Martin Mosebachs neuen Roman Mogador zu loben, ist wie Eulen nach Athen tragen. Dies ist sicher, aber wer sprach je vom Gewicht der Eulen? So ein Uhu kann einige Pfund wiegen. Ein Brocken, und doch: eine falsche Bewegung und er streicht ab, er ist ja nicht angewiesen auf’s Getragenwerden.
Bereits in der Veröffentlichungswoche von Mogador zeigte mir mein Google-alert ein Dutzend bestplazierter Besprechungen an. Ich wußte stets vor der Rezensionenlektüre, welches Organ wie urteilt. Die Rezeption dieses Marokko-Romans gestaltet sich insgesamt wie seit Jahren, fast Jahrzehnten üblich.
Das Feuilleton, inklusive der linken und linksliberalen Großkritiker, lobt überschwenglich: Groß! Feinsinnig! »Bewundernswerte Beobachtungsgabe«!»Sprachliche Plastizität«! Was soll man sagen: Hier ist es mal Wahrheitspresse. Ein paar linke Subalterne (Standard, Spiegel: No-name-Autoren) fahren freilich ressentimentgeladen dazwischen: Altherren-Erotik! Reaktionär!
Die Rezeption Mosebachs gleicht eben einer Gretchenfrage – bereits avant la lecture! Der fast einhellige Applaus ist deshalb beachtlich, weil der Romancier und Büchnerpreisträger nicht nur als »reaktionär« gilt, sondern sich stoisch selbst so verortet. Und dennoch ist ein Poet seines Formats Teil des Establishments und Kulturbetriebs.
Wie das geht? An Mosebachs literarischer wie intellektueller Größe kann man im Grunde nicht vorbei. Neben dem »rein persönlichen Geschmack« gibt es doch ein paar objektivierbare Kriterien, wenn wir uns jenseits der Bahnhofsliteratur bewegen.»Umstritten« und zugleich anschlußfähig zu sein, ein Kunststück erster Güte! Darum, und dies wäre nun eine Milieuschelte, ist dies bedeutsam. Es sagt mir einer, und noch einer: »Mein Verdacht ist der: Die ganzen Konservativen, die auf Mosebach abfahren, tun das nur deshalb: Weil er konservativ ist. Ich mein’, das Zeug ist doch irrelevant. Ich nicke ein auf Seite 50, frage mich bei Seite 100: Wo ist der aktuelle Bezug? Zu unseren Problemen? Und dann verkauf ich es bei ebay.«
Mein Verdacht ist der: Die ganzen Konservativen sind in der Masse Aliteraten. Klar, sie lesen. Sachbücher mit »Bezug zu Problemen unserer Zeit«. Es ist die Suche nach dem klassischen wie simplen Reiz-Reaktions-Mechanismus, der beim programmatischen Hermann Hesse noch funktionierte, bereits beim zeitgleich wirkenden Thomas Mann aber nicht.
Autoren wie Mosebach sind Schriftsteller sui generis, es geht nicht um »Botschaften«. Botschaften sind Feinde der Literatur. Das müßte man einmal begreifen, von innen her! Mosebachs Romane sind keine Welterklärungsstücke, das wäre unter Niveau.
Also: Wir haben hier Patrick Elff, einen äußerst typischen Mosebach-Protagonisten. Frühes Mittelalter, kinderlos, eher blaß, mäßig ambitioniert, mäßig begütert, dabei skrupulös und gedankenschwer. Hier: geisteswissenschaftliches Studium, hernach Karriere als Investmentbanker, Liaison mit Pilar, der habituell spöttelnden Immobilienmaklerin aus gutem, materiell bestens fundiertem Hause.
Mosebach ist ein Feinzeichner seines Personals. Man liest dies nicht plotzentriert, man liest und liebt es aufgrund der Menschenkenntnis und des Weltwissens!
Patrick nun hat ein halbseidenes Geschäft für den global agierenden Finanzmogul Pereira abgewickelt. Pereira, der greise Weltlenker, residiert in Mogador, Marokko. Heute heißt die feuchtkalte Stadt Essaouira. Der Mogul hat Patrick versprochen – in einem gefloskelten Halbsatz – daß er »einen Wunsch frei habe« bei ihm: »Überlegen Sie ihn gut!«
Unversehens hat Patrick solche Wunscherfüllung nötig, zumal nach seinem eigenen Empfinden. Ein Bankmitarbeiter hat sich ums Leben gebracht – und Patrick hatte Kenntnis von dessen krummen Touren. Nachdem er einer Vorladung auf die Polizeiwache Folge geleistet hat, nimmt er Reißaus: per Sprung aus dem Fenster, per Flug nach Marokko. Wird Pereira ihm – ein wie auch immer geartetes – Asyl gewähren?
Patrick trifft zunächst auf Karim, einen freundlichen Tunichtgut und Nichtsnutz, der als Haushaltshelfer der matriarchalischen Analphabetin Khadjia fungiert. In deren Haus kommt er unter. Was für ein Haus! Zauber, Erotik und ein streng hierarchisches Reglement gehen hier Hand in Hand.
Khadija ist – nie würde sie es so nennen! – sowohl Managerin eines wundertätigen Heilers als auch zahlreicher Liebesdienerinnen. Patrick, wiewohl feinnervig, hatte bislang mit Zahlen zu tun, mit Renditen, Debitoren und artistischen Spekulationen. Nun kommt das pure Leben auf ihn, den belesenen Narren. Es wird gestorben (wie so oft bei Mosebach zählt auch eine bedeutsame Katze zu den Opfern) und geboren (die Geburt eines Kalbes vor den Augen des Westgroßstädters Patrick zählt zu den tollsten Sequenzen) in diesem fulminanten, bilderreichen, psychologisch ausgeklügelten, allseits opulenten Roman, es gibt echte Magie und faule Tricks. Hier sind Sprachkunst und Welthaltigkeit.
Was könnte man sich mehr wünschen zur Lesefreude?
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