Der dialektische Herr Habermas (Fundstücke 4)

Auch ich möchte Jürgen Habermas zum Geburtstag gratulieren, und zwar mit einem Fundstück "aus dem Panzerschrank des Instituts für Sozialforschung", das Hans-Dietrich Sander von Jacob Taubes zugespielt kam.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Er ver­öf­fent­lich­te  fol­gen­de Aus­zü­ge eines Brie­fes von Max Hork­hei­mer an Theo­dor Ador­no in sei­nem Buch Die Auf­lö­sung aller Din­ge (1988). Mag sich Haber­mas spä­ter als legi­ti­mer Adept der Frank­fur­ter Schu­le insze­niert haben – Tat­sa­che ist, daß deren Prot­ago­nis­ten, denen er offen­bar gehö­rig auf den Nerv gegan­gen ist, die Sache eher gegen­tei­lig sahen.

Hork­hei­mer wun­der­te sich nach San­ders Refe­rat schon am 27. Sep­tem­ber 1958, wie dieser -

… begab­te, unab­läs­sig auf geis­ti­ge Über­le­gen­heit sich ver­wei­sen­de Mensch … bei uns sein kann, ohne im Gerings­ten sei­ne Erfah­rung über die gesell­schaft­li­che Wirk­lich­keit zu erwei­tern.” Hork­hei­mer wand­te gegen Haber­mas ein, daß der “dia­lek­ti­sche Herr H.” in sei­ner Inter­pre­ta­ti­on der Schrif­ten von Marx und Engels, einer “intel­li­gen­ten, sorg­fäl­tig dis­po­nier­ten und frei­lich eit­len Arbeit” mit “zu Cli­chees erstarr­ten Nor­men” vor­ging und von allem absah, “was ihr eigent­li­ches Leben aus­macht”. Er nann­te ihn schlicht “his­to­risch ahnungs­los” und warf ihm vor, von “kon­kre­ten Ana­ly­sen”, in denen eine mate­ria­lis­ti­sche Kri­tik an allen his­to­ri­schen Ver­hält­nis­sen ihre Kräf­te zu mes­sen hät­te, nur zu reden, aber außer Über­zeu­gun­gen, was ihr Resul­tat sein wer­de, nichts mitzuteilen.

Hork­hei­mer führ­te das auf Gebre­chen “an bon sens und an geis­ti­gem Takt” zurück, auf “Man­gel an gesell­schaft­li­chem Ver­ständ­nis” und  “Unfä­hig­keit zur Ver­söh­nung mit sich selbst”. Bei Haber­mas wim­me­le es von

Mah­nun­gen zur Empi­rie, zur prak­tisch-poli­ti­schen Akti­vi­tät der Phi­lo­so­phie, zum Bewußt­sein, daß sie “mit der Refle­xi­on der Lage anhebt, in der sie sich vor­fin­det”, aber in Wahr­heit schert sich H. den Teu­fel dar­um, wie sein zen­tra­ler Begriff von der Geschich­te affi­ziert wird, und ob er nicht längst ins Gegen­teil umge­schla­gen ist. Revo­lu­ti­on bleibt ihm eine Art affir­ma­ti­ver Idee, die ver­end­lich­tes Abso­lu­tum, einen Göt­zen der Kri­tik und kri­ti­sche Theo­rie, wie wir sie mei­nen, gründ­lich verfälscht.

Im Gegen­satz zu die­ser Schüler-“Pose” erklär­te der Meis­ter­kri­ti­ker der instru­men­tel­len Vernunft:

Es gibt Epo­chen, in denen es dar­auf ankommt, die Ände­rung womög­lich zu ver­hin­dern, und nicht Geschich­te zu machen. Ob Euro­pa zu einem sol­chen Wider­stand noch Kraft besitzt, ist über­aus zwei­fel­haft, umso mehr als von hier die unwi­der­steh­li­che Ent­wick­lung ihren Aus­gang nahm. Wenn H. von die­ser Kraft einen beschei­de­nen Teil bil­den will, muß er ler­nen, eige­ne Erfah­run­gen zu machen und zu for­mu­lie­ren anstatt frem­de For­mu­lie­run­gen einzuüben.

Und am Ende des Brie­fes for­der­te Hork­hei­mer Ador­no gar auf, Herrn H. mehr oder weni­ger abzuwimmeln:

Las­sen Sie uns zur Auf­he­bung der bestehen­den Lage schrei­ten, und ihn in Güte dazu bewe­gen, sei­ne Phi­lo­so­phie irgend­wo anders auf­zu­he­ben und zu verwirklichen.

San­der kommentierte:

Jür­gen Haber­mas soll­te kein Werk schrei­ben, das die­se Kri­tik über­holt hät­te. Er hat dage­gen unge­rührt sei­ne repres­si­ven Nei­gun­gen kul­ti­viert. “Kei­ne Sen­ti­men­ta­li­tä­ten, wir befin­den uns im Bür­ger­krieg”, war sei­ne Paro­le, als es dar­um ging, eine Beru­fung Armin Moh­lers zu ver­hin­dern. Phi­lo­so­phie wur­de ihm kom­pakt zur instru­men­tel­len Ver­nunft. (…) Wenn Jür­gen Haber­mas Pro­fes­so­ren des Kai­ser­reichs, dar­un­ter Max Weber, als Man­da­ri­ne bezeich­ne­te, muß man ihn schon mit einem Papst von unfehl­ba­rer geis­ti­ger Emp­fäng­nis ver­glei­chen; er bringt selbst in Rezen­si­ons­an­ge­le­gen­hei­ten land­auf land­ab, soweit die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­zie­hun­gen rei­chen, Kul­tur­re­dak­tio­nen zum Kuschen.

In die­sem Sinne!

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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