Konrad Löw/Felix Dirsch: München war anders! Das NS-Dokumentationszentrum und die dort ausgeblendeten Dokumente. 

Eine Rezension von Maximilian Seidel

Kon­rad Löw/Felix Dirsch: Mün­chen war anders! Das NS-Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum und die dort aus­ge­blen­de­ten Doku­men­te. Mit einem Geleit­brief von Alfred Gros­ser, Rein­bek: Lau 2016. 192 S., 16.90 €

Die baye­ri­sche Lan­des­haupt­stadt ringt bis heu­te mit ihrer Ver­gan­gen­heit als »Haupt­stadt der Bewe­gung«. Die NSDAP nahm hier ihren Anfang und kon­stru­ier­te hier ihren Mythos nach dem Marsch auf die Feld­herrn­hal­le, der all­jähr­lich in Anwe­sen­heit Hit­lers durch Abschrei­ten der Ehren­tem­pel am Ran­de des Königs­plat­zes beschwo­ren wur­de. War Mün­chen des­halb eine »brau­ne Stadt«, stan­den ihre Bür­ger in der Mehr­heit hin­ter der NS-Bewe­gung? Gab es weni­ge Geg­ner, dafür um so mehr Mit­läu­fer und Mittäter?

Kon­rad Löw, der vie­les zum The­ma Ver­hal­ten der Deut­schen unter der brau­nen Dik­ta­tur ver­öf­fent­licht hat und dem Wolf­gang Benz, lang­jäh­ri­ger Direk­tor des Zen­trums für Anti­se­mi­tis­mus­for­schung in Ber­lin, vor­warf, er »klau­be Zita­te will­kür­lich zusam­men«, ist der Ansicht: Mün­chen war anders! Objekt sei­ner Kri­tik ist das NS-Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum, das am 30. April 2015 dort am Königs­platz eröff­net wur­de, wo das »Brau­ne Haus«, die NS-Par­tei­zen­tra­le, stand. Dem Zen­trum man­gelt es nach Mei­nung Löws und sei­nes Mit­au­tors Felix Dirsch an Objek­ti­vi­tät in der Fra­ge, wie braun Mün­chen tat­säch­lich war. Die Aus­stel­lung igno­rie­re die wich­tigs­ten Zeu­gen, das ande­re Mün­chen, das posi­tiv über die Münch­ner unter der Dik­ta­tur urteil­te, kom­me kaum zu Wort.

Die­se The­se Löws ist nicht neu. Was er in Ade­nau­er hat­te recht (2014), »Das Volk ist ein Trost«. Deut­sche und Juden 1933–1945 im Urteil jüdi­scher Zeit­zeu­gen (2006) und sechs wei­te­ren Büchern kri­ti­siert hat­te, daß Geschichts­wis­sen­schaft zu Geschichts­po­li­tik gewor­den sei, daß man das poli­tisch gewollt nega­ti­ve Bild der Deut­schen unter der NS-Dik­ta­tur för­de­re, indem Ent­las­ten­des aus­ge­blen­det blei­be, über­trägt Löw nun auf Mün­chen und das Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum. Der gro­ße deutsch-fran­zö­si­sche Poli­to­lo­ge Alfred Gros­ser nann­te schon Löws Buch Deut­sche Schuld über die »igno­rier­ten Ant­wor­ten der Zeit­zeu­gen« »mutig« und»nützlich«, weil es den unbe­kann­ten nicht­jü­di­schen Hel­fern eine Stim­me gebe. Gros­ser erwähnt in sei­nem Geleit­brief an Löw die muti­gen anti­na­zis­ti­schen Pre­dig­ten Kar­di­nal Faul­ha­bers, der in der Aus­stel­lung des Zen­trums aber die Natio­nal­so­zia­lis­ten und ihre Poli­tik zu seg­nen scheint. Er kri­ti­siert, daß ein Weih­bi­schof Neu­häus­ler, der vier Jah­re im KZ Dach­au gelit­ten hat, min­des­tens als Mit­läu­fer erscheint. Die weit­aus meis­ten der gemischt »jüdisch-ari­schen« Ehen hät­ten in Mün­chen dem Druck zur Schei­dung wider­stan­den, was bele­ge, so Gros­ser, daß Mün­chen nicht der­art anti­se­mi­tisch gewe­sen sein konnte.

Exi­lier­te Sozi­al­de­mo­kra­ten schrie­ben 1937 aus Prag, Mün­chen sei kei­ne natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Stadt. Löw und Dirsch füh­ren eine statt­li­che Zahl von Aus­sa­gen jüdi­scher und nicht­jü­di­scher Münch­ner an, die das bezeu­gen sol­len: Pro­mi­nen­te wie Char­lot­te Knob­loch, Vic­tor Klem­pe­rer, Karl Löwi­th, Hans Habe, Kon­rad Hei­den und unbe­kann­te Zeit­zeu­gen. Auch sei die The­se, Mün­chen hät­te sich nach dem Krieg nicht den Ver­bre­chen der NS-Dik­ta­tur gestellt, falsch, denn Neu­häus­ler errich­te­te am Rand des ehe­ma­li­gen KZ Dach­au ein Süh­ne­klos­ter. Wie gewal­tig etwa der Wider­stand gegen eine KZ-Gedenk­stät­te war, wird dage­gen nicht erwähnt. Die Bei­spie­le gro­ßer Mensch­lich­keit in dunk­ler Zeit gehö­ren neben die mensch­li­chen Abgrün­de in eine aus­ge­wo­ge­ne Aus­stel­lung. Hier haben Löw und Dirsch sicher recht.

Ein pau­schal posi­ti­ves Urteil, wie es Löw unter­stellt, ist trotz der flei­ßig zusam­men­ge­tra­ge­nen Zita­te zwei­fel­haft, wie auch Gros­ser in sei­nem Geleit­brief schreibt: »War­um ist das alles nicht in der Aus­stel­lung vor­han­den? Vor allem, weil man so ger­ne ›Die‹ sagt. ›Die Juden, die Mos­lems, die Münch­ner‹.« Gros­ser miß­bil­lig­te bereits in sei­ner Bun­des­tags­re­de zu hun­dert Jah­ren 1914 die Ver­all­ge­mei­ne­rung »die Deut­schen«. Eben­so habe es Mün­chen, so Gros­ser, »als nur von Mit­läu­fern bevöl­ker­te Stadt nie gegeben«.

Mün­chen war anders von Felix Dirsch und Kon­rad Löw kann man hier bestel­len.

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