Gender mainstreaming tut heroisch so, als wäre es ein Kampf, dabei ist es längst Mainstream. Die große liberale »Entstrukturierung« (Manfred Kleine-Hartlage) weiß nicht, daß sie inzwischen konsensual operiert, und stellt immer noch jeden kleinen Angriff gegen »verkrustete Strukturen« und »traditionelles Verständnis von xy« als große Tat dar.
»Derzeit befinden wir uns im Krieg gegen unsere erotischen Sehnsüchte, die Konvention der monogamen Bis-daß-der-Tod-Euch-scheidet-Ehe dichtet Männern und Frauen eine falsche Identität an. Vielmehr ist Homo sapiens eine Spezies mit einer großen Schwäche für Sex. Der hat bei den Bonobos eine regulierende Funktion – indem es die Menschenaffen mit jedem treiben, kalmieren sie und leben entspannt dahin. Wie bei unseren Ur-ur-ur-Ahnen, für die ungezwungene Sexualität einst die Norm war.«
Das entspannte Dahinleben in polygamer Sexualität erscheint Cacilda Jethá und Christopher Ryan, den Autoren des Buches Sex. Die wahre Geschichte, als empfehlenswerte Kur für die in ihren Augen im Westen vorherrschende traditionell monogame, romantische Ehevorstellung. Diese sei »eine pathologische Haltung, die uns kontrolliert, statt uns zu ermöglichen, daß wir unser Leben genießen«. Das klingt verführerisch.
»Aber wenn das alles ist, wenn sich dein Leben nur ums ›Spaßhaben‹ dreht, genügt dir das? Ist dieses zivilisatorische Niveau – all dieser Friede, all dieser Überfluß – seinen Preis wert? […] Wie lange werden Männer diesen Zustand relativer Unehrenhaftigkeit ertragen, wissend, daß ihre Vorfahren stärkere Männer, härtere Männer, mutigere Männer waren? […] Wir wissen, was der Weg der Männer einmal war. Ist der Weg des Bonobos alles, was uns geblieben ist?« Dann klingt das nicht mehr verführerisch.
Jack Donovans Der Weg der Männer (Schnellroda 2016), aus dem das letzte Zitat stammt, geht den entscheidenden Schritt weiter als Jethá/Ryan. Einer kapitalistisch-technokratischen Gesellschaft den evolutionären Ausweg ins polygame Fick-Nirvana zu weisen, und dabei anzunehmen, daß Monogamie eine »pathologische kulturelle Prägung« sei, die wahre Natur aber ganz anders aussehe, geht argumentativ und ethisch irre. Argumentativ, weil die Autoren Naturalismus und Konstruktivismus ganz nach Gutdünken verwenden. Die »evolutionäre« Natur der Spezies Mensch ist offenbar objektives Fundament seines Liebeslebens. Keine Konstruktion weit und breit zu erkennen. Dabei ist es eine ganz steile These, nur die polygam-polymorph-pervers interpretierten Bonobos als ethologisch artverwandt dem Menschen als Vorväter bzw. ‑mütter anheimzugeben. Diese anthropologische Basis ist kein Konstrukt, während die eheliche Monogamie und klare Geschlechterdistinktion eine »kulturelle Prägung, so tief, daß sich unsere Einstellung normal anfühlt« wären.
Ethisch irren die volksaufklärerischen Polyamoristen aus einem anderen Grund.
Entstrukturierung erzeugt nicht die gewünschte Freiheit, sondern eine Unfreiheit, die mehr Züge eines Horrorszenarios trägt als eines Paradieses. Eine derart von »verkrusteten Strukturen« befreite Welt der Sexualität (pars pro toto) ist auch von jeglicher Hierarchie, jeglicher Ungleichheit, jeglicher Scheu und jeglichem Risiko befreit – und damit vom Sinn, überhaupt Sex zu haben und sich fortzupflanzen und als Gesellschaft fortzubestehen. Was bleibt, schildert Donovan als Zukunft »des Eine-Welt-Gouvernantenstaates, der uns von der Wiege bis zum Grab bemuttert, der globalen Zivilisation der Manager und Angestellten, der oberflächlichen Konsumentenidentäten, der Gesellschaft der masturbierenden Bonobos«.
Sex. Die wahre Geschichte weiß nicht, was sie anrichtet. Können allein die Männer noch sich der Verführung einer feministischen Bonobosexualität entschlagen und ihren Weg beschreiten? Ich bin gespannt, und Spannung ist die entscheidende Ingredienz des menschlichen Liebeslebens.
Cacilda Jethás und Christopher Ryans: Sex. Die wahre Geschichte kann man hier bestellen .