Michaela Karl: »Ich blätterte gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an.«

Michaela Karl: »Ich blätterte gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an.« Unity Mitford. Eine Biographie, Hamburg: Hoffmann und Campe 2016. 400 S., 22 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Ein paar Gemein­sam­kei­ten zwi­schen Eva Braun und Unity Mit­ford: Bei­de waren blut­jun­ge Frau­en, blon­de Schön­hei­ten, als Hit­lers Stern zu stei­gen begann. Bei­de star­ben mit 33 Jah­ren. Bei­de ver­ehr­ten Hit­ler gren­zen­los, bei­de hat­ten engs­ten Kon­takt zu ihm. Die Braun ehe­lich­te Hit­ler kurz vor Ulti­mo, die Mit­ford hat­te den viel­be­schäf­tig­ten Poli­ti­ker zwi­schen 1933 und 1939 140 mal getrof­fen. Zu den Unter­schie­den: Eva Brauns Leben gibt wenig her, jeg­li­che »Film­rei­fe« ver­dankt es dem Objekt ihrer Zunei­gung, Adolf Hit­ler. Unity Mit­ford hin­ge­gen, ihre gan­ze unkon­ven­tio­nel­le Fami­lie, die­se Punk-Atti­tü­de avant la lett­re! Man könn­te glatt einen Aben­teu­er­film dar­aus bas­teln, und die Hit­ler-Epi­so­de wäre nur das Sah­ne­häub­chen. (Bewe­gung, Bewe­gung! »The Füh­rer was hea­ven­ly«, Sezes­si­on 55, 2013.) Als die His­to­ri­ke­rin Hei­ke Gör­tema­ker 2010 ihre Eva-Braun-Bio­gra­phie (Leben mit Hit­ler, Sezes­si­on 36, 2010) ver­öf­fent­licht hat­te, erfuhr das Buch in aller­kür­zes­ter Zeit fünf Auf­la­gen. Kein Wun­der, H. geht immer. Dabei hat­te Gör­tema­ker wei­test­ge­hend das zusam­men­ge­tra­gen, was längst ver­öf­fent­licht war.

Mit Michae­la Karls (Jahr­gang 1971, His­to­ri­ke­rin und Poli­tik­wis­sen­schaft­le­rin) Unity-Mit­ford-Bio­gra­phie ver­hält es sich ähn­lich. Wer bereits ein wenig ein­ge­le­sen ist in den Lebens­lauf die­ses exzen­tri­schen Weibs, sieht sich hier Alt­be­kann­tem gegen­über. Und weil die fami­liä­ren Zusam­men­hän­ge – Unity, genau­er: Unity Val­ky­rie, spä­ter, nach län­ge­rem Deutsch­land­auf­ent­halt als »Unity Wal­kü­re« fir­mie­rend, hat­te fünf Schwes­tern und einen Bru­der, Schwes­ter Jes­si­ca mach­te als Kom­mu­nis­tin Furo­re, Nan­cy reüs­sier­te als erfolg­rei­che Roman­au­to­rin, Dia­na ehe­lich­te den bri­ti­schen Faschis­ten­füh­rer Oswald Mos­ley etc. – der­art ful­mi­nant sind, fin­det die Haupt­per­son, Unity, erst ab Sei­te 143 über­haupt fort­lau­fend Erwäh­nung! Jedoch: Macht gar nichts. Die Autorin ver­steht ihr Hand­werk. Das hier ist Geschichts­schrei­bung und ein Bou­le­vard­ro­man zugleich, der Titel weist auf letz­te­res hin: Die­ses vor­geb­li­che Zitat ist ein zusam­men­ge­schus­ter­tes Ver­kaufs­ar­gu­ment. Kaum nötig, denn Fräu­lein Mit­ford, von ihren skur­ri­len Eltern 1913 in einem kana­di­schen Nest namens Swas­tika gezeugt, weist in ihrem kur­zen Leben mehr Spleens und Aben­teu­er auf, als in die tur­bu­len­tes­te Fern­seh­se­rie pas­sen würden.

Sie war mit Chur­chill, G.B. Shaw und der Braue­rei­dy­nas­tie Guin­ness ver­wandt oder ver­schwä­gert, sie nahm ihre Rat­te und ihre Blind­schlei­che zu Bäl­len der High socie­ty mit, sie flog von der Schu­le, böse Zun­gen bezich­tig­ten sie eines aus­schwei­fen­den Sexu­al­le­bens. Nach­dem Unity als Neun­zehn­jäh­ri­ge nach Deutsch­land gezo­gen war, wur­de sie rasch Dau­er­gast in den inners­ten Zir­keln der NSDAP.Sie ging im Hau­se Goeb­bels ein und aus, moch­te Juli­us Strei­cher, Ernst »Put­zi« Hanf­staengl war über Jah­re ihr bes­ter Freund. Unity war irre, aber nicht dumm: Bald beherrsch­te sie flie­ßend Deutsch (mit brei­tem bay­ri­schem Akzent), nahm Gesangs­un­ter­richt und ließ sich von einem Pro­fes­sor in höhe­rer Mathe­ma­tik unter­wei­sen. Vor allem ver­ehr­te sie Hit­ler maß­los. Sie ging (wie auch sämt­li­che Fami­li­en­mit­glie­der auf Besuch) nicht nur regel­mä­ßig mit ihm essen, sie beglei­te­te ihn zur Olym­pia­de 1936, zu den Bay­reu­ther Fest­spie­len, zum Turn­fest nach Bres­lau und zu meh­re­ren Fran­ken­ta­gen, wo sie auch sprach. Die Deut­schen reagier­ten fre­ne­tisch: »Heil Miss! Heil Eng­land!« Ob Unity wirk­lich eine Ein­fluß­grö­ße war, bleibt dahin­ge­stellt. Hit­lers Anglo­phi­lie moch­te durch die »nor­di­sche Schön­heit« (Paul Schult­ze-Naum­burg) zusätz­li­chen Schub erhal­ten haben. Fest steht, daß Chur­chill mit ihr dis­ku­tier­te (nach­dem sie behaup­tet hat­te, die Öster­rei­cher woll­ten drin­gend »heim ins Reich«) und daß von bri­ti­scher Sei­te ver­sucht wur­de, über Unity auf die deut­sche Poli­tik einzuwirken.

Inter­es­sant ist, was Karl in bezug auf Unitys angeb­li­chen Selbst­mord­ver­such am 3. Sep­tem­ber 1939 (eine Kugel blieb in ihrem Kopf ste­cken, das Fräu­lein war seit­her behin­dert und ver­starb 1948 an den Spät­fol­gen) zuta­ge för­dert. Sie hat sämt­li­che im Bay­ri­schen Staats­ar­chiv lagern­den Ver­hör­pro­to­kol­le zu jenem Fall durch­ge­ar­bei­tet und erin­nert außer­dem an eine spä­te (1981) Zeu­gen­aus­sa­ge des His­to­ri­kers (und Antai­os-Autors!) Hanns­joa­chim W. Koch, der berich­te­te, wie er und sei­ne Fami­lie damals von der Gesta­po ein­ge­schüch­tert wur­den. Die Autorin hält es für mög­lich, daß wich­ti­ge Krei­se (die Namen Rib­ben­trop und Heß fal­len) an einer Liqui­die­rung der »eng­li­schen Ein­flüs­te­re­rin« inter­es­siert waren. Ulkig ist das Fazit, mit dem die­se Arbeit schließt: »Das Böse ist wan­del­bar und Unity Mit­ford ein gutes Bei­spiel dafür, wie sym­pa­thisch, humor­voll und hübsch es anmu­ten kann. Sie war das schö­ne Gesicht des Faschis­mus, ihre Geschich­te zeigt, daß schreck­li­che Wor­te auch aus einem cha­nel­rot geschmink­ten Mund kom­men kön­nen.« Unser heu­ti­ges Pro­blem sei­en »die vie­len (…) Unity Mit­fords, die uns tag­täg­lich freund­lich lächelnd begeg­nen. Ihnen gegen­über gilt es, unse­re zivil­ge­sell­schaft­li­chen Wer­te zu ver­tei­di­gen (…). Wir müs­sen auf­ste­hen gegen sie.«

Michae­la Karls »Ich blät­ter­te gera­de in der Vogue, da sprach mich der Füh­rer an.« kann man hier bestel­len.

 

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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