Das furchteinflößendste Gespenst in Europa ist neuerdings das Gespenst des Identitären.
Der Gießener Kulturwissenschaftler Claus Leggewie sieht in seinem Suhrkamp-Bändchen über die »Anti-Europäer« diese als »selbsternannte Erben der Konservativen Revolution« und subsumiert unter diesem Label sehr heterogene Prototypen: den norwegischen Mörder Anders Breivik, den russischen Philosophen Alexander Dugin und den syrischen islamistischen Prediger Abu Musab al-Suri.
Ihm ist methodologisch klar, daß es nur ein Vergleich, keine Gleichsetzung werden kann, aber auch Vergleiche bergen ihre Gefahren. Aristoteles’ metapherntheoretisches Beispiel »Achilles ist ein Löwe« bedeutet nicht, daß alle Attribute des Löwen in der Metapher gemeint sind, Achilles hat keinen Schwanz und stinkt nicht aus dem Hals. Leggewies Vergleich stinkt ziemlich aus dem Hals, aus zwei Gründen.
Das Feindbild seiner antieuropäischen Gruselgestalten ist »Europa in seiner dreifachen Gestalt als Wertegemeinschaft, gemeinsamer Markt und politische Union«. Ein ausgesprochen voreingenommener Europabegriff, ziemlich derselbe, den Angela Merkel gegen den »Anti-Europäer« Donald Trump aufbot. »Europa« als Metapher: Da schwingen für manchen Hörer zu viele nicht mitgemeinte stinkende Attribute mit.
Der zweite Grund ist sein blinder Fleck. Das Buch endet mit einem Kapitel »Kritik der exterministischen Unvernunft«. Bezugstitel dafür ist natürlich Kants Kritik der reinen Vernunft, in endloser Reihe ist diese Konstruktion schon übernommen worden. Nur ist Kants Titel doppeldeutig: »der« Vernunft ist Genitivus subiectivus (die Vernunft kritisiert ihre »Reinheit«) und Genitivus obiectivus (die Vernunft wird von der »reinen« Vernunft kritisiert). Claus Leggewie kritisiert die auslöschungswütige Unvernunft seiner gefährlichen Typen, aber seine eigene ist unbeabsichtigt mitgemeint!
Es ist nämlich »exterministisch« und hochgradig unvernünftig von ihm, gegenwärtiges identitäres Denken als gegen Europa gerichtet und als mordlüstern zu kategorisieren. Die Identitäre Bewegung hat einen ausgesprochen positiven Bezug (»Defend Europe!«) zu Europa, daher ist es geradezu unbegreiflich, sie als Europas Feinde zu sehen. Das liegt daran, daß der Autor mit seinem neckischen »& Co.« im Buchtitel das ganze Spektrum der Neuen Rechten in summa mit Breivik zusammenstopft, den er folglich auch nicht für einen Psychopathen hält, sondern für einen rechten Gewährs-autoren. Das Mordlüsterne, das er uns unterstellt, ist von einer Gehässigkeit, die einer doch wohl wissenschaftlich gemeinten Abhandlung unwürdig ist. In Schnellroda »warte man nur darauf«, daß »Aktionen gegen Flüchtlingsunterkünfte und Moscheen«, die »den Mordtaten eines Breivik näherkommen«, geschähen. Leggewie glaubt allen Ernstes, daß Thor v. Waldsteins »Widerstand« im breivikschen Sinne insinuierte.
Berardi schreibt besser, kommt er doch als linker Italiener aus der französischen Postmoderne und Leggewie aus der Habermasschule. Berardis Buch vertritt die These, daß aktuelle Amokläufe und Suizide Ausgeburten des mörderischen Spätkapitalismus sind. Dazu kommt eine von Baudrillard geborgte Virtualitäts- und Simulationstheorie, die nicht viel Neues liefert, außer daß Berardi seine unwirklichen »Helden«, die im Selbstmord endlich wirklich werden wollen, durch Filmanalysen einfangen kann. Im Internet und Videospiel verloren, gebricht es den Prototypen der Gegenwart an nichtentfremdeter Wirklichkeit, deshalb töten sie.
Während Leggewie Breivik für psychisch zurechnungsfähig hält und die Neue Rechte für seine latent zu denselben Taten bereiten Gesinnungsgenossen, denkt Berardi, daß Breivik frühkindlich gestört sei, aber der Großteil der Europäer dies latent ebenso wäre, weil wir alle im Kapitalismus leben.
Berardi ist da stark, wo seine Kapitalismuskritik intensive Verlustbilder entwickelt. Eigentlich müßte er nun dahin kommen, zu überlegen, was die Ursache dieses Verlusts des Eigenen ist. Dies steht ihm jedoch nicht zu Gebote, denn er hält Identität für das Böse schlechthin. Der »italienische Meisterdenker« (Umschlagtext) spricht von der »Krankheit, die uns unter dem Begriff Identität geläufig ist. Identität ist nicht natürlich. Identität ist ein kulturelles Produkt«. Für glücklicherweise identitätslos und daher seiner »ironischen Utopie« der Menschlichkeit zugrunde zu legen hält er am Ende ausgerechnet: die Juden. »Eigentlich sollte man, um sicherzugehen, daß man unter keinen Umständen ein Faschist werden kann, zunächst sämtlichem Identifikationsdruck widerstehen.« Franco Berardi erweist sich hiermit wie sein deutscher Kollege als unvernünftiger Auslöscher – der europäischen Völker.
Claus Leggewies Anti-Europäer und Franco Berardis Helden kann man hier bestellen.