Michael Berger: Für Kaiser, Reich und Vaterland. Jüdische Soldaten. Eine Geschichte vom 19. Jahrhundert bis heute, Zürich: Orell Füssli Verlag 2016. 352 S., 24.95 €
Ironischerweise liegt dem hier zu besprechenden Buch ein kleiner Verlagsprospekt bei, auf dessen Titelblatt der jüngst verstorbene Ex-Kanzler Helmut Schmidt zu sehen ist. Es hätte dem Werk gut getan, ihn auch im Text zu erwähnen. Das hätte allerdings die enthaltene Botschaft gestört.
Michael Berger, studierter Historiker und Offizier der Bundeswehr, aktives Mitglied der Berliner jüdischen Gemeinde und Vorsitzender des Bundes jüdischer Soldaten, tritt mit beachtlichem Anspruch auf. Der Untertitel kündigt eine Geschichte »jüdischer Soldaten« vom 19. Jahrhundert bis heute an. Die überzeugt nur passagenweise, denn bald stellt sich das Buch im wesentlichen als versuchte Einflußnahme auf die Gedenktradition der Bundeswehr heraus. Der Funktionär Berger siegt zwar nach Kampf, aber letztlich klar über den Historiker Berger. Einem Selbstverständnis der Bundeswehr als »ethnisch deutscher« Armee gibt er dabei keine Zukunft.
Lange Passagen dokumentieren die Tätigkeit des von ihm geleiteten Verbandes, ausführlich werden dafür die Lobreden anläßlich diverser Preisverleihungen zitiert. Fast zehn Prozent des Textteils sind der französischen Dreyfus-Affäre gewidmet, die Berger dann in einem mehr als gewagten Sprung unter dem Titel »Es gibt immer einen Dreyfus« mit dem Beschwerdebrief eines jüdischen Bundeswehroffiziers gleichsetzt. Dessen Ärger über die bloße Beteiligung von Udo Steinbach, dem früheren Leiter des Deutschen Orient-Instituts, am Vorwort einer Bundeswehrbroschüre bezeichnet Berger als »verzweifelten Kampf gegen Faschismus«.
Nicht nur an dieser Stelle verläßt den Autor das Urteilsvermögen und rutschen die Begriffe in einen DDR-Jargon. Der Spanische Bürgerkrieg ist ihm ein Kampf gegen den »Hitlerfaschismus«. Wie ein Berufsoffizier die Behauptung drucken lassen kann, die Legion Condor hätte dort 21 Millionen Tonnen Bomben abgeworfen, bleibt unklar.
Irritierend fällt auch Bergers Darstellung der berüchtigten »Judenzählung« im deutschen Heer im Jahr 1916 aus. Allgemein herrscht die Ansicht vor, dieser Affront gegen die jüdischen Waffenkameraden habe sich durch die ermittelten Zahlen in sein Gegenteil verkehrt, nämlich in den Nachweis, daß Juden ihren Dienst in der Gefahrenzone taten wie andere auch. Berger gibt nun an, es seien mit Beginn der Zählung die jüdischen Soldaten flächendeckend aus den Fronttruppen zurückgezogen worden, um ein schlechtes Ergebnis sicherzustellen. Damit zweifelt er nicht nur die bisher akzeptierten Zahlen an, sondern attestiert den kaiserlichen Streitkräften eine umfassende judenfeindliche Verschwörung. Einen Belegversuch unternimmt er nicht.
2003 brachte Mark Bryan Rigg eine Studie über Hitlers jüdische Soldaten heraus. Berger qualifiziert sie scharf als »pseudowissenschaftlich« und»skrupellos« ab. Rigg, seinerseits Historiker und Offizier der israelischen Armee, hatte mit gewaltigem Aufwand fast fünfhundert frühere Wehrmachtsangehörige zu möglichen besonderen Erlebnissen interviewt, da sie nach den NS-Rassegesetzen als jüdisch galten. Michael Berenbaum, Mitbegründer und zeitweise Forschungsleiter des US-Holocaust Memorials, bewertete diese Arbeit als Beispiel für originell konzipierte und erfolgreiche Forschung.
Warum also Bergers Polemik? Hier sind wir dann bei der allzu bundesdeutschen Botschaft, die sich durch das Buch zieht. »Wer ein Gedenken an die Täter zuläßt, der verhöhnt die Opfer,« läßt der Autor wissen. Berger ist der Ansicht, Rigg hätte in seiner Studie »Juden als Täter« erscheinen lassen. Davon war bei Rigg keine Rede, ganz im Gegenteil. Diese Meinung ist ein Resultat der Vorurteilswelt des Bundeswehroffiziers Michael Berger, der die Wehrmacht als kollektivschuldige Täterorganisation begreift und im Prinzip jedwedes positive Gedenken an sie ausgelöscht sehen will. Das hätte er dem Wehrmachtsoffizier Helmut Schmidt kaum ins Gesicht sagen dürfen, der diese seit den 1990er Jahren aufgekommene Legende von der »verbrecherischen Wehrmacht« herzlich verachtet hat. Übrigens gehörte er auch zu den von Mark Bryan Rigg Interviewten – ob seines jüdischen Großvaters.
Für Kaiser, Reich und Vaterland von Michael Berger kann man hier bestellen.