Tillmann Bendikowski: Der deutsche Glaubenskrieg. Martin Luther, der Papst und die Folgen, München: C. Bertelsmann 2016. 379 S., 24.99 €
Pünktlich zum 500jährigen Jubiläum der Reformation 2017 erscheint das Buch des Journalisten und Historikers Tillmann Bendikowski. Umschlaggestaltung und Titel werden dem Inhalt allerdings nicht gerecht. Denn es geht dem Autor nicht um Geschichte im Sinne einer historischen Erinnerung, sondern er betrachtet das Geschehen der Reformation als Deutungsmuster für 500 Jahre deutsche Geschichte, die er als Geschichte eines permanenten Glaubenskrieges entfaltet und analysiert. Die Reformation hatte nicht zur großen Reform der einen gemeinsamen christlichen Kirche geführt, sondern zur Kirchenspaltung und damit auch ungewollt zu einer politischen Spaltung. Das Ringen der Konfessionen um den »wahren Glauben« an den »richtigen Gott« führte zu Religionskriegen und Religionsfrieden.
Aber auch, als mit dem Westfälischen Frieden die Teilung der Gläubigen zur Grundtatsache deutschen Lebens geworden war, fortan die Nationwerdung der konfessionellen Zerrissenheit übergeordnet wurde und es mit dem Zeitalter der Aufklärung zu neuen Leitideen hinsichtlich der Koexistenz verschiedener Konfessionen kam, waren die Glaubenskriege nicht beendet. Sie tauchten in neuem Gewand auf.
Mit der Säkularisierung verließen traditionelle kirchliche Erlösungs- und Wertvorstellungen den kirchlichen Rahmen und lebten in modifizierter Form in neuen Gruppen weiter. Bendikowski nennt diese neuen Bewegungen »Beglückungsgemeinschaften«. Dazu zählt er unter anderen lebensreformerische Gruppen, Anthroposophie, Nietzschekult, nationalistische und sozialistische Bewegungen. Die meisten dieser Beglückungsgemeinschaften sieht Bendikowski von der Sehnsucht getrieben, die »Vielzahl der Religionen« durch eine neue, möglichst einheitliche »Religiosität« zu ersetzen. Den Wunsch nach Überwindung weltanschaulicher Gegensätze sieht der Autor immer auch als »eine Erinnerungskonstruktion, die auf die Reformation und die jahrhundertealte deutsche Glaubensspaltung zurückverweist«. Gleichzeitig sollten die neuen Beglückungsansätze die alten Glaubenskämpfe vergessen machen. Einige machten sich deshalb die Forderung nach Toleranz und die Ablehnung dogmatischer Absolutheitsansprüche zu eigen – paradoxerweise oft selbst mit dem Anspruch auf den »wahren« Glauben.
Im 19. und 20. Jahrhundert erstreckte sich das religiöse Denken und Fühlen immer intensiver auf das politische Leben. Die Idee der Nation nahm heilsgeschichtliche Züge an, gleichzeitig etablierte sich der Sozialismus als weiteres politisches Glaubensangebot. Es folgten die Wege in den Nationalsozialismus und in den Kommunismus. »Jahrhunderte nach der Reformation waren Fragen der reinen Lehre und der absoluten Wahrheit wieder aktuell, die politischen Religionen führten den deutschen Glaubenskrieg auf ihrem Feld und unter neuen Vorzeichen fort.«
Die Nachkriegsgeschichte spaltete noch einmal das Land auch in religiöser Hinsicht. Es kam zum ersten atheistischen Staat auf deutschem Boden. Über 25 Jahre nach der Wende scheint die ersehnte Einheit der Deutschen entfernter denn je. Neue Anbieter treten auf dem religiösen Markt auf. Die christlichen Kirchen verlieren an Bedeutung, mehr als ein Drittel der Bevölkerung Deutschlands ist nicht mehr an die christlichen Konfessionen gebundenen.
Gleichzeitig macht der Islam seine Ansprüche mit Nachdruck geltend. Er tritt nicht auf wie eine fremde Religion, die nicht zu Deutschland gehört, sondern beansprucht, als »Konfession« mit den christlichen Bekenntnissen rechtlich gleichgestellt zu werden. Angesichts dieser Herausforderung nimmt die bereits aus der Aufklärung bekannte Idee der »Duldsamkeit in Religionsdingen« derweil Züge einer pseudoreligiösen Toleranzreligion an.
Die Frage nach dem Verhältnis von Politik und Religion ist wieder ein zentraler Gegenstand der öffentlichen Debatte. Abermals stellt sich die Frage nach einem übergeordneten Prinzip: Welches Wertesystem (»Leitkultur«) eint in Zukunft eine religiös und zunehmend politisch zerrissene Nation? Tillmann Bendikowsky bleibt skeptisch. Der letzte Satz seines Buches lautet: »Ist der Dämon des Glaubenskriegs wirklich tot? Womöglich schläft er nur.« Tillmann Bendikowski erzählt die historischen Ereignisse ab der Reformation spannend und detailreich und erklärt nebenbei kurz und verständlich theologische Fachbegriffe. Wer als »überforderter« Schüler 500 Jahre deutsche Religionsgeschichte auf den Punkt bringen muß, dem gelingt das mit dieser Schrift auf anregende Weise.
Was dieses Buch aber unbedingt lesenswert macht: Die Entfaltung der Reformation als Erinnerungskonstruktion verlebendigt eine erstarrte deutsche Geschichte. Wenn vergangene Ereignisse überzeugende Erklärungsmuster für gegenwärtige Ereignisse liefern (und das Buch erstaunt mit verblüffenden Parallelen und Ähnlichkeiten zu heutigen religionspolitischen und weltanschaulichen Fragen), dann erhält der Satz von Wilhelm von Humboldt recht eigentlich seine Bedeutung: »Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft«.
Der deutsche Glaubenskrieg von Tillmann Bendikowski kann man hier bestellen.