Titelgebung und Inhaltsverzeichnis dieses in der renommierten Metzler-Reihe erschienenen Kompendiums versprechen einen repräsentativen Überblick über wissenschaftliche Ansätze und Anstrengungen, der Konstitution von »Männlichkeit« auf die Spur zu kommen. Und wirklich bemüht das Autorenkollektiv nicht nur diverse Fächer wie Soziologie, Ethnologie, Geschichte, Linguistik, Pädagogik und Philosophie, um der reklamierten Interdisziplinarität gerecht zu werden, sondern bietet zudem ein zwischen Ländern differenzierendes Resumé der aktuellen Forschungslage.
Allerdings verrät schon die Arroganz, mit der osteuropäische und russische Studien als »biologistisch« diffamiert werden, daß diese »Männlichkeitsforschung« mit solider Forschung weit weniger gemein hat als mit einer sektiererischen Geschlechterideologie, die nach ihrer westlichen Erfolgsgeschichte endlich eine globale Vorherrschaft anstrebt. Erklärtermaßen richtet sich dieses Handbuch denn auch gegen eine »populistische Männlichkeitsdebatte«, wie sie hierzulande von »weit rechts« stehenden Autoren wie Arne Hoffmann oder Akif Pirinçci geführt werde. Nach Maßgabe der angelsächsischen »Men’s« und»Masculinity Studies«, die das geschlechterdemokratische Defizit der frauenpolitisch dominierten »Gender Studies« durch eine Dekonstruktion auch von »Männlichkeitsbildern« zu beseitigen suchen, gilt es in letzter Konsequenz, »Männlichkeit als forschungsleitenden Begriff zu verabschieden«.
Die so doktrinär wie redundant zitierten Referenztheoretiker dieses Sammelwerkes sind erwartungsgemäß der Diskursanalytiker Michel Foucault und die Genderphilosophin Judith Butler, die in ihrem postmodernen Wahrheitsrelativismus und Wissenschaftsskeptizismus stets vertreten haben, daß selbst methodisch kontrollierte Forschungen zu Geschlechtsidentitäten und ‑differenzen nichts als trügerische Formen diskriminierenden »Macht-Wissens« darstellen. In diesem Sinne bekennen sich die Herausgeber zu dem konstruktivistischen Dogma, »Männlichkeit« sei im wesentlichen ein soziokulturelles »Narrativ« – und verbannen humanbiologische Erkenntnisse ohne viel Federlesens in die Vorhölle eines geschlechterpolitisch unkorrekten »Essentialismus«. Man staunt nicht schlecht über die Selbstverständlichkeit, mit der hier ganze wissenschaftliche Disziplinen von größter thematischer Relevanz wie Evolutionstheorie, Soziobiologie, Humanethologie, Hormon- und Hirnforschung zumindest marginalisiert, wenn nicht vollständig ignoriert werden. So konsequent etwa naturwissenschaftlich profilierte Geschlechterforscherinnen wie Susan Pinker oder Doris Bischof-Köhler, die in den letzten Dekaden frischen Wind in eine selbstreferentiell und steril gewordene Genderdebatte gebracht haben, aus dieser »Scientific community« ausgeschlossen werden, so penetrant ergreifen wissenschaftlich unbedarfte Ideologen das Wort, um beileibe nicht nur soziale Geschlechterrollen, sondern noch den biologischen Geschlechtsdimorphismus selbst zu einem »binären Konstrukt« des »bürgerlichen Zeitalters« zu fiktionalisieren.
Über evolvierte Erbkoordinaten, die der kulturellen Variabilität männlicher Wesenszüge allemal Grenzen setzen, ist in diesem Band nur am Rande etwas zu erfahren. Was die mit Psychologie und Psychoanalyse befaßten Beiträge über Genese und Struktur von Männlichkeit zu berichten wissen, läßt immerhin auf gewisse anthropologische Konstanten schließen. Und der komprimierte Beitrag zur Humanbiologie und ‑medizin getraut sich als Ergebnis neuester Studien sogar zu vermelden, daß geschlechtertypische Verhaltensprofile sich »weitestgehend unabhängig vom kulturellen Hintergrund« herausbilden. Demgegenüber lassen zeitgenössische Krisenerfahrungen vielfältig sich auflösender »Männlichkeiten«, wie sie vornehmlich in ästhetischen Medien reflektiert werden, gewiß eine höhere kulturelle Bedingtheit vermuten; nicht von ungefähr stellen gerade die von der Literatur- und Kunstgeschichte sowie der Fotografie- und Filmgeschichte entworfenen Gender-Panoramen eine kulturelle Bereicherung dieser Publikation dar.
Insgesamt jedoch bleibt die als Novität präsentierte Männlichkeitsforschung einem anachronistisch-behavioristischen Bild vom Menschen verhaftet, der auch als Geschlechtswesen zu einer beliebig konditionierbaren Tabula rasa entnaturalisiert wird. Letztlich propagiert dieser Glaube an eine Creatio ex nihilo des »Mannes« nur eine kulturalistische Variante des Kreationismus, welche mit dem theologischen Original ein tiefsitzendes Ressentiment gegen die Darwinsche Evolutionslehre und die modernen Naturwissenschaften überhaupt verbindet. Und freilich ist es dieser gegen alles Eingedenken der Natur im Menschen verhärteten Doktrin geschuldet, daß die interdisziplinäre Chance, Bio- und Kulturwissenschaften gleichgewichtig in die Waagschale zu werfen, um natürlichen Dispositionen und sozialen Konstruktionen von »Männlichkeit« gleichermaßen Rechnung zu tragen, in diesem Handbuch grandios verspielt wurde.
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