmantel, Zigarette in der einen, teures Gerät in der anderen Hand – schreibt erschüttert, bei ihren Besuchen habe »sie kaum einen Flüchtling gesehen, der allein über ein Bett verfügt hat«. Sie berichtet von großstädtischen Tiefbunkern, in denen Kinder und Schwangere »ohne Licht und Luft« hausen. Nun war Ré Soupault keine Literatin. Ihr Text ist schnörkel‑, ja kunstlos.
Die Photographien, ihr eigentliches Metier, entfalten hier kaum ästhetische Wirkung: Nur deren elf sind abgebildet, kleinformatig, am Ende des Buchs. Das tut dem Wert des Buchs keinen Abbruch, im Gegenteil, die teilweise Ungelenkheit der Darstellung unterstreicht den dokumentarischen Wert. Man sollte diese Darstellung im Geschichtsunterricht lesen lassen! Allein, wo wäre auch nur eine Schulstunde über dieses Kapitel der Zeitgeschichte in den Lehrplänen vorgesehen? Die populäre »Geschichte von unten« nimmt sich lieber entfernterer Subjekte an. Manfred Metzner, Soupaults Nachlaßverwalter und Herausgeber, zieht einen Vergleich mit heutigen Reportagen über »Flüchtlinge z.B. aus Afrika oder Syrien«. Ja, hier wird uns vor Augen geführt, daß bereits die Integration von Inländern in Westdeutschland beinahe ein Ding der Unmöglichkeit war.
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