1974 stellte der äthiopische Prinz Asfa-Wossen Asserate einen Asylantrag in Deutschland. Während eines Studienaufenthaltes in Frankfurt a.M. wurde sein Vater in Addis Abeba ermordet, und die Kommunisten rissen gewaltsam die Macht an sich. Asserate wurde so zum Flüchtling. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, warum er den Migranten der letzten Jahre mit viel Empathie gegenübertritt. Er kenne »keinen Afrikaner, der seine Familie, seine Freunde, seine vertraute Umgebung verlassen hat, nur weil er denkt, er könne anderswo mehr verdienen«, so Asserate. Es gehe vielmehr um die »nackte Existenz«, weshalb er eine Asylpolitik nach australischem Vorbild als menschenverachtend einstuft und der Angela Merkel des Jahres 2015 den Rücken stärkt. Hier nun Naivität anzuprangern, lohnt sich nicht, denn Asserate geht es um genau die richtige Frage. Er ist sich sicher, daß der Höhepunkt der Fluchtbewegungen aus Afrika noch nicht erreicht ist und Europa trotz aller halbherzigen Abschottungsversuche in den nächsten Jahrzehnten tatsächlich eine gewaltsame Invasion erleben könnte, wenn es jetzt nicht zu geeigneten, langfristigen Maßnahmen greift.
Die Beendigung des Landraubes (Land grabbing), der finanziellen Unterstützung gescheiterter Staaten sowie der Überflutung Afrikas mit subventionierten Agrarprodukten ist deshalb in unserem eigenen Interesse. Solange die Produktion von einem Kilogramm Geflügelfleisch in Westafrika mehr als doppelt so viel kostet als die mit Steuern finanzierten EU-Billigexporte, kann die dortige Wirtschaft selbst dann nicht auf die Beine kommen, wenn sie aus eigener Kraft dazu in der Lage wäre.
Asserate benennt in seinem Buch kurz und knapp die größten Fehler der westlichen Afrika-Politik. Daß Entwicklungshilfe zu einer Souveränitätsrendite führt, ein Reichtum an Ressourcen auch ein Fluch sein kann und Afrika auf die vielfach schon vorhandene Eigeninitiative selbstbewußter Männer und Frauen bauen muß, ist keine Neuigkeit. Erstaunlicherweise herrscht darüber bei nahezu allen Experten von Jean Ziegler über Paul Collier bis hin zu Volker Seitz weitgehende Einigkeit. Es mangelt nicht an Erkenntnissen über Afrika. Woran es hapert, ist die politische Umsetzung, bei der sich beispielsweise China viel unkomplizierter und effektiver anstellt. Seit Jahren weitet das Reich der Mitte sein geoökonomisches Engagement in Afrika aus. So erhalten etwa Unternehmen, die mindestens eine Million US-Dollar für Direktinvestitionen ausgeben, eine hundertprozentige Staatsgarantie für dieses Geld. Währenddessen fällt Deutschland sowohl bei den Direktinvestitionen als auch beim Handel von Jahr zu Jahr zurück, ohne daß sich dafür die politisch Verantwortlichen interessieren würden. Dies den Deutschen ins Bewußtsein zu rufen, ist Aufgabe und Verdienst von Asfa-Wossen Asserate.
Darüber hinaus müssen die wirklich heißen Eisen wie das Thema »Überbevölkerung und Geburtenkontrolle« andere anpacken. Denn auch das zählt zu Afrikas existentiellen Problemen: Die Europäer und europäisierten Afrikaner sprechen »zu nett« über den Schwarzen Kontinent und wollen alle Probleme mit liberalen Methoden lösen. So einfach wird es definitiv nicht ablaufen.
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