Jochen Metzger: Und doch ist es Heimat.

Jochen Metzger: Und doch ist es Heimat. Roman, Reinbek: Kindler 2016. 368 S., 19.95 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Jochen Metz­ger schil­dert in sei­nem Roman­de­büt Und doch ist es Hei­mat die Gescheh­nis­se der letz­ten Kriegs­ta­ge und der Fol­ge­mo­na­te im badi­schen Dorf Sand­heim. Der gera­de­zu mit­tel­al­ter­lich pro­vin­zi­ell anmu­ten­de Ort ist in die Hän­de der Fran­zo­sen gefallen.

In 58 Kapi­teln wer­den unter­schied­li­che – stets aukt­oria­le – Per­spek­ti­ven ein­ge­nom­men: Mal die der from­men Marie, dann die ihrer andro­gy­nen, in jeder Hin­sicht hemds­är­me­li­gen Schwes­ter Lie­se, mal die von Hans, dem unge­schick­ten Latei­ner, der Leh­rer wer­den will, und die von Her­mann, der eigent­lich noch ein Kna­be ist. Nun, was erzäh­len sie? Etwa, wie Her­mann, des­sen Onkel Schuh­ma­cher ist – und Leder ist knapp in die­ser Zeit –, sich näch­tens heim­lich auf den Acker begibt, wo die toten Sol­da­ten not­dürf­tig ver­scharrt sind und ihrer eigent­li­chen Beer­di­gung har­ren. An den her­aus­ra­gen­den Fuß­spit­zen sind die Stel­len zu erken­nen. Her­mann ent­le­digt die Toten ihrer Schu­he. »Blut und Lei­chen­was­ser sind Rich­tung Kopf gelau­fen statt in die Füße! Glück muß man haben!, denkt Her­mann. (…) In Her­mann regt sich etwas. Fin­der­stolz und Ern­te­stim­mung. (…) Sein Onkel wird stolz auf ihn sein. Und bald gibt’s für ein paar Leu­te in Sand­heim wie­der neue Schuhe.«

Von Ern­te­stim­mung kann hin­ge­gen für die Sand­hei­mer Frau­en kei­ne Rede sein. Die Mas­sen­ver­ge­wal­ti­gun­gen durch marok­ka­ni­sche Sol­da­ten in fran­zö­si­schem Dienst hat man »Maro­quina­den« genannt – ein, zumal lite­ra­risch, völ­lig unbe­leuch­te­tes Ter­rain. Metz­ger tut sein Bes­tes, um kei­ner Schwarz­ma­le­rei bezich­tigt wer­den zu kön­nen. Die Sicht von Ahmad, einem guten Nord­afri­ka­ner, wird nicht aus­ge­las­sen. Ahmad wird fal­len, kurz vor Sand­heim. Sei­ne Kampf­ge­fähr­ten neh­men den Ort ein, und zwar in mehr­fa­cher Hin­sicht. Sie pene­trie­ren einen Hort der Unschuld, auch Frau­en wie »die Marie« und»die Lie­se«, die bis­lang kei­nen Mann, geschwei­ge denn einen »schwar­zen«, »ganz« gese­hen haben. Sie tun es mit äußers­ter Bru­ta­li­tät, es sind Gang­bangs avant la lettre.

Glück­lich jene jun­gen Frau­en, denen man aus­ge­tüf­tel­te Ver­ste­cke ver­schaf­fen konn­te. Jene, in deren Häu­sern Offi­zie­re ein­quar­tiert waren. Und jene ganz jun­gen, die sich per Sche­re und Ver­klei­dung von Anto­nia zu Anton, von Han­na zu Han­nes ver­wan­deln konn­ten. Marie will her­nach tap­fer blei­ben, und wie tap­fer! Sie trägt nun Kopf­tuch und »die Sachen der ver­stor­be­nen Tan­te. Die Klei­der einer Toten«. Eine Zeit­lang hilft ihr der Glau­be; die Leu­te im pro­tes­tan­ti­schen Sand­heim sind sehr fromm. »Dafür hat der Herr sie [Marie] aus­er­wählt: die Last der ande­ren zu tra­gen.« Schwer bela­den ist der Wagen, der eines Tages Marie und ihre Schick­sals­ge­fähr­tin­nen ins Kran­ken­haus nach Bruch­sal fährt.

Hans hin­ge­gen ist gera­de aus Ruß­land zurück­ge­kehrt. Nun neh­men ihn die Fran­zo­sen mit. Man bedau­ert, nicht in die Fän­ge einer ande­ren Besat­zungs­macht gekom­men zu sein. Schwu­lauf­dring­li­che marok­ka­ni­sche Wär­ter und Sup­pe vol­ler Käfer und Maden – das gäbe es bei denen wohl nicht. Hans gelingt die Flucht nach Sand­heim, wo das Leben wei­ter­geht. Muß ja.

Sand­heim, das kommt im Buch nicht her­aus, ist in Wahr­heit der Ort Gra­ben-Neu­dorf nahe Bruch­sal. Der Autor hat in sei­nem Hei­mat­dorf, in dem er seit lan­gem nicht mehr lebt, recher­chiert: Was damals eigent­lich wirk­lich gesche­hen sei. In einem Inter­view sag­te Metz­ger, daß er der unge­schrie­be­nen Regel, daß man »dar­über nicht spre­che«, irgend­wann nicht mehr geglaubt habe. »Fast nie­mand hat mir einen Korb gege­ben, wenn ich ein Gespräch über die letz­ten Kriegs­ta­ge ange­fragt habe. Im Gegen­teil: Die meis­ten schie­nen froh zu sein, daß da end­lich mal einer war, der zuge­hört hat.« Metz­ger ist – zunächst im Gespräch mit einer Tan­te – das wider­fah­ren, was vie­le Nach­ge­bo­re­ne erle­ben: Fragt man gezielt, ja »direkt«, dann gibt es gar kein Schwei­ge­ge­bot. Scheint, als sei nur kei­ner dage­we­sen, der es wirk­lich wis­sen woll­te! Und in der dama­li­gen Zeit selbst wäre es hin­der­lich gewe­sen, die Ereig­nis­se erzäh­lend noch ein­mal durchzumachen.

Metz­ger (zuvor Text­chef bei diver­sen Frau­en­ma­ga­zi­nen) hat hier­mit einen inhalt­lich bewe­gen­den und the­ma­tisch wohl ein­zig­ar­ti­gen Roman vor­ge­legt. Damit nicht genug, das Buch glänzt auch durch sti­lis­ti­sche Bril­lanz. Wie nahe hät­te es gele­gen, sen­sa­tio­nis­tisch zu schrei­ben, kla­gend, bit­ter, ätzend. Metz­ger ent­geht die­ser Ver­su­chung, es ist ein kla­res, stil­les Buch, eine fei­ne, bild­rei­che Spra­che. Metz­gers Gerüst ist das Kon­kre­te. Die Kapi­tel­über­schrif­ten hei­ßen bei­spiels­wei­se »Das Damen­rad«, »Die Mähmaschine«,»Der Sup­pen­tel­ler«. Es sind All­tags­din­ge, die über­dau­ern, die schon »davor« da waren, in Sand­heim, und es auch nach­her noch sind. Den Über­schrif­ten ist je eine kur­ze Beschrei­bung bei­gefügt, etwa so: »Der Ern­te­sack. Die dunk­le Zahl 1832 steht auf sei­ner blas­sen Vor­der­sei­te, und jede Faser an ihm ist Hand­ar­beit. Sei­ne ers­ten Besit­zer haben den Flachs gebaut, sie haben ihn geern­tet und gerös­tet und gebro­chen und gebleicht (…) Ein Getrei­de­sack ist eine Inves­ti­ti­on. Der Vater hat ihn an sei­nen Sohn ver­erbt und der wie­der an den sei­nen. Noch in zwei­hun­dert Jah­ren kann man sein Korn dar­in sam­meln, wenn man wel­ches hat.«

Jochen Metz­gers Roman Und doch ist es Hei­mat kann man hier bestel­len.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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