Gerrit Dworok: »Historikerstreit« und Nationswerdung

Eine Rezension von Felix Dirsch

Ger­rit Dwor­ok: »His­to­ri­ker­streit« und Nati­ons­wer­dung, Köln: Böhlau 2015. 512 S., 50 €

Der His­to­ri­ker­streit von 1986 bis 1988 war die wich­tigs­te geschichts­po­li­ti­sche Debat­te der alten Bun­des­re­pu­blik. Fol­ge­rich­tig ist die Lite­ra­tur über die­ses Ereig­nis sehr umfang­reich. Drei­ßig Jah­re nach ihrem Beginn (und übri­gens ein Jahr vor dem Tod ihres Prota-gonis­ten Ernst Nol­te) bedarf es einer Ein­ord­nung die­ser Aus­ein­an­der­set­zung in das Kon­ti­nu­um der bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Geschich­te vor und nach der Wen­de. Dwor­ok nimmt sich die­ser Auf­ga­be an und bemüht sich in sei­ner Dis­ser­ta­ti­on um einen neu­tral-aus­glei­chen­den Stand­punkt. Sein roter Faden ist die Nach­zeich­nung der viel­fäl­ti­gen Dis­kus­sio­nen über Nati­on, natio­na­le Ein­heit, kol­lek­ti­ve Iden­ti­tät und den Ort der deut­schen Geschich­te – alle­samt The­men, die von der Früh­zeit der Bun­des­re­pu­blik an die Gemü­ter erhitz­ten und sich im His­to­ri­ker­streit wie in einem Brenn­spie­gel bündelten.

Vor die­sem Hin­ter­grund arbei­tet der His­to­ri­ker her­aus, daß es unter­kom­plex sei, in der Kon­tro­ver­se ledig­lich zwi­schen einer revi­sio­nis­tisch-apo­lo­ge­ti­schen sowie kon­ser­va­ti­ven Rich­tung einer­seits und einer pro­gres­siv-natio­nal­kri­ti­schen ande­rer­seits zu dif­fe­ren­zie­ren. Um zu einem sol­chen Urteil zu gelan­gen, muß er die Erin­ne­rungs­ge­schich­te West­deutsch­lands, vor allem die Auf­ar­bei­tung von NS-Unrecht, vor 1985 in fun­dier­ten Zügen auf­zei­gen. Eben­so wird der media­le Rück­blick auf den Natio­nal­so­zia­lis­mus im Zeit­raum von 1945 bis 1985 unter­sucht. Gleich­falls fehlt die Skiz­zie­rung des Gegen­sat­zes von Tota­li­ta­ris­mus- und Faschis­mus­theo­rie nicht, eben­so­we­nig die »leb­haf­te Kampf­si­tua­ti­on« von Libe­ral­kon­ser­va­ti­ven und Linksliberalen.

Die in toto klug urtei­len­de Abhand­lung kann bele­gen, daß sich die ver­schie­de­nen The­men des »Hys­te­ri­ker­streits« (Imma­nu­el Geiss) naht­los an frü­he­re Kon­tro­ver­sen ange­schlos­sen haben. Der Kern­the­se der ver­dienst­vol­len Dar­stel­lung, daß der His­to­ri­ker­streit als eine wich­ti­ge Etap­pe auf dem Weg zur Nati­ons­wer­dung gewer­tet wer­den müs­se, ist jedoch mit Skep­sis zu begeg­nen. Der brei­te Erfolg der Haber­ma­sia­ner in dem Dis­put, denen es alle­samt um die Befrei­ung von der eige­nen Iden­ti­tät ging, mach­te im Gegen­teil vor­nehm­lich eines deut­lich: Deutsch­land war für eine etwa­ige Wie­der­her­stel­lung des Natio­nal­staa­tes nicht gerüs­tet. Mei­nungs­do­mi­nan­te poli­ti­sche und media­le Eli­ten, um 1990 nur kurz­zei­tig in die Defen­si­ve gera­ten, heg­ten in den 1990er Jah­ren begrün­de­te Hoff­nun­gen, ihre Kri­se doch noch in einen Sieg umzu­mün­zen: Das neue Deutsch­land wer­de mög­lichst bald nach außen in einem grö­ße­ren Euro­pa sei­ne Wirk­mäch­tig­keit ein­bü­ßen, nach innen durch eine zuneh­mend mul­ti­kul­tu­rel­le­re Gesell­schaft sein Gesicht maß­geb­lich ver­än­dern. Bei­de Annah­men waren nicht zu weit hergeholt!

Ger­rit Dwor­oks »His­to­ri­ker­streit« und Nati­ons­wer­dung kann man hier bestel­len.

 

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