»Übrigens müssen Sie wissen«, schrieb Rainer Maria Rilke 1912 aus Spanien, »ich bin seit Córdoba von einer beinahe rabiaten Antichristlichkeit, ich lese den Koran, er nimmt mir, stellenweise, eine Stimme an, in der ich so mit aller Kraft drinnen bin wie der Wind in der Orgel.« Ach, Rilke. Sein maurophiles Schwärmertum ist heute allerdings Allgemeingut. Wer argumentierend nach den Segnungen des Islam sucht, findet allemal dies: al-Andalus, die fast acht Jahrhunderte währende Epoche vermeintlich »christlich-jüdisch-islamischer Harmonie« auf der iberischen Halbinsel. Kein Reiseführer kommt ohne solche Verklärung aus.
Eugen Sorg, preisgekrönter Journalist und Reporter, bringt ein wenig Ordnung ins legendäre Zauberreich des friedlichen Miteinanders. Der Traum vom Glanz des maurischen Spaniens gilt Sorg als einer der »Lieblingsmythen der gebildeten Stände des Westens«. Sorg beschreibt die gegen die »christlichen Barbaren« gerichteten Raubzüge arabischer und später nordafrikanischer Truppen und Banden; wie sie 997 die heilige Pilgerstadt Santiago de Compostela dem Erdboden gleichmachten, die Überlebenden versklavten und die Kirchenglocken zu Lampen für die Moschee in Córdoba umschmolzen. Hundert Jahre später sorgte ein theologisches und politisches Regelwerk für eine fortdauernde Deklassierung der im muslimischen Spanien lebenden Juden und Christen.
Sorgs Aufsatz über »das Land, wo Blut und Honig floß« zählt zu den Glanzpunkten des von den beiden Theologen Udo Hildenbrand und Reinhard Wenner sowie dem Philosophen Friedrich Rau herausgegebenen Mammutwerks. Er umfaßt 13 Seiten, also anderthalb Prozent dieses buchgewordenen Ziegelsteins. Wer soll das alles lesen, und vor allem: wie? Es wurde hier ein »Findex« geschaffen mit etwa 120 fettgedruckten Lemmata, beispielsweise »Frau«, Christen«, »Beleidigung«. Je darunter finden sich enger gefaßte Stichwörter wie (am Beispiel »Frau«) »Verbot, Gräber zu besuchen«, »Geschlechtsverkehr mit Nichtmuslimin bei Feldzug erlaubt«, »Mangel an Intelligenz«.
Das ist fleißig und gutgemeint, aber unpraktikabel – eine Einschätzung, die auf das gesamte Projekt zutrifft. Hier wurden reichlich »Beiträge« (Teil I) und »Dokumente« (Teil II, Koranverse, Hadithe, Fatwas) zusammengestellt und mit größergedruckten thematisch irgendwie passenden Zitaten (von Hans Küng bis Karl Popper) abgemischt; es gibt innerhalb der Aufsätze zahlreiche Untergliederungen von A bis H, von 1. bis 9., von (1) bis (10), von I bis VII; viele Erkenntnisse werden doppelt und mehrfach aufgetischt. Es ist unterm Strich eine gigantische, heillos unübersichtliche Schmökerkiste. Ein ordnender Redakteur hätte diesem an sich lobenswerten Projekt einen guten Dienst erwiesen. Wie schade, daß er fehlte!
Udo Hildenbrands Freiheit und Islam kann man hier bestellen.