Es ist nicht einfach, heutzutage links zu sein. Milieuinterne Sprachregelungen werden verschärft, Verhaltensweisen auf ihre politische Zulässigkeit geprüft, akademisches Geschwurbel exaltierter Zirkel absolut gesetzt, abweichende Meinungen sanktioniert. »Links« zu sein heißt heute: materiell saturiert ideologische Nischen konstruierter Minderheitenfelder zu beackern. Nur noch einzelne »umstrittene«Akteure der Linken sprechen an, was in Zeiten kapitalistischer Krisenpolitik interessieren müßte: Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen. Statt dessen werden breite Schichten der Gesellschaft von der akademisierten Linken für ihre »regressiven«Ansichten und ihr »reaktionäres« Weltbild verspottet.
Christian Baron setzt hier an und sagt: Linkes Unterschichtenbashing ist so weitverbreitet wie gefährlich. Sein Buch Proleten, Pöbel, Parasiten ist dabei vor allem autobiographische Erzählung, garniert mit strategischen und politischen Kurzanalysen. Baron spricht mit Opfern des Kapitalismus, die in Sozialbuden verrotten, während er als linker Aktivist auf Szeneveranstaltungen erleben muß, wie ebenjene Schichten ignoriert oder belächelt werden – von Leuten, die von sich selbst denken, besonders aufgeklärt und »links«zu denken. Was Baron kritisiert, ist Lebenswirklichkeit der typischen, eher antideutsch als antikapitalistisch ausgerichteten »Lifestyle-Antifa«dieser Tage, die mit Adorno-Zitaten gegen die Fußball-Euphorie der »Masse«polemisiert, aus behütetem Elternhaus stammt, abgehobene Szenecodes verwendet sowie in den eigenen Strukturen jene soziale Durchlässigkeit blockiert, die zumindest okkasionell für die gesamte Gesellschaft gefordert wird.
Der Einblick in linke Parallelwelten liest sich flüssig, überzeugend und – für Außenstehende – unterhaltsam. Unter dem Strich bleiben mehrere Erkenntnisse. Erstens wird deutlich, warum die heutige politische Linke – habituell, strategisch und inhaltlich – regelmäßig in Reih und Glied mit der herrschenden Klasse steht: Man hat, da die »großen Fragen« nicht mehr diskutiert werden, grosso modo ähnliche Ziele und teilt sich die Einflußsphären. Zweitens erweist sich der hier errungene Sieg auf gesellschafts- bzw. identitätspolitischem Feld als Pyrrhussieg, da die soziale Frage mit aller Härte in die Sphäre der Politik zurückkehrt und nun von »rechts«beachtet wird, während die Linke Nischendebatten führt.
Drittens wird spürbar, daß auch jene klügeren Köpfe von links, die sich den skizzierten Prozessen verweigern, selbst nur ein Symptom der grundlegenderen Krise sind. Denn Baron fordert zwar ein fundamentales Umdenken und einen linken »Populismus« (geschult an Carl Schmitt und Chantal Mouffe), schießt aber gleichzeitig gegen Sahra Wagenknecht mit ebenjenen Argumenten, die von der Jungle-World-Linken gegen das Feigenblatt einer an den populären Klassen ausgerichteten Linkspartei verwendet werden, etwa: Man kopiere die reaktionäre Rechte, wenn man eine realistische Zuwanderungspolitik fordere.
Auch diese substantielle Ratlosigkeit ist kein Zufall. Denn Christian Baron ist nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Redakteur bei der Tageszeitung neues deutschland(nd). Und ebenjenes nd, das sich ganz dem Projekt »R2G« (Rot-Rot-Grün) verschrieben hat, steht exemplarisch für den Kurs einer Anpassung an die bürgerliche Großstadtlinke mit Minderheitenfetisch bei Preisgabe der (meist ostdeutsch beheimateten) ehemaligen Stammklientel, die sich aus Arbeitern, prekär Beschäftigten und Opfern der Hartz-Reformen zusammensetzte. Auch Barons Analyse dürfte nicht helfen, die offene Flanke einer im Niedergang befindlichen Linken zu schließen.
Christian Baron: Proleten, Pöbel, Parasiten kann man hier bestellen.