Gegenwartsanalyse ist ein undankbares Geschäft. Gerät sie zu konkret, kann man sehr danebenliegen. Daher bleiben viele Autoren im Ungefähren, um nicht festgenagelt werden zu können. Es kommt darauf an, die Analyse mit einem guten Schlagwort zu garnieren. Zu denjenigen, die diese Kunst beherrschen, gehört zweifellos Heinz Bude, Jahrgang 1954. Der Professor für Makrosoziologie (Kassel) hat jetzt, nach geschickt vermarkteten Büchern zur »Berliner Republik«, dem Ende vom »Traum der Generationengerechtigkeit« und zur »Gesellschaft der Angst«, ein Buch über die »Macht der Stimmungen«
vorgelegt.
Da in den letzten Jahren oft genug festgestellt wurde, daß die »Stimmung kippt«, liegt eine solche Untersuchung nahe. Der Titel läßt einen zu diesem Buch greifen – und ratlos zurück. Bude weiß nämlich selbst nicht genau, was eine Stimmung ist. Seine Definitionsversuche kreisen um den Begriff »Gefühl«. Wenn darin zahlreiche Menschen übereinstimmen, entsteht eine Stimmung. Eine Stimmung, das erwähnt Bude mehrfach, kann aber auch den Einzelnen befallen, ohne daß sie irgendetwas mit der übergreifenden Stimmung, z.B. im Lande, zu tun haben muß. Grundsätzlich gibt es nichts, was für die »Stimmung« keine Rolle spielen würde, was sie zu einem schwierigen Gegenstand macht. Bude nennt einige historische Beispiele für Denker, die sich mit der »Stimmung« beschäftigt hätten (etwa Heidegger, dessen »Gestimmtheit« Bude einfach synonym gebraucht). Seine eigentlichen Ausführungen legt Bude so an, daß er aus einem Gegensatzpaar die Auswirkungen auf die Stimmung ableitet: der »heimatlose Antikapitalist« und der »entspannte Systemfatalist« bilden den Auftakt, um dann den Wirkungen des Konsums (Enttäuschung und Engagement) sowie dem Verhältnis der Generationen, der Geschlechter und dem von Etablierten und Außenseitern nachzugehen. Je nachdem, was da dominiert, wird sich die Stimmung gestalten, durch Massenmedien entsprechend verstärkt.
Diese Einsicht ist banal (ebenso, daß sich Menschen nicht nur von rationalen Argumenten leiten lassen), und es ist zumindest merkwürdig, daß solcherlei als neue Erkenntnis angepriesen wird. Immerhin stammt der Klassiker zu diesen Fragen aus dem Jahr 1895: Gustave Le Bons Psychologie der Massen, den Bude nicht einmal erwähnt. Was er ebenfalls nicht erwähnt, sind die essentiellen Überlegungen Hans Freyers zum »objektiven Geist« (1923) und damit zum Zeitgeist, zu dem die Stimmungen in irgendeinem Verhältnis stehen müssen.
Letztlich ist Bude aber selbst Opfer (oder Mittäter, hier sind die Grenzen fließend) eines Phänomens geworden, das der Journalist Carl Christian Bry bereits Mitte der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts beschrieb: der Ablösung der Argumente durch die Stimmungen, die vor den Wissenschaften nicht haltmacht. Indem man alles mit allem in Beziehung setzt, entsteht eine Stimmung, keine Argumentation. Bude beschreibt nicht nur die Stimmung, er erzeugt selbst eine, wenn er aus den Stimmungen den fatalistischen Pragmatiker als Ideal der Zukunft präsentiert und damit jede Tat als gestrig abqualifiziert.
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