Konrad Ott: Zuwanderung und Moral

Eine Rezension von Monika Leiser

Kon­rad Ott: Zuwan­de­rung und Moral, Stutt­gart: Reclam 2016. 94 S., 6 €

Anlaß für sei­nen Essay Zuwan­de­rung und Moral war laut Kon­rad Ott die »geschicht­lich gese­hen bei­spiel­lo­se Situa­ti­on« der mas­sen­haf­ten unge­re­gel­ten Zuwan­de­rung von Frem­den nach Deutsch­land ab Herbst 2015.

Die Fra­ge, wie mit einem sol­chen Zustrom von Flücht­lin­gen und Migran­ten umzu­ge­hen sei, hat zu erbit­ter­ten poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen geführt. Recht­li­chen Rege­lun­gen der Zuwan­de­rung (etwa Asyl­recht) sind unter­schied­li­che Moral­vor­stel­lun­gen vor­ge­la­gert, die in der Deu­tungs­macht der poli­ti­schen Öffent­lich­keit kon­kur­rie­ren. Hier will der Pro­fes­sor für Phi­lo­so­phie und Ethik Ori­en­tie­rung anbie­ten. Er bezieht sich in sei­nen Über­le­gun­gen aus­schließ­lich auf Max Webers ide­al­ty­pi­sche Unter­schei­dung zwi­schen Gesin­nungs- und Verantwortungsethik.

Sehr genau und facet­ten­reich beschäf­tigt sich Ott mit der Gesin­nungs­ethik. Als deren ethi­sches Fun­da­ment die­ne der nor­ma­ti­ve Indi­vi­dua­lis­mus in Ver­bin­dung mit der Men­schen­rechts­mo­ral und der Vor­ran­gig­keit (over­ri­ding­ness) mora­li­scher vor ande­ren Grün­den. In Ver­bin­dung mit einer von Gesin­nungs­ethi­kern ein­ge­for­der­ten poli­ti­schen Kor­rekt­heit erscheint die­se Ethik im Dis­kurs nahe­zu unan­greif­bar. Man kann die Gesin­nungs­ethik als die Moral der Gut­men­schen bezeich­nen. Kenn­zeich­nend für die­se Moral ist: Alle Ein­wan­dern­den wer­den zu Flücht­lin­gen, denen zu hel­fen ist, ohne zwi­schen Wan­de­rungs­mo­ti­ven zu dif­fe­ren­zie­ren. Es besteht die mora­li­sche Pflicht, unbe­grenzt vie­le Men­schen »in Not« auf­zu­neh­men. Belan­ge von Kol­lek­ti­ven (Völ­ker, Staa­ten) sind nachrangig.

Zu Ende gedacht, mün­det die Gesin­nungs­ethik in eine Poli­tik der offe­nen Gren­zen, ver­bun­den mit der Hoff­nung auf einen End­zu­stand der Welt, in dem alle Men­schen zu glei­chen Tei­len an den Gütern die­ser Erde teil­ha­ben. Das erin­nert stark an das von Marx pro­pa­gier­te kom­mu­nis­ti­sche Ver­tei­lungs­prin­zip – wes­halb die mas­sen­haf­te Zuwan­de­rung auf lin­ke Intel­lek­tu­el­le eine so gro­ße Fas­zi­na­ti­on aus­übt. Dar­über han­delt ein eige­nes Kapi­tel (Gesin­nungs­ethik, Poli­tik und die Neue Linke).

Im Unter­schied zur Gesin­nungs­ethik denkt die Ver­ant­wor­tungs­ethik stär­ker prag­ma­tisch, abwä­gend und fol­gen-ori­en­tiert und steht ent­spre­chend stär­ker in den Tra­di­tio­nen der poli­ti­schen Phi­lo­so­phie und des Staatsrechts.

Ver­ant­wor­tungs­ethi­ker unter­schei­den zwi­schen Migra­ti­on und Asyl­ge­wäh­rung. Sie betrach­ten das Asyl­recht als tem­po­rä­res Teil­ha­be­recht. Armut wird nicht als Flucht­grund aner­kannt. Das Open-Bor­der-Argu­ment steht auf dem Prüf­stand, da durch unge­re­gel­te Mas­sen­zu­wan­de­rung Sou­ve­rä­ni­tät und Rechts­staat­lich­keit gefähr­det sind.

Kon­rad Ott ver­mei­det, mit­un­ter bemüht, eine Fest­le­gung auf die eine oder ande­re Moral. Er weist auf die theo­re­ti­sche Apo­rie hin, wonach sich die Gesin­nungs­ethik aus ver­ant­wor­tungs­ethi­scher Sicht poli­tisch nicht durch­hal­ten läßt, wohin­ge­gen die Ver­ant­wor­tungs­ethik aus gesin­nungs­ethi­scher Per­spek­ti­ve mora­lisch nicht trägt.

Das bedeu­tet, daß man sich in der Pra­xis zu einer poli­ti­schen Posi­tio­nie­rung durch­rin­gen muß. Zwi­schen unre­flek­tier­ter Hyper­mo­ral und einem ver­ant­wort­li­chen Umgang mit den exor­bi­tan­ten Wan­de­rungs­be­we­gun­gen wird sich zukünf­ti­ge Poli­tik abspie­len. Her­kömm­li­che Ethi­ken kom­men an ihre Grenzen.

Das detail­rei­che Reclam-Bänd­chen bie­tet eine gute Gesprächs­grund­la­ge, hilft bei der eige­nen Posi­tio­nie­rung, inspi­riert die poli­ti­sche Dis­kus­si­on und wäre bes­tens für den Ethik-Ober­stu­fen­un­ter­richt an Schu­len geeignet.

Zuwan­de­rung und Moral von Kon­rad Ott kann man hier bestel­len.

 

 

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