Daß es den Völkern dieser Erde besser gehen würde, würfe man über Nacht alle Grenzen über Bord, ist eine »dumme Idee«. Das schreibt Régis Debray im vorliegenden Bändchen, dessen französische Originalfassung bereits sechs Jahre vor dem aktuell grassierenden »Refugees-Welcome«-Wahn entstand. Der unkonventionelle linke Philosoph, einst Berater von François Mitterand, hat recht mit dieser Feststellung. Man sollte ergänzen, daß die Idee nicht nur ausgesprochen naiv ist, sondern zugleich auch ausgesprochen westeuropäisch. Denn außerhalb unseres Halbkontinents ist der »Ohne-Grenzismus« (Debray) kaum verbreitet. Wieso auch? Diese Ideologie verwirft die Existenzen autonom handelnder Staaten und Nationen als solche, denn es negiert die Realität gewachsener Strukturen, leugnet die Existenz von »Innen« und »Außen«, imaginiert eine Borderless world.
Debray zeigt, daß diese Vorstellung einer grenzenlosen Welt messianischen Charakter trägt: Nationale, kulturelle und normativ gesetzte Grenzen sollen gesprengt werden, um die finale»Vermählung mit dem global market-place« zu vollziehen. Er schildert den »Ohne-Grenzismus« daher als ökonomistisch, absolutistisch und imperialistisch, als ein humanitär verkleidetes Täuschungsmanöver; die historischen Grenzen hingegen als kulturschaffend, wertefördernd und als »Gegengift gegen die Gleichgültigkeit«, als »Schutz des Lebendigen«. Der kurze philosophische Streifzug durch die Geschichte der Bedeutung von Grenzen ist literarisch auf ansprechendem Niveau, in der Argumentation überzeugend und informativ. Indes: Er hält für den konservativen Leser keinerlei Neuigkeitswert parat. Das Buch erscheint daher folgerichtig in einem radikal linken Verlag. Denn seine Klientel dürfte Entsprechendes zum ersten Mal vernehmen und ob des Lobs der Grenze durchaus verblüfft zurückbleiben.
Régis Debrays Lob der Grenze kann man hier bestellen.