Cacilda Jethá/Christopher Ryan: Sex. Die wahre Geschichte

Cacilda Jethá/Christopher Ryan: Sex. Die wahre Geschichte, Stuttgart: Klett-Cotta 2016. 430 S., 24.95 €

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Gen­der main­strea­ming tut hero­isch so, als wäre es ein Kampf, dabei ist es längst Main­stream. Die gro­ße libe­ra­le »Ent­struk­tu­rie­rung« (Man­fred Klei­ne-Hart­la­ge) weiß nicht, daß sie inzwi­schen kon­sen­su­al ope­riert, und stellt immer noch jeden klei­nen Angriff gegen »ver­krus­te­te Struk­tu­ren« und »tra­di­tio­nel­les Ver­ständ­nis von xy« als gro­ße Tat dar.

»Der­zeit befin­den wir uns im Krieg gegen unse­re ero­ti­schen Sehn­süch­te, die Kon­ven­ti­on der mono­ga­men Bis-daß-der-Tod-Euch-schei­det-Ehe dich­tet Män­nern und Frau­en eine fal­sche Iden­ti­tät an. Viel­mehr ist Homo sapi­ens eine Spe­zi­es mit einer gro­ßen Schwä­che für Sex. Der hat bei den Bono­bos eine regu­lie­ren­de Funk­ti­on – indem es die Men­schen­af­fen mit jedem trei­ben, kal­mie­ren sie und leben ent­spannt dahin. Wie bei unse­ren Ur-ur-ur-Ahnen, für die unge­zwun­ge­ne Sexua­li­tät einst die Norm war.«

Das ent­spann­te Dahin­le­ben in poly­ga­mer Sexua­li­tät erscheint Cacil­da Jet­há und Chris­to­pher Ryan, den Autoren des Buches Sex. Die wah­re Geschich­te, als emp­feh­lens­wer­te Kur für die in ihren Augen im Wes­ten vor­herr­schen­de tra­di­tio­nell mono­ga­me, roman­ti­sche Ehe­vor­stel­lung. Die­se sei »eine patho­lo­gi­sche Hal­tung, die uns kon­trol­liert, statt uns zu ermög­li­chen, daß wir unser Leben genie­ßen«. Das klingt verführerisch.

»Aber wenn das alles ist, wenn sich dein Leben nur ums ›Spaß­ha­ben‹ dreht, genügt dir das? Ist die­ses zivi­li­sa­to­ri­sche Niveau – all die­ser Frie­de, all die­ser Über­fluß – sei­nen Preis wert? […] Wie lan­ge wer­den Män­ner die­sen Zustand rela­ti­ver Uneh­ren­haf­tig­keit ertra­gen, wis­send, daß ihre Vor­fah­ren stär­ke­re Män­ner, här­te­re Män­ner, muti­ge­re Män­ner waren? […] Wir wis­sen, was der Weg der Män­ner ein­mal war. Ist der Weg des Bono­bos alles, was uns geblie­ben ist?« Dann klingt das nicht mehr verführerisch.

Jack Dono­vans Der Weg der Män­ner (Schnell­ro­da 2016), aus dem das letz­te Zitat stammt, geht den ent­schei­den­den Schritt wei­ter als Jethá/Ryan. Einer kapi­ta­lis­tisch-tech­no­kra­ti­schen Gesell­schaft den evo­lu­tio­nä­ren Aus­weg ins poly­ga­me Fick-Nir­va­na zu wei­sen, und dabei anzu­neh­men, daß Mono­ga­mie eine »patho­lo­gi­sche kul­tu­rel­le Prä­gung« sei, die wah­re Natur aber ganz anders aus­se­he, geht argu­men­ta­tiv und ethisch irre. Argu­men­ta­tiv, weil die Autoren Natu­ra­lis­mus und Kon­struk­ti­vis­mus ganz nach Gut­dün­ken ver­wen­den. Die »evo­lu­tio­nä­re« Natur der Spe­zi­es Mensch ist offen­bar objek­ti­ves Fun­da­ment sei­nes Lie­bes­le­bens. Kei­ne Kon­struk­ti­on weit und breit zu erken­nen. Dabei ist es eine ganz stei­le The­se, nur die poly­gam-poly­morph-per­vers inter­pre­tier­ten Bono­bos als etho­lo­gisch art­ver­wandt dem Men­schen als Vor­vä­ter bzw. ‑müt­ter anheim­zu­ge­ben. Die­se anthro­po­lo­gi­sche Basis ist kein Kon­strukt, wäh­rend die ehe­li­che Mono­ga­mie und kla­re Geschlech­ter­distink­ti­on eine »kul­tu­rel­le Prä­gung, so tief, daß sich unse­re Ein­stel­lung nor­mal anfühlt« wären.

Ethisch irren die volks­auf­klä­re­ri­schen Poly­amo­ris­ten aus einem ande­ren Grund.

Ent­struk­tu­rie­rung erzeugt nicht die gewünsch­te Frei­heit, son­dern eine Unfrei­heit, die mehr Züge eines Hor­ror­sze­na­ri­os trägt als eines Para­die­ses. Eine der­art von »ver­krus­te­ten Struk­tu­ren« befrei­te Welt der Sexua­li­tät (pars pro toto) ist auch von jeg­li­cher Hier­ar­chie, jeg­li­cher Ungleich­heit, jeg­li­cher Scheu und jeg­li­chem Risi­ko befreit – und damit vom Sinn, über­haupt Sex zu haben und sich fort­zu­pflan­zen und als Gesell­schaft fort­zu­be­stehen. Was bleibt, schil­dert Dono­van als Zukunft »des Eine-Welt-Gou­ver­nan­ten­staa­tes, der uns von der Wie­ge bis zum Grab bemut­tert, der glo­ba­len Zivi­li­sa­ti­on der Mana­ger und Ange­stell­ten, der ober­fläch­li­chen Kon­su­men­ten­iden­tä­ten, der Gesell­schaft der mas­tur­bie­ren­den Bonobos«.

Sex. Die wah­re Geschich­te weiß nicht, was sie anrich­tet. Kön­nen allein die Män­ner noch sich der Ver­füh­rung einer femi­nis­ti­schen Bono­bo­se­xua­li­tät ent­schla­gen und ihren Weg beschrei­ten? Ich bin gespannt, und Span­nung ist die ent­schei­den­de Ingre­di­enz des mensch­li­chen Liebeslebens.

Cacil­da Jet­hás und Chris­to­pher Ryans: Sex. Die wah­re Geschich­te kann man hier bestel­len .

 

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

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