Ein Geistlicher, der als »PR-Mann Gottes« tituliert wird (und sich das gern gefallen läßt), ein betont kecker Buchtitel, nämlich Geradeaus quergedacht: Was oder wen assoziieren wir damit? Klar, einen katholischen Populisten vom Schlage des spirituell beseelten Bestsellermönches Anselm Grün oder des »Rock my Soul«-Geistlichen Notker Wolf. Typen, die fraglos besser sind als ihre protestantischen Pendants, aber … Geschmackssache! Nun verhält es sich mit Prälat Wilhelm Imkamp deutlich anders.
Imkamp, Jahrgang 1951, ist seit 1988 Wallfahrtsdirektor des bayerisch-schwäbischen Pilgerortes Maria Vesperbild, zudem ist er Konsultor der päpstlichen Selig-und Heiligsprechungskongregation. Sein nun vorliegendes Büchlein beinhaltet 37 Interviews (von 1988 bis 2015), die diverse Presseleute mit Imkamp führten. Aber, Achtung: Dies ist alles andere als eine Buchbindersynthese! Es handelt sich hierbei um nahrhafteste Essenz, und zwar auch für alle, die a) mit ihrer Kirche ringen, b) den Austritt bereits erklärt haben, c) die katholische Kirche schon immer für einen verlogenen Zeitgeistverein erklärt haben. Imkamp liefert Substanz, und wie! Sogar in den harmlos beüberschrifteten Gesprächen mit den ihm heimischen Mittelschwäbischen Nachrichten (»Wie stehen sie zu guten Vorsätzen zum Jahreswechsel?«,»Wieviel Luxus braucht der Mensch?«), erst recht in den anspruchsvollen Interviews mit Martin Mosebach und Lorenz Jäger – Imkamp, der druckreif spricht und souverän sowohl den Zeitgeist kennt als auch über die 2000jähige Kirchengeschichte verfügt, ist ein Glaubenslehrer erster Güte. Er sieht ganz klar die Misere: daß die katholische Kirche (»Systemkatholizismus«) in Deutschland, »gestreßt vom Gesinnungsterror vieler theologischer Aus‑, Fort- und Weiterbildungsanstalten« heute mehr Abbild als »Sauerteig« der Gesellschaft ist.
Die prominenten Vertreter dieser Kirche, diesem »selbstreferentiellen Leerlaufbetrieb«, »scheinen die Klarheit ebenso zu scheuen wie früher der Teufel das Weihwasser.« Nun haben wir es bei Imkamp dennoch mit einem völlig unaufgeregten Gottesmann zu tun – mehr mit einem Weisen als mit einem Erzürnten. Erhellend ist nicht zuletzt, mittels der hier abgedruckten Gespräche die heißen Diskussionen über 27 Jahre hinweg zu verfolgen. Wie Imkamp bereits 1988 (da zählte die durch ihn betreute Wallfahrtskirche 20000 abgelegte Beichten im Jahr!) die Selektion von Tatsachen in den Massenmedien auf’s Korn nahm! Wie er sich den Fragen nach der Marienverehrung (typisches Klageweib: »mich engt die Dominanz von Maria irgendwo ein«) und der Frauenordination im Zeitalter des katholischen Feminismus stellt! Wie der Prälat den Befindlichkeiten jener Leute begegnet, die sich (ob als praktizierende Homosexuelle, wiederverheiratete Geschiedene et cetera) »vor den Kopf gestoßen fühlen«: Auch Jesus habe die Leute vor den Kopf gestoßen, und wie!
Hervorragend sind über die Jahre hinweg Imkamps Einlassungen zu den »Spießern«, zu jenen also, die krampfhaft um gesellschaftliche Akzeptanz bemüht sind; er hat den Terminus der bejammernswerten »Clerical correctness« geprägt. Imkamp wird nicht müde, das nonkonformistische Potential des Katholischen zu bemühen: Wer »richtig katholisch« sei, sei niemals »intellektuell abgeschlafft«. Allein, weil er seinen Glauben dauernd verteidigen müsse!
Wie geht all das: die Inquisition verteidigen, den Opfergedanken als anthropologisch »immer richtig« nennen, der Systemkirche ein Lavieren zwischen »pubertärem Übermut und präseniler Weinerlichkeit« zu attestieren – und trotz all diesem harten Tobak gütig und gnädig zu wirken? Imkamp kann es. Er pflegt weder Therapiejargon noch Zorngottessprache. Den hier versammelten Texten ist gemein, daß sie weder zu leicht oder betulich noch zu schwer oder zu theologisch-theoretisch sind. Sie sind eine Rüstung und ein Segen!
Wilhelm Imkamps Geradeaus quergedacht kann man hier bestellen .