Martin Mosebach: Mogador, Roman

Martin Mosebach: Mogador, Roman, Reinbek: Rowohlt 2016. 368 S., 22.95 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Mar­tin Mose­bachs neu­en Roman Moga­dor zu loben, ist wie Eulen nach Athen tra­gen. Dies ist sicher, aber wer sprach je vom Gewicht der Eulen? So ein Uhu kann eini­ge Pfund wie­gen. Ein Bro­cken, und doch: eine fal­sche Bewe­gung und er streicht ab, er ist ja nicht ange­wie­sen auf’s Getragenwerden.

Bereits in der Ver­öf­fent­li­chungs­wo­che von Moga­dor zeig­te mir mein Goog­le-alert ein Dut­zend best­pla­zier­ter Bespre­chun­gen an. Ich wuß­te stets vor der Rezen­sio­nen­lek­tü­re, wel­ches Organ wie urteilt. Die Rezep­ti­on die­ses Marok­ko-Romans gestal­tet sich ins­ge­samt wie seit Jah­ren, fast Jahr­zehn­ten üblich.

Das Feuil­le­ton, inklu­si­ve der lin­ken und links­li­be­ra­len Groß­kri­ti­ker, lobt über­schweng­lich: Groß! Fein­sin­nig! »Bewun­derns­wer­te Beobachtungsgabe«!»Sprachliche Plas­ti­zi­tät«! Was soll man sagen: Hier ist es mal Wahr­heits­pres­se. Ein paar lin­ke Sub­al­ter­ne (Stan­dard, Spie­gel: No-name-Autoren) fah­ren frei­lich res­sen­ti­ment­ge­la­den dazwi­schen: Alt­her­ren-Ero­tik! Reaktionär!

Die Rezep­ti­on Mose­bachs gleicht eben einer Gret­chen­fra­ge – bereits avant la lec­tu­re! Der fast ein­hel­li­ge Applaus ist des­halb beacht­lich, weil der Roman­cier und Büch­nerpreis­trä­ger nicht nur als »reak­tio­när« gilt, son­dern sich sto­isch selbst so ver­or­tet. Und den­noch ist ein Poet sei­nes For­mats Teil des Estab­lish­ments und Kulturbetriebs.

Wie das geht? An Mose­bachs lite­ra­ri­scher wie intel­lek­tu­el­ler Grö­ße kann man im Grun­de nicht vor­bei. Neben dem »rein per­sön­li­chen Geschmack« gibt es doch ein paar objek­ti­vier­ba­re Kri­te­ri­en, wenn wir uns jen­seits der Bahn­hofs­li­te­ra­tur bewegen.»Umstritten« und zugleich anschluß­fä­hig zu sein, ein Kunst­stück ers­ter Güte! Dar­um, und dies wäre nun eine Milieuschel­te, ist dies bedeut­sam. Es sagt mir einer, und noch einer: »Mein Ver­dacht ist der: Die gan­zen Kon­ser­va­ti­ven, die auf Mose­bach abfah­ren, tun das nur des­halb: Weil er kon­ser­va­tiv ist. Ich mein’, das Zeug ist doch irrele­vant. Ich nicke ein auf Sei­te 50, fra­ge mich bei Sei­te 100: Wo ist der aktu­el­le Bezug? Zu unse­ren Pro­ble­men? Und dann ver­kauf ich es bei ebay.«

Mein Ver­dacht ist der: Die gan­zen Kon­ser­va­ti­ven sind in der Mas­se Ali­te­ra­ten. Klar, sie lesen. Sach­bü­cher mit »Bezug zu Pro­ble­men unse­rer Zeit«. Es ist die Suche nach dem klas­si­schen wie simp­len Reiz-Reak­ti­ons-Mecha­nis­mus, der beim pro­gram­ma­ti­schen Her­mann Hes­se noch funk­tio­nier­te, bereits beim zeit­gleich wir­ken­den Tho­mas Mann aber nicht.

Autoren wie Mose­bach sind Schrift­stel­ler sui gene­ris, es geht nicht um »Bot­schaf­ten«. Bot­schaf­ten sind Fein­de der Lite­ra­tur. Das müß­te man ein­mal begrei­fen, von innen her! Mose­bachs Roma­ne sind kei­ne Welt­erklä­rungs­stü­cke, das wäre unter Niveau.

Also: Wir haben hier Patrick Elff, einen äußerst typi­schen Mose­bach-Prot­ago­nis­ten. Frü­hes Mit­tel­al­ter, kin­der­los, eher blaß, mäßig ambi­tio­niert, mäßig begü­tert, dabei skru­pu­lös und gedan­ken­schwer. Hier: geis­tes­wis­sen­schaft­li­ches Stu­di­um, her­nach Kar­rie­re als Invest­ment­ban­ker, Liai­son mit Pilar, der habi­tu­ell spöt­teln­den Immo­bi­li­en­mak­le­rin aus gutem, mate­ri­ell bes­tens fun­dier­tem Hause.

Mose­bach ist ein Fein­zeich­ner sei­nes Per­so­nals. Man liest dies nicht plot­zen­triert, man liest und liebt es auf­grund der Men­schen­kennt­nis und des Weltwissens!

Patrick nun hat ein halb­sei­de­nes Geschäft für den glo­bal agie­ren­den Finanz­mo­gul Perei­ra abge­wi­ckelt. Perei­ra, der grei­se Welt­len­ker, resi­diert in Moga­dor, Marok­ko. Heu­te heißt die feucht­kal­te Stadt Essaoui­ra. Der Mogul hat Patrick ver­spro­chen – in einem geflos­kel­ten Halb­satz – daß er »einen Wunsch frei habe« bei ihm: »Über­le­gen Sie ihn gut!«

Unver­se­hens hat Patrick sol­che Wunsch­er­fül­lung nötig, zumal nach sei­nem eige­nen Emp­fin­den. Ein Bank­mit­ar­bei­ter hat sich ums Leben gebracht – und Patrick hat­te Kennt­nis von des­sen krum­men Tou­ren. Nach­dem er einer Vor­la­dung auf die Poli­zei­wa­che Fol­ge geleis­tet hat, nimmt er Reiß­aus: per Sprung aus dem Fens­ter, per Flug nach Marok­ko. Wird Perei­ra ihm – ein wie auch immer gear­te­tes – Asyl gewähren?

Patrick trifft zunächst auf Karim, einen freund­li­chen Tunicht­gut und Nichts­nutz, der als Haus­halts­hel­fer der matri­ar­cha­li­schen Analpha­be­tin Khad­jia fun­giert. In deren Haus kommt er unter. Was für ein Haus! Zau­ber, Ero­tik und ein streng hier­ar­chi­sches Regle­ment gehen hier Hand in Hand.

Kha­di­ja ist – nie wür­de sie es so nen­nen! – sowohl Mana­ge­rin eines wun­der­tä­ti­gen Hei­lers als auch zahl­rei­cher Lie­bes­die­ne­rin­nen. Patrick, wie­wohl fein­ner­vig, hat­te bis­lang mit Zah­len zu tun, mit Ren­di­ten, Debi­to­ren und artis­ti­schen Spe­ku­la­tio­nen. Nun kommt das pure Leben auf ihn, den bele­se­nen Nar­ren. Es wird gestor­ben (wie so oft bei Mose­bach zählt auch eine bedeut­sa­me Kat­ze zu den Opfern) und gebo­ren (die Geburt eines Kal­bes vor den Augen des West­groß­städ­ters Patrick zählt zu den tolls­ten Sequen­zen) in die­sem ful­mi­nan­ten, bil­der­rei­chen, psy­cho­lo­gisch aus­ge­klü­gel­ten, all­seits opu­len­ten Roman, es gibt ech­te Magie und fau­le Tricks. Hier sind Sprach­kunst und Welthaltigkeit.

Was könn­te man sich mehr wün­schen zur Lesefreude?

Mer­lin Mose­bachs Moga­dor kann man hier bestel­len.

 

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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