Claus Leggewie: Anti-Europäer. Breivik, Dugin, al-Suri & Co.

Claus Leggewie: Anti-Europäer. Breivik, Dugin, al-Suri & Co., Berlin: Suhrkamp 2016. 176 S., 15 €

Franco »Bifo« Berardi: Helden. Über Massenmord und Suizid, Berlin: Matthes & Seitz 2016. 282 S., 22.90 €

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Das furcht­ein­flö­ßen­ds­te Gespenst in Euro­pa ist neu­er­dings das Gespenst des Identitären.

Der Gie­ße­ner Kul­tur­wis­sen­schaft­ler Claus Leg­ge­wie sieht in sei­nem Suhr­kamp-Bänd­chen über die »Anti-Euro­pä­er« die­se als »selbst­er­nann­te Erben der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on« und sub­su­miert unter die­sem Label sehr hete­ro­ge­ne Pro­to­ty­pen: den nor­we­gi­schen Mör­der Anders Brei­vik, den rus­si­schen Phi­lo­so­phen Alex­an­der Dugin und den syri­schen isla­mis­ti­schen Pre­di­ger Abu Mus­ab al-Suri.

Ihm ist metho­do­lo­gisch klar, daß es nur ein Ver­gleich, kei­ne Gleich­set­zung wer­den kann, aber auch Ver­glei­che ber­gen ihre Gefah­ren. Aris­to­te­les’ meta­phern­theo­re­ti­sches Bei­spiel »Achil­les ist ein Löwe« bedeu­tet nicht, daß alle Attri­bu­te des Löwen in der Meta­pher gemeint sind, Achil­les hat kei­nen Schwanz und stinkt nicht aus dem Hals. Leg­ge­wies Ver­gleich stinkt ziem­lich aus dem Hals, aus zwei Gründen.

Das Feind­bild sei­ner anti­eu­ro­päi­schen Gru­sel­ge­stal­ten ist »Euro­pa in sei­ner drei­fa­chen Gestalt als Wer­te­ge­mein­schaft, gemein­sa­mer Markt und poli­ti­sche Uni­on«. Ein aus­ge­spro­chen vor­ein­ge­nom­me­ner Euro­pa­be­griff, ziem­lich der­sel­be, den Ange­la Mer­kel gegen den »Anti-Euro­pä­er« Donald Trump auf­bot. »Euro­pa« als Meta­pher: Da schwin­gen für man­chen Hörer zu vie­le nicht mit­ge­mein­te stin­ken­de Attri­bu­te mit.

Der zwei­te Grund ist sein blin­der Fleck. Das Buch endet mit einem Kapi­tel »Kri­tik der exter­mi­nis­ti­schen Unver­nunft«. Bezug­s­ti­tel dafür ist natür­lich Kants Kri­tik der rei­nen Ver­nunft, in end­lo­ser Rei­he ist die­se Kon­struk­ti­on schon über­nom­men wor­den. Nur ist Kants Titel dop­pel­deu­tig: »der« Ver­nunft ist Geni­ti­vus subiec­ti­vus (die Ver­nunft kri­ti­siert ihre »Rein­heit«) und Geni­ti­vus obiec­ti­vus (die Ver­nunft wird von der »rei­nen« Ver­nunft kri­ti­siert). Claus Leg­ge­wie kri­ti­siert die aus­lö­schungs­wü­ti­ge Unver­nunft sei­ner gefähr­li­chen Typen, aber sei­ne eige­ne ist unbe­ab­sich­tigt mitgemeint!

Es ist näm­lich »exter­mi­nis­tisch« und hoch­gra­dig unver­nünf­tig von ihm, gegen­wär­ti­ges iden­ti­tä­res Den­ken als gegen Euro­pa gerich­tet und als mord­lüs­tern zu kate­go­ri­sie­ren. Die Iden­ti­tä­re Bewe­gung hat einen aus­ge­spro­chen posi­ti­ven Bezug (»Defend Euro­pe!«) zu Euro­pa, daher ist es gera­de­zu unbe­greif­lich, sie als Euro­pas Fein­de zu sehen. Das liegt dar­an, daß der Autor mit sei­nem necki­schen »& Co.« im Buch­ti­tel das gan­ze Spek­trum der Neu­en Rech­ten in sum­ma mit Brei­vik zusam­men­stopft, den er folg­lich auch nicht für einen Psy­cho­pa­then hält, son­dern für einen rech­ten Gewährs-autoren. Das Mord­lüs­ter­ne, das er uns unter­stellt, ist von einer Gehäs­sig­keit, die einer doch wohl wis­sen­schaft­lich gemein­ten Abhand­lung unwür­dig ist. In Schnell­ro­da »war­te man nur dar­auf«, daß »Aktio­nen gegen Flücht­lings­un­ter­künf­te und Moscheen«, die »den Mord­ta­ten eines Brei­vik näher­kom­men«, geschä­hen. Leg­ge­wie glaubt allen Erns­tes, daß Thor v. Wald­steins »Wider­stand« im brei­vik­schen Sin­ne insinuierte.

Berar­di schreibt bes­ser, kommt er doch als lin­ker Ita­lie­ner aus der fran­zö­si­schen Post­mo­der­ne und Leg­ge­wie aus der Haber­mas­schu­le. Berar­dis Buch ver­tritt die The­se, daß aktu­el­le Amok­läu­fe und Sui­zi­de Aus­ge­bur­ten des mör­de­ri­schen Spät­ka­pi­ta­lis­mus sind. Dazu kommt eine von Bau­dril­lard geborg­te Vir­tua­li­täts- und Simu­la­ti­ons­theo­rie, die nicht viel Neu­es lie­fert, außer daß Berar­di sei­ne unwirk­li­chen »Hel­den«, die im Selbst­mord end­lich wirk­lich wer­den wol­len, durch Film­ana­ly­sen ein­fan­gen kann. Im Inter­net und Video­spiel ver­lo­ren, gebricht es den Pro­to­ty­pen der Gegen­wart an nicht­ent­frem­de­ter Wirk­lich­keit, des­halb töten sie.

Wäh­rend Leg­ge­wie Brei­vik für psy­chisch zurech­nungs­fä­hig hält und die Neue Rech­te für sei­ne latent zu den­sel­ben Taten berei­ten Gesin­nungs­ge­nos­sen, denkt Berar­di, daß Brei­vik früh­kind­lich gestört sei, aber der Groß­teil der Euro­pä­er dies latent eben­so wäre, weil wir alle im Kapi­ta­lis­mus leben.

Berar­di ist da stark, wo sei­ne Kapi­ta­lis­mus­kri­tik inten­si­ve Ver­lust­bil­der ent­wi­ckelt. Eigent­lich müß­te er nun dahin kom­men, zu über­le­gen, was die Ursa­che die­ses Ver­lusts des Eige­nen ist. Dies steht ihm jedoch nicht zu Gebo­te, denn er hält Iden­ti­tät für das Böse schlecht­hin. Der »ita­lie­ni­sche Meis­ter­den­ker« (Umschlag­text) spricht von der »Krank­heit, die uns unter dem Begriff Iden­ti­tät geläu­fig ist. Iden­ti­tät ist nicht natür­lich. Iden­ti­tät ist ein kul­tu­rel­les Pro­dukt«. Für glück­li­cher­wei­se iden­ti­täts­los und daher sei­ner »iro­ni­schen Uto­pie« der Mensch­lich­keit zugrun­de zu legen hält er am Ende aus­ge­rech­net: die Juden. »Eigent­lich soll­te man, um sicher­zu­ge­hen, daß man unter kei­nen Umstän­den ein Faschist wer­den kann, zunächst sämt­li­chem Iden­ti­fi­ka­ti­ons­druck wider­ste­hen.« Fran­co Berar­di erweist sich hier­mit wie sein deut­scher Kol­le­ge als unver­nünf­ti­ger Aus­lö­scher – der euro­päi­schen Völker.

Claus Leg­ge­wies Anti-Euro­pä­er und Fran­co Berar­dis Hel­den kann man hier bestel­len.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

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