Thomas Wagner: Das Netz in unsere Hand! Vom digitalen Kapitalismus zur Datendemokratie

Thomas Wagner: Das Netz in unsere Hand! Vom digitalen Kapitalismus zur Datendemokratie, Köln: PapyRossa 2017. 166 S., 13.90 €

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Als der Online­händ­ler Ama­zon 2014 das Gros der Bücher des Ver­lags Antai­os aus dem Sor­ti­ment nahm, war das wirt­schaft­lich ein her­ber Schlag. Der Vor­gang erfolg­te nicht nur uner­war­tet, son­dern zeig­te auch nach geschei­ter­ten Ver­su­chen einer Kon­takt­auf­nah­me zu dem mil­li­ar­den­schwe­ren Kon­zern auf, daß Online-Impe­ri­en wie Ama­zon nicht wirk­lich greif­bar sind. Sie zah­len lächer­lich gerin­ge Steu­ern und set­zen ihre eige­ne Markt­po­li­tik durch. Trans­pa­renz und Mit­spra­che wird nicht gewährt.

So kann die Domi­nanz im vir­tu­el­len Ein­kauf dazu füh­ren, daß Ama­zon eines Tages die Macht hat, zu ent­schei­den, wel­ches Buch exis­tie­re und wel­ches Buch »nicht statt­fin­de«– so Dani­el Lei­se­gang (Ama­zon. Das Buch als Beu­te, Stutt­gart 2014). Tho­mas Wag­ner, zuletzt durch eine her­vor­ra­gen­de Schrift über den Mach­bar­keits­wahn der Robo­kra­tie (Köln 2015) auf­ge­fal­len, knöpft sich nun Ama­zon, Goog­le, Face­book, Twit­ter – kurz: die Inter­net­gi­gan­ten – vor.

Der lin­ke Kul­tur­so­zio­lo­ge zeigt in sei­ner Streit­schrift auf, daß die­se Netz­kon­zer­ne mitt­ler­wei­le so mäch­tig erschei­nen, daß Regie­run­gen sie wie sou­ve­rä­ne Staa­ten behan­deln. Die Macht die­ser »digi­ta­len Quasistaaten«führe suk­zes­si­ve zu einer »Mono­pol­herr­schaft der Inter­net­kon­zer­ne«. Die­se Herr­schaft beruht ins­be­son­de­re auf Daten­an­häu­fung und ‑kon­trol­le. Denn der Nut­zer von Goog­le oder Face­book, der für die­se Platt­for­men im Regel­fall nichts zah­len muß, ist dabei nicht selbst das wich­tigs­te Pro­dukt. Das Pro­dukt besteht pri­mär aus Daten, die ein jeder beim Sur­fen hin­ter­läßt. Man sucht bei Goog­le, pflegt Kon­tak­te bei Face­book, recher­chiert Pro­duk­te. Dabei sam­meln die Kon­zer­ne alle Daten, die sie abschöp­fen kön­nen – von Stand­or­ten des Nut­zers bis zur poli­ti­scher Ori­en­tie­rung – und ver­kau­fen die­se an Wer­be­part­ner. Zig­mil­lio­nen machen mit; zu groß ist die Ver­füh­rung, sei­nen All­tag im Netz zu tei­len oder alle Ein­käu­fe bequem über eine ein­zi­ge Platt­form abwi­ckeln zu können.

An die Stel­le tra­di­tio­nel­ler Groß­kon­zer­ne sind eini­ge weni­ge Digi­tal­kon­zer­ne getre­ten, deren krea­ti­ve Köp­fe über­dies häu­fig noch ganz ande­res im Sin­ne haben. Wag­ner ver­weist auf die dies- und jen­seits des Atlan­tiks wach­sen­de Bewe­gung des »Trans­hu­ma­nis­mus«, die durch tech­no­lo­gi­schen Fort­schritt rund um Künst­li­che Intel­li­genz (KI) und Robo­ter den neu­en, per­fek­ten Men­schen kre­ieren möch­te. Es ist die­se Ableh­nung einer tota­len, den Inter­es­sen eines gren­zen­lo­sen Kapi­ta­lis­mus die­nen­den Mach­bar­keits­theo­rie, die Wag­ners lin­ke Tech­nik­kri­tik für kon­ser­va­ti­ve Ansät­ze frucht­bar macht. Wag­ner hält den Men­schen für mehr als nur ein Schmier­mit­tel der Wirtschaftsmaschinerie.

Gefähr­lich gilt dem Autoren auch die Ver­schrän­kung zwi­schen Inter­net­kon­zer­nen und staat­li­cher Macht. Er ver­weist auf Bei­spie­le wie das­je­ni­ge des Goog­le-Mana­gers Eric Schmidt, der im März 2016 zum Lei­ter eines Gre­mi­ums für Inno­va­ti­on im Pen­ta­gon beru­fen wur­de. Die­se Ver­net­zung zwi­schen Sili­con-Val­ley-Kon­zer­nen und US-Appa­ra­ten ist frap­pie­rend. Spe­zi­ell Goog­le tut sich hier­bei her­vor, indem es zugleich mit CIA, NSA und dem Mili­tär­ge­heim­dienst koope­riert; oft­mals wech­seln Mit­ar­bei­ter aus einem Inter­net­rie­sen zu einem US-Geheim­dienst oder umge­kehrt. Weil die­se Ent­wick­lun­gen – Wag­ner skiz­ziert ihrer noch mehr – zu einem »all­ge­gen­wär­ti­gen Daten­im­pe­ria­lis­mus« füh­ren, wächst die Erkennt­nis, daß eine fun­da­men­ta­le Wen­de in der vir­tu­el­len Welt erfor­der­lich wäre.

Der Autor möch­te dabei nicht die Hege­mo­nie der US-Kon­zer­ne durch euro­päi­sche Kon­kur­ren­ten erset­zen. Er for­dert eine »fort­schritt­li­che Netz­po­li­tik«: Die an Pro­fit­den­ken aus­ge­rich­te­ten Inter­net­kon­zer­ne mögen durch Kom­mu­ni­ka­ti­ons­diens­te der öffent­li­chen Hand abge­löst wer­den, womit er sich mit Sahra Wagen­knecht – die dem vor­lie­gen­den Buch ein Vor­wort bei­gesteu­ert hat – einig weiß. Auch sie for­dert, digi­ta­le Platt­for­men von gemein­nüt­zi­gen Anbie­tern betrei­ben zu las­sen und als ers­ten Schritt Geset­ze zu erlas­sen, die der Daten­sam­mel­wut der Inter­net­kon­zer­ne Ein­halt gebie­ten. Das Ziel Wag­ners und Wagen­knechts ist so klar wie gerecht­fer­tigt: Es geht um die Rück­erobe­rung des öffent­li­chen (inklu­si­ve vir­tu­el­len) Raums aus den Hän­den der Kon­zer­ne. Wie das kon­kret von­stat­ten gehen könn­te: Dafür lie­fert Wag­ners Schrift nur ers­te Ansatzpunkte.

Tho­mas Wag­ners Das Netz in unse­rer Hand kann man hier bestel­len.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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